AGJ-Suchthilfe Lahr: Der Arbeitsmarkt ist mit schuld
Die AGJ-Suchtberatung hat in einem Gespräch mit dem Lahrer Anzeiger deutlich gemacht, dass sie auch für die Angehörigen da ist. Leiterin Gabriele Jerger hat aber auch einige weitere Schwerpunkte.
»Was ganz wichtig ist: Wir sind auch für die Angehörigen da.« Gabriele Jerger sagt dies ganz zum Schluss eines Gespräch mit dem Lahrer Anzeiger. Aber darauf kommt’s ihr wirklich an. Die AGJ-Suchtberatung steht für alle offen. Manchmal findet ein Verweis zu anderen Einrichtungen statt, viel öfter natürlich die Vermittlung an eigene Gruppen.
»Alles, was legal gehandhabt wird, und auch für Senioren« – so umschreibt die Suchtberaterin in aller Kürze das, mit dem sie Tag für Tag zu tun hat. Da steht der Alkohol natürlich an erster Stelle, aber auch Rauchen oder der Missbrauch von Medikamenten gehören dazu.
Dann natürlich das Spielen in der herkömmlichen Version und immer stärker das, was man Computersucht nennt. Wobei Jerger zum Letzteren meint: »Was man derzeit sieht, das ist nur die oberste Spitze des Eisberges.«
Alkohol ist größter Feind
Und so macht diese Sucht auch nur einen kleinen Teil der Beratungsgespräche aus. Den größten Bereich nimmt die Alkoholsucht ein, mit Abstand. 459 kamen Menschen wegen dieser Problematik in die AGJ, mit weitem Abstand kam die Spielsucht (41), dann die Medienproblematik und der Cannabis (jeweils 11) und die Medikamente (8). 57 Angehörige wurden längerfristig beraten.
»Die Angehörigen versuchen erst mal, das System zu retten«, fängt Gabriele Jerger an, die im übrigen das Wort »Co-Abhängige« eher meidet. Die Menschen versuchen zu schimpfen oder zu fördern, sie übernehmen das Kaufen von Alkohol oder schütten ihn weg. »Das alles sind Maßnahmen, die das System stärken, anstatt dem Süchtigen die Chance anzubieten, auszusteigen.«
»Wir erklären diesen Menschen, dass sie weniger versuchen sollen, um den Betroffenen zu kreisen, sondern sagen sollen, was sie feststellen, erleben. Aber wir sagen auch, dass sie sich um sich selbst kümmern sollen. Sonst sind sie gefangen in ihrem eigenen Kopf.« Es gehe darum, dass der Abhängige für sich Klarheit bekommt, was das Richtige sei.
Im Notfall gehe es auch um Trennung, vor allem, wenn Gewalt oder Kinder im Spiel seien. Man müsse dem anderen in jedem Fall die Verantwortung dafür überlassen.
Sei der Betroffene bereit, sich einer Therapie zu unterziehen, so habe man im Prinzip zwei Möglichkeiten: stationär oder ambulant. Wobei das Letztgenannte weniger auf sich nehmen. 33 sind es im vergangenen Jahr gewesen, knapp an die 70 habe man stationär vermittelt.
Arbeitsmarkt spielt mit
»Das ist ein leichter Rückgang«, sagt Gabriele Jerger, und sie hat den Verdacht, dass der Arbeitsmarkt nicht unschuldig daran ist. »Böse gesagt: Wenn ein Süchtiger noch einigermaßen gerade stehen und eine Schraube festziehen kann, dann verliert er den Arbeitsplatz nicht. Und die Firmenleitung schaut wahrscheinlich in Zeiten wie diesen, wo Arbeitskräfte gebraucht werden, auch nicht mehr so genau hin.« Der Druck von den Arbeitgebern und den Arbeitsämtern sei schlicht geringer geworden.
Bei 255 regulär beendeten Beratungen wurden immerhin 217 mit dem Prädikat »gebessert« versehen. Das bedeutet nicht, dass alle Patienten abstinent leben.
Es gibt zum Beispiel Trinker, die missbräuchlich Alkohol zu sich nehmen, Konflikttrinker beispielsweise. »Da kann man schauen, dass man die Situationen, in denen er trinkt, reduziert, oder dass man die Trinkmenge nach unten setzt.« Meist gehe es darum, herauszuarbeiten, wie man mit Situationen klar kommt ohne mit Alkohol zu kontern.
Nur noch Frauen
Aufgefallen ist der Suchtberaterin, dass in der Seniorengruppe mittlerweile nur noch Frauen sind. »Ich sag’s mal platt: Die Männer sind zufrieden, wenn sie eine neue Frau gefunden haben und kommen dann nicht wieder.« Frauen seien da anders: »Die setzen sich mehr mit eigenem Verhalten auseinander und finden in der Gruppe auch Hilfestellung.«
◼ Am Donnerstag, 19. April, bietet die Suchtberatungsstelle Lahr eine Informationsveranstaltung für die Angehörigen an. Sie findet von 18.30 bis 20 Uhr statt. Anmeldung unter ✆ 0 78 21/2 66 50.
MPU hilft, zur Einsicht zu kommen
»Uns geht es nicht darum, dem Betroffenen zu sagen, was er dem Psychologen sagen muss, damit er besteht«, sagt Gabriele Jerger zum Thema MPU. Man versuche dagegen, dass die Teilnehmer sich klar darüber werden, welche Funktion Alkohol auf sie habe.
»Wer für sich selbst sagt, das ist nur Geldmacherei, der wird es ohnehin nicht schaffen«, so Jerger. Es gehe eher um Selbstreflektion, dass man sich zum Beispiel die Frage beantworte, was für eine Bedeutung die Fahrt mit Alkohol habe. Und wie man das in Zukunft verhindern will.
Gabriele Jerger: »Viele kommen für sich zu einer Einsicht, die ihnen weiterhilft.«