Yodit Wäldes Kulturschock ist längst gut verarbeitet
Yodit Wälde stammt aus dem ostafrikanischen Äthiopien, einem Vielvölkerstaat mit mehr als 80 Ethnien, in den 1980ern zerrissen von Bürgerkrieg, Militärputsch und Korruption. Vor 39 Jahren wurde sie in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba geboren, sie wuchs mit sechs Schwestern und einem Bruder auf, der Vater Rechtswanwalt, die Mutter Hausfrau. Ihre Ferien verbrachte sie mit den Geschwistern bei den Großeltern auf dem Land und erlebte so auch das gänzlich andere ländliche Afrika. Im Gegensatz zu heute stellte es damals auch kein Problem dar, dass der Vater orthodox und die Mutter Muslimin war. Addis Abeba zählt zu den größten Metropolen Afrikas, und das pulsierende Leben steht im völligen Gegensatz zum beschaulichen Gutach.
Ihr Vater starb, als sie neun Jahre alt war, der Bürgerkrieg war gerade beendet, und die Mutter absolvierte danach eine Ausbildung zur Buchhalterin. Damit konnte sie die Familie als Verwaltungskraft im Rathaus ihres Viertels finanziell versorgen, und Yodit konnte nach der Highschool studieren. Sie entschied sich für Soziologie und Sozialanthropologie, ihre ältere Schwester arbeitete bei einer deutschen Entwicklungshelferfamilie als Babysitter.
Als diese zurück nach Deutschland ging, nahm sie Yodits Schwester als Au-Pair-Mädchen mit. Die deutsche Familie legte Wert auf Selbstständigkeit, weshalb die Schwester bald eine Ausbildung im Gaststättengewerbe begann, und die nächstältere Schwester als Au-Pair nachrückte. So kam Yodit im März 2006 nach Deutschland.
Von Kälte empfangen
Ihre Ankunft in Frankfurt wird sie bestimmt nicht vergessen, denn die junge afrikanische Frau wurde direkt mit dem deutschen Schmuddelwinter konfrontiert. In Addis Abeba sinken die Temperaturen nie unter 15 Grad, und als sie das Flughafengebäude verließ schlug ihr so eine ungewohnte Kälte entgegen, dass sie sich dankbar in die von ihrer Schwester mitgebrachte Jacke kuschelte. Der März 2006 war eigentlich zu warm, aber als sich im April der Winter mit Schnee und Eis noch einmal zurückmeldete, war es für sie ein ungewohnter
Anblick.
Ihre Gastfamilie lebte im südbadischen Lörrach. Nach dem lauten Addis Abeba bekam sie dort einen regelrechten Kulturschock. In Äthiopien gibt es keine verschlossenen Türen, wenn jemand Kaffee kocht, lädt er selbstverständlich die gesamte Nachbarschaft dazu ein, und die nimmt die Einladung auch gerne an. Ihre Gastfamilie wusste genau, wie die afrikanischen Au-Pairs „ticken“ und machte ihnen den Start im so ruhig-distanzierten Deutschland leicht, wofür sie heute noch dankbar ist.
Gut aufgenommen
2007 begann sie in Freiburg/Horben eine Ausbildung zur Restaurantfachfrau mit oftmals zwölf Stunden täglicher Arbeit. Trotzdem verbrachte sie in Freiburg ihre schönste Zeit – viele junge Menschen im Trubel einer Stadt. Dort lernte sie ihren Mann Stefan Wälde kennen und lieben, und die zwei gründeten bald eine Wohngemeinschaft. Sie heirateten 2010 und eröffneten gemeinsam im April 2011 nach Renovierung und Umbau den elterlichen Betrieb des Kochs, das Gutacher Gasthaus „Hirsch“.
Gut aufgenommen
Yodit Wälde wurde von der Familie sowie den Stammgästen sofort gut aufgenommen, rassistische Anfeindungen hat sie überhaupt nicht erlebt. 2019 wurde Sohn Noah geboren, und seit der Coronapandemie betreibt das Ehepaar das Haus als Hotel garni mit Frühstück.
Yodit Wälde ist glücklich und zufrieden im ihr zur Heimat gewordenen, beschaulichen Gutach. Wenn ihr mal der großstädtische Rummel fehlt, fährt sie mit Mann und Kind nach Freiburg, ist aber auch froh, wieder ins gemütliche Gutach zurückzukehren. Ihre Mutter besucht sie regelmäßig alle zwei Jahre in Gutach, und auch die in Europa verteilten Geschwister sehen sich öfter.
Yodit Wälde liebt die verschiedenen Jahreszeiten, schwärmt vom jetzt erwachenden Frühling und genießt es, kurz hinterm Haus in den ruhigen Wald zu kommen. Das Familienleben war die letzten zwei Jahre wegen der Pandemie eingeschränkt, aber die private Krabbelgruppe und die Treffen mit ihrer Familie bereiten der fröhlichen jungen Gutacherin viel Freude.