Kein Schwarzwaldgedicht, aber ein schlechtes Wortspiel
Stefan Schmitzer lebt seit Mitte Februar als Gisela-Scherer-Stipendiat und Hausacher Stadtschreiber im Molerhiisle im Breitenbach und schreibt wöchentlich eine Kolumne für die Leser des Offenburger Tageblatts.
Ach du zauberische Starkstrominfrastruktur, unter den Frühlingswiesen trafowärts surrend, und ach du sehr geehrte gute Blumenduftluft! Es sagt zu mir die Nachbarin von gegenüber meiner Hausacher Gastwohnung, ich soll mich melden, wenn ich mal ein Schwarzwaldgedicht fertig habe. Ich aber habe so etwas nicht wie ein Schwarzwaldgedicht. Oder, mit den Worten des (auch) Portraitmalers Otto Dix, »schön werden’s bei mir nicht«, und deshalb lass ich’s dann meistens lieber bleiben, Landschaften-als-solche und die Leute in den solchen Landschaften zu besingen. Was können, beste Kabel, die schon dafür?
Sagen wir (summsummsumm) es kommen als Schwarzwald-Besingsang-Thema die Greifvögel in Frage … Gibt ja hier deutlich mehr von denen als anderswo (oder sieht man sie bloß öfter, weil sie sich mangels echter Autobahnen feat. ausreichend Roadkill selber versorgen müssen, selber jagen, kreisen, kreisen über den Wiesen links und rechts der Kinzig) … Ich jedenfalls, ich schob mein sehr kaputtes Fahrrad her von Haslach in der Hitz’, da kreist ein fetter Geier (oder so), und denk ich mir: Was ist, wenn der auf blöde Ideen kommt?, und schau mich um nach Buschwerk, in das ich reinspringen könnte, wenn der Geier nach mir stürzen käme, aber ich finde keines, weil nix wie Apfelbäume … Und dann denke ich, mit feinster Selbstbeobachtung: Jetzt werde ich nervös, und das merkt sicherlich der Geier, und glaubt dann, ich sei verwundet, und dann kommt er aus den Himmeln nieder, mich zu fressen …
Blüten sprechen nicht
Da sagt zu mir eine von den Apfelblüten um mich rum mit sonorer Bassbaritonstimme, »Du meinst Hunde, Schmitzer. Hunden! darfst’ nicht zeigen, dass du nervös wirst; dem Habichtchen da oben, oder Hupfdohle oder was das ist, bist du egal; glaub’s mir …« Und ich bedanke mich artig und atme ruhig durch und gehe weiter in der Sonnenhitze, und dann fällt mir aber ein, dass ja Apfelblüten nicht zu der Kategorie der sprechenden Sachen und Subjekte gehören, und dass also irgendwas nicht stimmt, und wieder geht der Puls hoch, zack, und fällt das Fahrrad um …
… UND ES WAR DOCH EIN GEIER …
… nämlich nicht die Silhouette am Himmelchen, das war wohl wirklich was Niedliches und Kleines, nein: Es hat sich hinterm Apfelbaum ein ausgewachsener Lämmergeier oder Andencondor oder was versteckt gehabt und nur so getan, als wäre er die Apfelblüte. Jetzt tritt er, da das Fahrrad fällt, hervor und sieht so unvertrauenswürdig aus und so charismatisch als wie der Kater und der Fuchs aus Pinocchio …
… und wackelt einmal mit den weiten weiten Schwingen, sagt mir »Husch«, und macht sich, da ich renne, renne, renne, pulshoch querfeldein zackzack renne, über das kaputte Fahrrad her … Ist er kein Aasfresser? Ist es nicht sein Amt, Hygiene in der freien Wildbahn zu verbreiten und Kadaver zu beseitigen? Ist nicht dies‘ Fahrrad ein Kadaver? Ist dies nicht der Kreis des Lebens, der sich schließt, da jener listige Geier jenes sehr kaputte Rad verzehrt? Der, ahäm, Circle of Life, um nicht zu sagen dem Fahrrad sein LIFE CYCLE? Erlebe ich da nicht, da ich in sicherer Distanz mich ausruhe und das Schauspiel beobachte, den, hihi, den CYCLE LIFE CIRCLE … den CYCLE CYCLE of LIFE …
(Dann bin ich im hohen Grase an der Kinzig aufgewacht; und es war das Geräusch, das sich in meinen Traum als Alu-fressender Geier-Schnabel-Krallen-Geier geschlichen hat, in Wahrheit irgend so ein Industriegetöse, bei dem Blech an Blech schabt … Und wenn jetzt hier draus doch noch so ein Schwarzwaldgedicht werden soll, dann muss da noch was mit Fachwerkhäusern und Industrie und der Dialektgrenze zwischen Baden und Württemberg rein … und keine Politik diese Woche … dafür CYCLE CYCLE of LIFE … soll sein)!
INFO: Stefan Schmitzer gibt am Sonntag, 6. Mai, um 11 Uhr im Rathaussaal seine Abschiedslesung. Der Eintritt ist frei.