Lesung von Philipp Brotz in Haslach: Weder Nazi-Thema noch Klischee
Der 42-Jährige stammt aus Calw, studierte Germanistik und Romanistik in Berlin, anschließend Politik- und Wirtschaftswissenschaft in Freiburg. Jetzt arbeitet er als Gymnasiallehrer in Freiburg und moderiert Werkstattgespräche im dortigen Literaturhaus.
„Der Roman beginnt eigentlich gar nicht so interkulturell, sondern mit der Ankunft eines Deutschen in Deutschland“, führte der Autor in sein Werk ein. Und so landete seine Hauptfigur Hagen aus Berlin kommend in Stuttgart, wo bereits der Taxifahrer sichtlich internationale Wurzeln hat und nicht versteht, was den Fahrgast aufs Land zieht. Der fiktive Handlungsort ist Löwenau, in dem Hagen aufwuchs, und das sich in den zehn Jahren seiner Abwesenheit deutlich verändert hat.
Wendepunkt des Romans
Und es reift die Frage: „Hast du nie das Gefühl, dass in dem, was dich umgibt, die Heimat immer weniger wird?“ Dass im Dorf Asylbewerber im ehemaligen Gasthaus untergebracht sind und jetzt in ein Container-Dorf im zu rodenden Wald umgesiedelt werden sollen, bedroht die Erinnerungslandschaft seiner Kindheit weiter. Am Wendepunkt des Romans lernt er die Jesidin Adan kennen und hat auf einmal das Gefühl, dass mit der fremdesten Person im Dorf eine Verbindung besteht. „Sie hat ihre Heimat an die irakischen Besatzer verloren, Hagen die imaginierte Kindheit“, erklärte Philipp Brotz.
Im August habe sich der Jahrestag des Genozids an den Jesiden zum zehnten Mal gejährt, der im Roman thematisiert und die anschließende Flucht geschildert wird.
Nachhaltig beeindruckt
Im anschließenden Gespräch mit den Zuhörern wurde Brotz nach der Inspiration gefragt. Der Autor erzählte von seinem Herkunftsort Sommerhardt, in dem er beim Besuch seiner Eltern auf eine Frau mit Kopftuch traf. Im Vergleich mit seiner eigenen Kindheit habe ihn diese Begegnung nachhaltig beeindruckt und zur Entwicklung des Romans bewegt.
Er habe eine Figur gebraucht, die am Fremden knabbert. „Aber ich wollte kein Nazi-Thema draus machen“, verdeutlichte er. Und er wollte auch nicht das Klischee des üblichen Flüchtlings aufgreifen. Bei der Recherche habe er das Jesiden-Thema extrem interessant gefunden. Der Titel sei aufgrund der physischen Gleichzeitigkeit der Protagonisten in Löwenau mit den unterschiedlichen persönlichen Hintergründen gewählt worden.