Gelungene Inklusion in den Vereinen braucht beide Seiten
Wenn jeder Mensch mit und ohne Behinderung überall dabei sein kann, dann nennt man das eine gelungene Inklusion. In einer Serie beleuchten wir die Inklusion im Kinzigtal – wo sie gelingt und wo es noch hapert. Heute: Riccardo Ciccotelli und Achim Mosmann aus Hausach.
Singen im Chor, das geht. Aber in einer Guggenmusik spielen? Für einen, der auf den Rollstuhl angewiesen ist, undenkbar. So dachte Riccardo Ciccotelli selbst – bis die Hausacher Guggenmusik über eine Zeitungsanzeige neue Mitspieler suchte. Er hatte gerade eine Operation glücklich überstanden und war auf dem Trip: »Jetzt mach’ ich einfach, was mir Spaß macht.« Auf die Frage im ersten Telefonat mit dem Vorsitzenden »Habt Ihr ein Problem mit dem Rollstuhl?« kam postwendend die Antwort: »Überhaupt nicht, komm’ einfach mal vorbei!«
Nun ist das Probelokal der Guggenmusik, der Narrenkeller, schon mal nicht barrierefrei. Aber es gibt dort starke Kerle, die den Rollstuhl samt Riccardo die Treppe hinunter trugen und nach der ersten erfolgreichen Probe auch wieder hinauf. Und dann stand fest: Riccardo wollte, die Guggenmusik wollte, und Schlagzeug wäre das Trauminstrument. Ein Kumpel schweißte ihm eine Halterung an den Rollstuhl, und nach etlichen weiteren Proben ging es zum ersten Einsatz.
»Ich habe mich super wohl gefühlt«
In den Bus rein hieven, raus hieven, durch den Umzug schieben, einen geeigneten Platz im Narrenzelt suchen, und auch nach etlichem Alkoholgenuss den Freund im Rollstuhl nie vergessen: »Ich habe mich super wohl gefühlt, und nach so vielen Jahren im Rollstuhl merkt man sofort, ob etwas von Herzen kommt«, sagt der 57-Jährige, der inzwischen aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr mitmachen kann.
Bei den Hausacher Burgfestspielen war es ganz genauso. Auch hier hat er sich nach einer Zeitungsannonce einfach überwunden, seinen Traum von der Schauspielerei ebenfalls zu verwirklichen. Jürgen »Mäx« Clever sagte schon nach den ersten fünf Minuten des Vorstellungsgesprächs: »Du passt zu uns.« Er schrieb ihm fortan eine Rolle auf den Leib im Rollstuhl – und die ganze Truppe sorgte dafür, dass er sich dabei gut fühlte.
»Die Erfahrung, meine persönliche Barriere überwunden zu haben, das bleibt mir«
Inzwischen steht er nicht mehr auf der Burgfestspielbühne. Es war seine Entscheidung, weil es einfach zu anstrengend wurde. »Aber beides waren Mega-Erlebnisse, weil ich mich nicht durch die Behinderung selbst eingeschränkt habe. Die Erfahrung, meine persönliche Barriere überwunden zu haben, das bleibt mir«, sagt er.
Und das vermittelt er auch in den vielen Gesprächen mit Schülern. Immer wieder besucht er mit Inge Schoch den Ethik-Unterricht an Schulen, um gegen das vorherrschende Rollenklischee anzugehen und das Bild eines »leidenden, an den Rollstuhl gefesselten Behinderten« gerade zu rücken. Er erzählt den Jugendlichen, dass er sich damals wie die meisten 17-Jährigen für unverwundbar hielt – bis zu dem Mopedunfall, der sein Leben auf den Kopf stellte.
Er lässt sich gern von den Schülern löchern, gibt ehrliche Antworten auf ehrliche Fragen und glaubt fest daran: »Zumindest ein Teil der Schüler wird das nächste Mal einem Rollstuhlfahrer anders begegnen.«
Zeitungsleser für blinde Kinzigtäler
Weil er selbst in seinem Leben so viel Hilfe bekommen hat, gibt er gern etwas zurück. So gehört Riccardo Ciccotelli zu den fünf Kinzigtälern, die das Offenburger Tageblatt für Blinde lesen. Alle fünf Wochen ist er für eine Woche an der Reihe, Nachrichten und Geschichten aus dem Lokalen und aus der Otenau auszuwählen und auf das Aufnahmegerät zu lesen.
Inklusion braucht offensichtlich die Bereitschaft von beiden Seiten. Gleich vier Menschen mit Beeinträchtigungen arbeiten in der Bereitschaft des Hausacher DRK-Ortsvereins mit. Einer davon ist Achim Mosmann aus Steinach. Der 44-Jährige hatte als Kind einen schweren Autounfall. Gerade deshalb ist es ihm wichtig, selbst beim »Menschenretten zu helfen«.
Rettungssanitäter wäre sein Traumberuf gewesen
Rettungssanitäter wäre sein Traumberuf gewesen – aufgrund seiner Beeinträchtigung war dies nicht möglich. Dafür lebt er seinen Traum nun beim DRK in Hausach aus. Das macht ihm riesigen Spaß, und dort habe er auch Freunde gefunden.
»Natürlich müssen wir individuell entscheiden, wo unsere Bereitschaftsmitglieder mit ihren eingeschränkten Fähigkeiten einsetzbar sind, aber sie haben alle ihre Stärken und sind für uns sehr wichtige Helfer«, sagt Thimo Letzeisen. Für den Hausacher DRK-Ortsverein stehe die Gemeinschaft im Vordergrund. Die vier Mitglieder mit Handicap seien nicht nur bei allen völlig akzeptiert, sie verstünden sich auch untereinander sehr gut.
»Die sind über jede Aufgabe glücklich«
Und vor allem: »Die sind über jede Aufgabe glücklich«, freut sich Thimo Letzeisen – und bei Ernstfällen eine echte Hilfe beim Nachschub, bei der Versorgung der Einsatzkräfte und ganz besonders auch bei der Betreuung von Verletzten: »Die haben sehr feine Antennen und können extrem gut auf Menschen eingehen.«