Oberwolfach

Köpfe der Kinder vor der Ideologie der Terroristen gerettet

Janine Ak
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24. Mai 2017
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Oma und Opa leben in der zerstörten Stadt Kobane, ihr neues Zuhause ist in der Oberwolfacher Schulstraße (von links): Irem (10), Serzan (7), Fadime (34), Zeynel (36), Cinda (3) und die Zwillinge Nuda und Zilan (ein Monat). ©Janine Ak

Sie kommen aus Indien, Syrien und Afrika: In einer Serie stellen wir die in Oberwolfach lebenden Flüchtlingsfamilien und die beiden alleinstehenden Männer vor. Heute: Familie Halil, deren Brücke zur deutschen Sprache und Kultur die älteste Tochter ist.

Es war ein Aufatmen für Familie Halil, als sie ihre Dreizimmerwohnung in der Oberwolfacher Schulstraße bezog. Aus der syrischen Stadt Kobane war Zeynel Halil mit seiner Frau Fadime und den drei kleinen Kindern über die Türkei und Griechenland auf dem Landweg nach Deutschland gekommen, hatte zehn Tage mit mehr als 1000 Menschen in einem stickigen Zelt in Karlsruhe gelebt. Nach kurzen Stationen in Heidelberg und Hornberg wurden sie schließlich am 11. November 2015 der Gemeinde Oberwolfach zugeteilt.

Ruhig ist es dort in der Wohnung der Halils – für die 34-jährige Fadime fast zu ruhig, findet Integrationshelferin Anne Picke:  »Sie ist fast nur im Haus, hat lediglich Kontakt zu einer kurdischen Frau in der Nachbarschaft.« Der pensionierte Lehrer Fritz Brodbeck hat der Familie am Anfang ehrenamtlich Sprachunterricht gegeben, so dass ihr Mann Zeynel ein paar Brocken Deutsch spricht. Er ist dankbar für die Hilfe, die seiner Familie im Ort entgegengebracht wird – etwa die Fahrdienste zum Supermarkt und zum Arzt. Aber: »Immer auf Hilfe angewiesen zu sein, ist nicht gut.« Er sehnt sich nach einem eigenen Auto, nach Unabhängigkeit, die nur zu erreichen ist, wenn er einen Arbeitsplatz findet.

Vorbild an Integration

Die Kinder haben es da leichter: Die zehnjährige Irem ist extrem wissbegierig und das, was man ein Vorbild an Integration nennen kann. Sie besucht die dritte Klasse der Grundschule, ihre Lieblingsfächer sind Deutsch und Mathematik. Nebenbei spielt sie Fußball in der F-Jugend, hat Gitarrenunterricht bei Marco Pereira aus dem Ort und bringt sich neuerdings Blockflöte mit einem Buch selbst bei. Und sie geht zum »Mädleturnen«, wie sie in perfektem Deutsch mit badischem Akzent erzählt. Das wache und intelligente Mädchen ist so etwas wie die Brücke der Familie zu dem Land, in dem diese lebt: Irem ist Übersetzerin, wenn den Eltern die Worte ausgehen, und sie erfragt für sie die Besonderheiten der Kultur, wenn diese sie nicht verstehen.

Auch ihr siebenjähriger Bruder Serzan und ihre dreijährige Schwester Cinda sind auf einem guten Weg: Er geht in die erste Klasse und spielt Fußball bei den Bambini, sie besucht den Kindergarten. Es sind fröhliche und aufgeweckte Kinder, die auch zu Hause untereinander nur Deutsch sprechen und ihre Eltern manchmal damit ärgern, wie Anne Picke erzählt.

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Ihren Eltern scheint diese Fröhlichkeit abhandengekommen zu sein über den Krieg in der alten, über das Verlorensein in der neuen Heimat. Man habe die Kämpfer des Islamischen Staats aus der kurdischen Stadt Kobane vertrieben, erzählt Zeynel. Die Stadt sei nun zerstört, auch sein kleiner Supermarkt, der einst dort stand. Doch die Köpfe der Kinder vor der Ideologie der Terroristen gerettet zu haben, sei das alles wert. Obwohl seine Eltern noch in Kobane leben, kann er sich nicht vorstellen, in einigen Jahren nach Syrien zurückzukehren. Zu weit fortgeschritten werde dann die Integration seiner Kinder in Deutschland sein. Schon jetzt habe Irem das Kurdische über das Deutsche fast vergessen.

Auf Jahrzehnte Krieg

Er vergleicht die Situation in Syrien mit der im Irak nach Saddam Hussein: Selbst wenn Baschar al-Assad irgendwann nicht mehr an der Macht sein sollte, werde es auf Jahrzehnte keinen Frieden in Syrien geben, weil dann die unterschiedlichen Volksgruppen um die Herrschaft im Land kämpfen würden. Während man sich in Syrien nur innerhalb seiner Volksgruppe helfe, sei das hier  – auch unter Ausländern – nicht der Fall: »In Deutschland leben alle friedlich zusammen. Ich verstehe nicht, warum es in Syrien ein Problem ist«, sagt er.

Für ihn, der einem moderaten Islam angehöre, sei es kein Problem, die deutsche Kultur mit zu leben, solange er auch seine eigene ausüben dürfe: Für Fasnacht kann er sich genauso begeistern wie für das kurdische Frühjahrsfest »Newros«, das in Syrien verboten sei, zu dem sich aber hier in Deutschland jedes Jahr Tausende in wechselnden Städten treffen. Deutsche Nudelsuppe und Brezeln mag er genauso wie die syrische Tomaten-Auberginen-Pfanne mit Brot und Joghurt aus dem Gemüse, das seine Frau im kleinen Gärtchen hinter dem Haus anbaut

Seine beiden ältesten Kinder mögen am liebsten: Spaghetti. Wie wohl die meisten Kinder auf dieser Welt.
 

Info

Die Teile der Serie

11. Mai: Der neue Flüchtlingshelferkreis kümmert sich um die Integration der Neuankömmlinge.

17. Mai:Familie Ghotra aus Indien

24. Mai: Familie Halil aus Kobane, Syrien

31. Mai: Familie Zakaria aus Aleppo, Syrien

7. Juni: Abdi Zeitun aus dem Sudan

14. Juni: Zeray Yehdego aus Eritrea

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