Joachim Zelter schreibt aus dem Molerhiisle
Joachim Zelter lebt seit Mitte Februar bis voraussichtlich Mitte Mai als Gisela-Scherer-Stipendiat und Hausacher Stadtschreiber im Molerhiisle im Breitenbach und schreibt jede Woche für die Leser des Offenburger Tageblatts eine Kolumne:
Ich bemerkte es erstmals auf dem Klosterplatz: die Vielzahl Hausacher Bänke. Sie sind dort zu einem Rechteck aufgestellt. Im Winter stehen sie allein, im Sommer zusammen mit dazugestellten Platanen. Es sind genau zehn Bänke: acht Sitzbänke und zwei großflächige Liegebänke. Man kann den Platz also sitzend oder liegend erleben, kann dort lesen, beobachten, sich sonnen oder sogar (durchaus bequem) schlafen. Und an den Rändern des Klosterplatzes stehen weitere Bänke, zum Beispiel am Brunnen neben dem Klosterplatz oder an der St. Mauritius Kirche.
Überall gibt es in Hausach Bänke: mit Armlehnen und ohne Armlehnen, mit Rückenlehnen und ohne Rückenlehnen, vierfüßige Bänke oder Bänke auf steinernen Fundamenten. Einmal einen Blick dafür entwickelt, waren auch die Bänke an der Hauptstraße keine Überraschung mehr, oder die Bänke vor dem Rathaus und am Pfarrheim. Von den Bänken bei der Stadthalle ganz zu schweigen. An der Kinzig: eine lange Reihe von Bänken. Wo immer man hinkommt, es gibt Bänke: Sitzbänke, Liegebänke und dann wieder Sitzbänke. Wenn man Zürich gemeinhin als Bankstadt bezeichnet, so könnte man gleiches über Hausach sagen. Es ist eine Bankstadt, aber in einem ganz anderen, viel schöneren, kontemplativeren und menschlicheren Sinn.
Ich stelle mir vor, ich setze mich auf eine Bank, zum Beispiel auf eine der vielen Bänke auf dem Klosterplatz und lese dort einen Roman, vielleicht von Thomas Mann, etwa 50 Seiten, und würde dann der Abwechslung halber (oder um Schatten zu finden) die nächste Bank aufsuchen und dort die nächsten 50 Seiten Mann lesen, um dann ein weiteres Mal die Bank zu wechseln und noch einmal 50 Seiten Mann zu lesen – ich könnte allein kraft der Präsenz der zehn Klosterplatzbänke einen ganzen Thomas-Mann-Roman lesen, und hätte den Klosterplatz dabei noch nicht einmal verlassen.
Man könnte auf Hausacher Bänken den Kanon der Weltliteratur lesen
Und so könnte es weitergehen: Den nächsten Roman könnte ich vor der Kirche lesen, einen weiteren auf der Hauptstraße und dann noch einmal eine Reihe von Romanen auf dem Kinzigspazierweg. Die zahllosen Wanderwege um Hausach herum möchte ich gar nicht erwähnen. Man könnte auf Hausacher Bänken (ohne eine Bank je ein zweites Mal aufzusuchen) den Kanon der Weltliteratur lesen. Die interessanten Romane könnte man aufrecht sitzend lesen, die langweiligen liegend oder schlafend. Und gleiches gälte, wäre ich weniger an Büchern, sondern ausschließlich an Menschen interessiert, wenn ich also all diese Bänke aufsuchen würde, nur um Menschen dort kennenzulernen, oder von Menschen kennengelernt zu werden – ich könnte (ohne eine bestehende Bank ein zweites Mal aufzusuchen) auf dem schnellsten Weg der gesamten Einwohnerzahl Hausachs begegnen.
Vielleicht ist meine Beobachtung ja auch ganz obsolet, ein längst bekannter Gemeinplatz. Als würde ich staunend bemerken: Im Schwarzwald wachsen aber viele Bäume. Trotzdem sprang mir diese Bankfülle sofort ins Auge. Man nehme nur den Hausacher Klosterplatz und vergleiche ihn mit dem Tübinger Marktplatz. Dort steht keine einzige Bank. Nicht einmal eine Bank für Invaliden. Dafür Bankautomaten. Ein solcher Umstand ist bedeutsam. Denn eine banklose Stadt ist eine Stadt der Gehetzten, der Gejagten und der Getriebenen. Es scheint in solchen Städten entweder keine Sonne oder man fürchtet diese Bänke als völlig überflüssige Orte: eine Verschwendung von Zeit, Platz und Geld.
Keine Philosophie ohne Bänke
Der englische Philosoph Bertrand Russell schrieb eine wunderbare Abhandlung mit dem Titel: Lob des Müßiggangs. Das Nachdenken, die Kontemplation, das Gespräch, die Beobachtung – all das sind nach Russell durch und durch philosophische Tätigkeiten. Sie sind Voraussetzungen für das Denken, für die Philosophie und für das Menschsein. Und wo könnte man das besser tun als auf Bänken. Keine Philosophie ohne Bänke. Insofern ist Hausach einer der philosophischsten Orte, die ich kenne, eine Hochburg der Philosophie. Ein Hoch auf Hausachs Bänke!
Anmerkung der Redaktion: Der Büchertauschschrank »Hausach liest« lädt geradezu dazu ein, sich dort für eine der vielen Bänke ein Buch zu holen. Er wird am Samstag, 18. März, um 11 Uhr auf dem Klosterplatz eingeweiht. Und wer denn unseren Kolumnisten und Hausacher Stadtschreiber Joachim Zelter kennenlernen will: Er ist auch dabei und bringt auch eines seiner Bücher mit.