Schuldirektorin Birte Wannig stellt sich den Fragen zur Inklusion
Wenn jeder Mensch mit und ohne Behinderung überall dabei sein kann, dann nennt man das eine gelungene Inklusion. In einer Serie beleuchten wir die Inklusion im Kinzigtal – wo sie gelingt und wo es noch hapert. Heute: Gepräch mit Birte Wannig.
Die Wahlfreiheit der Eltern steht im Gesetz. Kinder mit Förderschwerpunkt können zwar in eine Regelschule – aber in den meisten Fällen nicht am Ort, weil dafür die Sonderpädagogen fehlen. Bleibt das so oder soll das noch ausgebaut werden?.
Birte Wannig: Ein absolutes Elternwahlrecht wird nicht geschaffen. Auch mit Artikel 24 Behindertenrechtskonvention kann kein vorbehaltloser Anspruch begründet werden. Aber: Der Elternwunsch ist für die Schulverwaltung handlungsleitend. Eltern können sich zukünftig zwischen einem von der Schulverwaltung gemeinsam mit ihnen und verschiedenen Partnern entwickelten, qualitativ vergleichbaren Bildungsangebot an einer allgemeinen Schule oder an einem SBBZ entscheiden.
Aber nicht für unbedingt für die Grundschule vor Ort?
Wannig: Nein. Vergleichen Sie’s mit einer Speisekarte. Da kann man auch wählen – aber nur das, was draufsteht.
Dann gibt es doch Schwerpunktschulen für die Inklusion?
Wannig: Nein, es gibt in Baden-Württemberg keine Schwerpunktschulen sondern allgemeine Schulen mit inklusiven Gruppenangeboten. Jede allgemeine Schule hat grundsätzlich den Auftrag, für inklusive Angebote offen zu sein und sich bereit zu halten. Für einzelne Kinder kann das Angebot nicht geschaffen werden. Und das ist natürlich bei der weit gesplitteten Wohnsituation im ländlichen Bereich öfter der Fall.
Kinder mit Förderschwerpunkt können auf eine Regelschule und werden dort sonderpädagogisch betreut. Die Kinder, die beispielsweise in Hausach inklusiv beschult werden, haben 0 bis 1,4 Stunden pro Woche, die Schule selbst hat drei Stunden beantragt. Gibt es da einen Schlüssel oder wird das willkürlich zugeteilt?
Wannig: Die Ressourcenausstattung orientiert sich am Bedarf des Einzelfalls im Zusammenspiel mit den zur Verfügung gestellten Gesamtpaket der Ressourcen für Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Beratungsanspruch. Das Ausmaß der zur Verfügung gestellten Ressourcen für schulische Bildung ist immer eine Frage von Aushandlungsprozessen verschiedener Interessenslagen im Rahmen der Staatshaushaltsplanung. Das Staatliche Schulamt weist die Ressourcen im Rahmen ihres Budgets zu.
Einfach gesagt: Es gibt keinen Schlüssel, aber es fehlt am Geld?
Wannig: Es fehlt weniger am Geld als an den Lehrern. Wobei die Ortenau im Vergleich zu anderen Landkreisen noch ganz gut versorgt ist.
Wie begegnet die Landesregierung diesem Mangel?
Wannig: Derzeit werden mehr Stellen für Sonderschullehrer angeboten als es Bewerber auf dem Markt gibt. Die Ausbildungskapazität an den Hochschulen wird schrittweise erhöht. Grundsätzlich gilt aber: Schüler im inklusivem Setting sind Schüler der allgemeinen Schule und lösen dort die Ressourcen aus, wie alle Kinder ohne sonderpädagogischen Beratungsanspruch. Zusätzlich erhalten die Kinder sonderpädagogische Unterstützung (auch im Teamteaching) nach der Maßgabe, wie oben beschrieben.
Damit ist die Frage, dass es zu wenig Sonderpädagogen gibt, aber noch nicht beantwortet. Gibt es denn genügend Bewerber, damit die Erhöhung der Ausbildugnskapazität überhaupt einen Sinn ergibt?
