Zu Besuch im Schiltacher Bauernhofkindergarten

(Bild 1/5) Frühstück mit Kuh Vroni und anderen Tieren. ©Bastian André
»Kinder, geht mal raus spielen!« – dieser Satz ist vermutlich der Klassiker unter Eltern schlechthin. Bauernhofkindergärten setzen ihn konsequent um: Die Kinder erleben die Natur mit allen Sinnen. Sie füttern Tiere, sammeln Pilze im Wald, helfen bei der Ernte. Technik und Plastikspielzeug sind tabu. Knapp zwei Dutzend solcher Kindergärten gibt es in Deutschland, einer davon ist in Schenkenzell. Das Offenburger Tageblatt hat sich das mal näher angeschaut.
Knapp drei Kilometer vom Schiltacher Ortskern entfernt liegt auf der Bergerhöhung »Am Staig« der Bauernhof der Familie Gutekunst. Ein dichter Wald umgibt das weitläufige Gelände. Drei Pferde grasen friedlich an einem Hang. Ein Hahn kräht. Ein Schaf blökt. Und ganz leise schallt aus der Ferienwohnung des Anwesens ein Kinderlachen. Ein Blick ins Innere verrät, was hier los ist: Sieben Kinder sitzen im Kreis und singen mit ihren drei Erziehern ein Lied. Es sind die Kinder des Bauernhofkindergartens, die hier jeden Vormittag verbringen.
»Wir sitzen hier bei unserem täglichen Morgenkreis«, erzählt Kindergartenleiter Helmut Siegl. Der 57-Jährige mit langem, grauen Bart und grüner Latzhose hält eine Gitarre in der Hand. Der tiefschwäbische Dialekt des gebürtigen Tübingers ist unverkennbar. Mit ihm im Kreis sitzen Tochter Susanne, die Kleinkindpädagogik studiert und ihr Praxissemester im Kindergarten absolviert, und Praktikant Robert Weiss. »Im Morgenkreis lassen wir Erlebnisse Revue passieren und bringen den Kindern wichtige Regeln im Umgang mit der Natur bei«, erklärt Siegl. Anschließend wird der Tagesplan aufgestellt. »Jetzt essen wir erstmal was und dann gehen wir die Tiere füttern«, sagt Siegl in die Runde. Die Kinder springen freudig von ihren Stühlen auf.
Seit dem 1. Juli gibt es den Bauernhofkindergarten. Siegl hat eigens dafür einen Verein gegründet. Hintergrund ist, dass die Waldorfgemeinschaft Schiltach ihre Trägerschaft für den früheren Schiltacher Waldorfkindergarten beendet hatte. Die Stadt Schiltach finanziert das neue Konzept vorerst für ein Jahr – obwohl das Anwesen von Familie Gutekunst auf Schenkenzeller Gemarkung steht. Doch kein anderer Bauernhof habe sich für den Kindergartenbetrieb begeistern können. »Und wir dürfen hier freundlicherweise alles auf dem Gelände nutzen«, sagt Siegl.
Wie es für den Kindergarten im nächsten Jahr weitergeht, stehe allerdings noch in den Sternen. Vorrangig müsse vor allem die Kinderzahl steigen. »Wir brauchen 15 Kinder, damit sich das Projekt finanziell trägt«, erklärt Siegl. Aktuell sind sieben Kinder angemeldet. 115 Euro im Monat kostet Eltern die Unterbringung eines Kindes. Das zweite Kind kostet 84 Euro monatlich. Unverbindlich »reinschnuppern« sei darüber hinaus jederzeit möglich.
Für die sieben Kinder geht es an diesem Morgen weiter zum Frühstück für Kuh Vroni. Sie kriegt einen Eimer Äpfel, ganz für sich alleine. Naja, zumindest fast – denn auf der großen Wiese sind neben Vroni auch noch zwei Kälber und eine ganze Menge Hühner und Enten. Sowie die Kinder mit dem Eimer auftauchen, schart sich das Getier um sie.
Manche Kinder sind noch etwas zurückhaltend, als ihnen ein Enterich den Hals neugierig entgegenstreckt. Andere nehmen etwas Hasenfutter in die Hand und halten mutig ihre Hand auf. Einem Hahn schmeckt’s – auch, wenn das Futter freilich eigentlich für die zwei Hasen Max und Fredi gedacht ist. Die kriegen anschließend frisches Gras serviert.
Nach dem Füttern können die Kinder meist selbst entscheiden, wie sie den restlichen Vormittag verbringen, erklärt Siegl. »Wir geben sehr wenig Impulse, die Kinder kommen von sich aus.« Angesichts des strahlenden Sonnenscheins wird entschieden, mit den Pferden Maiky, Layla und Mona auszureiten. Die Kinder diskutieren erstaunlich diszipliniert, wer auf welches Pferd darf. Jeder kann mal rauf, das scheinen sie zu wissen. »Manche wollen anfangs auch überhaupt nicht. Aber irgendwann will dann doch jeder mal«, sagt Siegl und schmunzelt.
Etwa eine Dreiviertelstunden läuft die Gruppe mit den Pferden durch den Wald. Wer nicht im Sattel sitzt, spaziert nebenbei mit. Nach der Rückkehr steht den Kindern die Zeit wieder zur freien Verfügung. Dabei fällt auf, dass es keine Spielzeuge gibt. »Die Kinder spielen mit Material aus dem Wald«, betont Siegl. Im Innenbereich steht unter anderem eine Werkbank zum Holzschnitzen. Die Gruppe geht auch immer mal wieder in den Wald und sammelt Beeren oder Pilze. Die werden dann gemeinsam zubereitet. »Wir haben auf dem Bauermarkt einen Stand, wo wir das dann verkaufen«, sagt Siegl.
An diesem Vormittag haben sich einige Kinder Äpfel geschnappt und in eine spezielle Apperatur gespannt. Damit lässt sich das runde Obst entkernen, schälen und in Scheiben trennen. Was so simpel klingt, scheint die Kinder zu begeistern. Fasziniert beobachten sie, wie sich der einst feste Apfel nun wie ein Akkordeon auseinander ziehen lässt.
In der kalten Jahreszeit komme das Bauernhofkonzept besonders zu tragen. »Dann brauchen die Tiere im Stall Futter und Pflege«, erklärt Siegl. Die Kinder seien bei allen Abläufen dabei. »Sie verstehen: Wenn sich niemand kümmert, geht etwas kaputt.« Wenn Kuh Vroni schreit, muss sie jemand melken. Und auch wenn es regnet, muss jemand raus und die Hasen füttern. »Die Kinder erziehen sich selbst. Sie merken: Ich muss raus, draußen ist es kalt, also ziehe ich die Jacke an.«
Der Spaß komme aber auch dann nicht zu kurz, wenn mal etwas mehr auf dem Bauernhof zu tun ist. Siegl erinnert sich: »Einen Winter haben wir hier schon erlebt. Und als wir da einmal Heu geholt haben, endete das in einer Heuschlacht.« Landwirtschaft spielend erleben – auch dadurch wachse die Beziehung zur Natur.
- TERMIN: Am Sonntag, 18. Oktober, ist auf dem Bauernhofkindergarten von 10 bis 16 Uhr Tag der offenen Tür.