Kleines Publikum für »Blutsschwestern und Blutsbrüder
Es war ein ganz besonderes Theatererlebnis, das Sommer-Openair-Drama »Blutsschwestern und Blutsbrüder« des Baal novo Theater Eurodistrict am Freitag auf dem Klosterplatz – allerdings mit nur an die dreißig Zuschauern. Aber die gingen bei den dramatischen Bildern auf der mehrstöckigen Bühne voll mit.
Bei dem Theaterstück »Blutsschwestern und Blutsbrüder« handelt es sich um eine Art Heimatrevue, die der Autor und Theaterleiter Edzard Schoppmann in der Ortenau der 1940er und 1950er Jahre angesiedelt hat. Erst ist noch Krieg mit all seinen Schrecken und seinem Fanatismus, dann die entbehrungsreiche, aber immer freier werdende und swingende Nachkriegszeit. Das alles ist so dicht inszeniert, dass bei dem fast zweieinhalbstündigen Stück für Darsteller und Zuschauer kaum Zeit bleibt, Atem zu holen.
Während gegenüber an der Kirche die Prozession zum Herz-Jesu-Fest startet, gibt es auf dem Klosterplatz eine Prozession skurriler Gestalten Richtung Bühne: Hinreißende Großpuppen wie den Gauleiter mit allzeit bereitem Hitler-Gruß-Arm, den Pfarrer mit neugierig immer länger werdendem Hals, die allmächtige Mutter mit ihren beweglichen Ohren, denen nichts entgeht oder dem Gauloises rauchenden »Franzos«: wohl allesamt Klischees, in ihrer Überzeichnung aber überaus treffende.
Von Gott für den Führer
Es ist Krieg, der Vater an der Front, aber »Mutters Bauch wurde dicker und dicker«, wie Marthe berichtet: Rudi wird geboren – von Gott für den Führer, wie der genau Pfarrer weiß. Die Mutter stirbt, weil, wie der Gauleiter verkündet, »der Jud’ ihr Blut gestohlen hat«.
Die vier Freunde, die Kinder Hannah, Franz, Marthe und der aufgedrehte Rudi, erleben das schreckliche Ende des Krieges noch mit, nach dem die ganzen nazistischen Verhetzungen noch lange nachwirken. Einziges Eingeständnis der Kriegsgeneration: »Wir haben große Fehler gemacht, aber wir haben von nichts gewusst.« Feierlich erklären sich die vier Freunde zu Blutsschwestern und Blutsbrüdern. Aus Hakenkreuzfahnen werden rote Westen für sie, und die vier geloben, jeden Tag eine gute Tat zu tun.
»Der liebe Gott sieht alles!«
Daraus aber werden mehr oder weniger harmlose Lausbubenstreiche, die mit pädagogisch hanebüchenen Strafen geahndet werden. Und den Kindern wird eingebläut: »Der liebe Gott sieht alles!« Vornehmlich in der nahenden Pubertät wird das zum Problem.
Dann kehrt der Krieg leibhaftig zurück: In Form eines Telegramms, in dem steht, dass der Vater noch lebt, über dem Krieg den Verstand verloren hat und in die Emmendinger Nervenheilanstalt eingewiesen wurde. Dann taucht auch noch Jean, der »Franzos« auf und gibt sich als Rudis wahrer Vater zu erkennen.
Gewaltiger Beifall
Die vier Freunde durchleben die Nachkriegszeit, entdecken Elvis und den Rock ’n’ Roll für sich, den Petticoat und die Nylons – und ein sogenanntes, sorgsam verstecktes Ausklärungsbuch, das gierig gelesen wird. Die Liebe trennt die Lebenswege der Freunde, Kinder werden geboren, Marthe geht nach Kanada und Rudi verliebt sich unsterblich in seine junge Lehrerin. Aber einmal im Jahr, da kommen sie alle friedlich zusammen und schwelgen in Erinnerungen: Dem Inhalt des Theaterstücks.
Der Beifall des ebenso betroffenen wie begeisterten Publikums ist gewaltig. »Die hätten ein volles Haus mehr als verdient gehabt«, meinte einen Zuschauerin.