Wannig: Wir haben derzeit auch die Situation, dass die Zahl der inklusiv beschulten Kinder zunimmt – und die in den Sondereinrichtungen auch. Es sind zuviele Kinder gemeldet. Die Fallzahlen wirken sich auf den Ressourcenbedarf aus, da gibt es noch Steuerungsbedarf.
Das heißt, Sie wollen nicht die Zahl der Sonderpädagogen erhöhen, sondern lieber die Zahl der Kinder mit Förderschwerpunkt mindern?
Wannig: Nein. Aber es muss austariert werden. Aktuell ist beispielsweise der Numerus Clausus für das Studium der Sonderpädagogik recht hoch. Wenn man den senkt, gehen alle in dieses Studium, dann haben wir in fünf Jahren ein anderes Problem – das hatten wir auch schon. Es gibt auch ein Konzept der Nachqualifikation etwa für die Hauptschullehrer, die an den Werkrealschulen nicht mehr gebraucht werden. An der Baustelle wird auf verschiedenen Ebenen gearbeitet. Das Steuer darf nicht herumgerissen, sondern fein ausjustiert werden, da muss man ein feinen Schräubchen drehen.
Zum Beispiel am Antragsverfahren? Das sei viel zu kompliziert, klagen Eltern, und sie erführen oft erst ganz kurz vor Schulbeginn, welche Schule ihr Kind besuchen soll?
Wannig: Das ist in einer Verwaltungsvorschrift geregelt, die Ausgestaltung und Durchführung obliegt dem Staatlichen Schulamt. Den Elternwünschen wird im Rahmen einer »Schulangebotsplanung« Rechnung getragen, die Schulverwaltung bemüht sich, sinnvolle Gruppenangebote, so wohnortnah wie möglich zu schaffen.
Aber, wie die Eltern klagen, meist sehr kurzfristig vor Schulbeginn? Und für die Anträge müssten viele Stellen zusammenspielen Wenn das Staatliche Schulamt die Ausgestaltung regelt, warum kann sie diese nicht einfach elternfreundlicher gestalten?
Wannig: Da ist das Staatliche Schulamt nicht alleiniger Herr imRing. Oft liegt es daran, dass ein Förderschwerpunkt zunächst einmal nachgewiesen werden muss. Es muss eine Diagnostik erfolgen, dann wird überlegt, was gibt es wo, und wo gibt es noch weitere Kinder. Verschiedene Behörden sitzen da am runden Tisch mit der Schule und den Eltern. Das nennt man Bildungswegekonferenz. Oft kommen die Anträge, die das alles einleiten, zu spät. Das ist ein recht langwieriger Prozess.
Die Lehrer der SBBZ beraten die Eltern über die Schulorte der Kinder. Das heißt, wenn sie zu viele Kinder pro Regelschule beraten, schaffen sie sich selbst ab? Besteht da ein Interessenskonflikt?
Wannig: Das ist nicht so, hat sich aber vielleicht nicht bis in alle ländlichen Räume herumgesprochen. Die Pädagogen erstellen nur das Gutachten, die Beratung über den Förderort obliegt allein dem Staatlichen Schulamt. Die Pädagogen können den Förderschwerpunkt empfehlen, nicht, ob Sonderschule oder Regelschule.
Was raten Sie Eltern: Wann sollen Sie den Antrag auf Überprüfung, ob ein Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot vorliegt, stellen, damit sie früh genug über den Lernort für ihr Kind entscheiden können?
Wannig: Eltern sollten möglichst frühzeitig und ohne Scheu auf das Staatliche Schulamt zugehen, sodass notwendige Maßnahmen rechtzeitig eingeleitet werden können. Falls bei dem Kind der Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot bestätigt wird, haben die Eltern die Wahl zwischen der Beschulung an einer Sondereinrichtung oder im Rahmen eines inklusiven Gruppenangebotes. Mein Apell an die Eltern: Vertrauen Sie auf die fachkundige und umfassende Beratung durch die Schulverwaltung vor Ort.