Joachim Zelter schreibt aus dem Molerhiisle
Jochaim Zelter lebt seit Mitte Februar bis voraussichtlich Mitte Mai als Gisela-Scherer-Stipendiat und Hausacher Stadtschreiberin im Molerhiisle im Breitenbach und schreibt jede Woche für die Leser des Offenburger Tageblatts eine Kolumne:
Darf ich mich vorstellen: Mein Name ist Joachim Zelter, ich bin Schriftsteller und der neue Hausacher Stadtschreiber. Oder um genauer zu sein: Ich bin Träger des Gisela-Scherer-Stipendiums. Ich gebrauche das Wort Träger mit Bedacht. Ich trage das Stipendium, und das Stipendium trägt mich. Es stützt mich und ermöglicht es mir, drei Monate hier in Hausach sein zu dürfen. Es ermöglicht mir auch, weiterhin den Beruf des Schriftstellers ausüben zu können. Dafür bin ich der Stadt und seinen Bewohnern sehr dankbar, ganz besonders auch Gisela Scherer, der großen Ermöglicherin, Begleiterin und Entdeckerin der Literatur.
Ich komme aus Tübingen, und man sagt über Tübingen, es gebe dort unzählige Autoren, mehr Autoren als es Brillengeschäfte oder Bäckereien gebe, und es stimmt: Es gibt in Tübingen eine gewaltige Zahl lebender oder verstorbener Autoren. Man kann dort kaum eine Straße überqueren, ohne mit irgendeinem Autoren zusammenzustoßen: ob nun Lyriker, Roman- oder Theaterautor – oder alles drei in einer Person vereint. Überall stößt man in Tübingen auf Autoren.
Hausach ist in dieser Hinsicht anders. Das Schriftstellerische verdichtet sich hier auf den großen Dichter und Essayisten José Oliver. Er ist nicht nur Autor wunderbarer Gedicht- und Essaybände, sondern auch der Autor, der Begründer, der Organisator des mittlerweile weithin bekannten Hausacher LeseLenzes. In Tübingen sind die Autoren eher wie Reihenhäuser. José Oliver und der LeseLenz sind Meilensteine. Oder wie die Hausacher Burg: weithin sichtbare Wahrzeichen.
Es war José, der mich letzten Mittwoch am Molerhiisle empfing und mich sogleich in die Stipendiatenwohnung führte. Man kommt zuerst in einen Vorraum, von dem aus eine kleine Treppe in einen großen Wohn- und Arbeitsraum führt. Fast ist es so, als ob man auf eine Bühne tritt. Man kommt nicht einfach nur in eine Wohnung, sondern man schreitet beschwingt in sie hinein. Am Ende der Treppe beginnt ein weitflächiger, heller Raum: links ein Bereich zum Kochen und zum Essen; rechts ein Wohn- und Schlafraum. Nirgendwo stößt man hier auf Wände oder auf Türen. Alles ist eins, frei, hell und offen. Fließende Übergänge. Durch eine Glastür gelangt man auf eine Terrasse, die nach wenigen Metern in einen parkartigen Garten übergeht. Rhododendronbüsche und sogar ein kleiner Teich. Für einen Moment fühlte ich mich wie Thomas Mann.
In der Mitte der Wohnung steht ein Schreibtisch. Er ist das Zentrum der Wohnung, der Blickfang, die ständige Erinnerung, wer ich bin und warum ich eigentlich hier bin: zum Schreiben, nicht nur zum Fahrradfahren, Promenieren oder Kaffeetrinken, sondern zum Schreiben, nicht zuletzt auch zum Schreiben einer wöchentlichen Kolumne.
Die Stipendiatenwohnung ist allerdings derart geräumig, dass man diesen Schreibtisch mit großen Schritten umgehen kann. Ganze Vormittage lang kann man ihn umlaufen und immer weiter umlaufen, im Uhrzeigersinn und gegen den Uhrzeigersinn, ohne einen einzigen Satz geschrieben zu haben, vor lauter Rundwegen um diesen freundlichen Schreibtisch. Insofern ist dieser Schreibtisch auch gefährlich. Er bietet zahlreiche Ausweichpunkte und Umgehungsmöglichkeiten. Sollten meine Kolumnen also nicht immer regelmäßig erscheinen, dann liegt es an der Eigenart dieses Schreibtisches. Ich werde ihn trotzdem so stehen lassen wie er jetzt steht.