"Liederat" Ralf Ave aus Schuttern im Unruhestand
Nach mehr als 41 Berufsjahren verabschiedet sich der Polizist Ralf Ave Anfang Oktober in den Ruhestand. Doch besser wäre »Unruhestand«: Der 60-jährige aus Schuttern ist als der »Liederat« bekannt. Er hat viel vor – jetzt erst recht.
Der Polizeibeamte – Ruheständler in spe – wirkt an diesem Vormittag entspannt und gießt sich Kaffee in die schwarze Tasse, über die er aus dem Stegreif 2,5 Seiten schreiben könne. Ralf Ave (60) ist ein Nachtmensch: Wenn andere schlafen, feilt er an seinen Songtexten oder Gedichten. »Ich genieße es, nach einer durchwachten Nacht um 7.15 Uhr nicht mehr mein Deputat antreten zu müssen und länger schlafen zu können.« Müßiggang? Mitnichten. Sein Fitnessprogramm zieht er durch: Joggen und Rennrad fahren.
Im »körperlich anspruchsvollen« Beruf musste er »die Knochen hinhalten«: als Einsatzgruppenführer, Fachlehrer für Abwehr-, Schieß- und situatives Handlungstraining sowie Präventionsexperte etwa. Rund 10 000 Schüler hat er je zweieinhalb Jahre unter seine Fittiche genommen – war Lehrer, Vorgesetzter, Vertrauter. Seine Schüler vermisse er am meisten, zu sehen, wie sie an ihren Aufgaben wachsen. Er konnte sie begeistern, arbeitete mit ihnen auf ein Ziel hin. Zu vielen hat er bis heute Kontakt. Was er nicht vermisse, ist Fremdbestimmung: Donnerstags erhielt er den Dienstplan für die nächste Woche, mit unterschiedlichen Arbeitszeiten und wechselnden Aufgaben. Heute kann Ave als Privatier selbst entscheiden, was er wann und mit wem realisiert – ein Stück Freiheit, die der nie ganz Angepasste mit immer etwas längeren, mittlerweile grau-weißen Haaren, genießt.
Premiere im »Koffer«
»Ich lebe jetzt« – dieser Satz an der Musikzimmerwand ist sein Lebensmotto. Ave füllt es mit »Taten« aus. Etwas wehmütig blickt er dennoch auf seine Berufsjahre zurück. Sie bestimmten zwei Drittel seines Lebens. Aktuell trainiert er einmal pro Woche die Seniorengruppe des Budo- und Freizeitsportvereins Lahr in der japanischen Samurai-Kampfkunst Jiu Jitsu und springt ein, wenn Prüfungen zu den Schüler- und Meistergraden anstehen. Den Verein hat er, der Ehrenvorsitzende und fünfte Dan-Träger, selbst gegründet. Als Fachlehrer für Kampfkunst a. D. bei der Bereitschaftspolizei Lahr gibt er nach wie vor Präventionskurse an der VHS Lahr, mit Fokus auf Selbstverteidigung. »Damit werde ich nicht aufhören.« Von November bis Dezember spielt er fünfmal im Kindertheater »Die Schöne und das Biest« mit. Die Premiere seines »Geburtstagsgeschenks« steigt im Kulturkeller »Koffer« in Hugsweier. Seine sieben Mitstreiter stimmten endlich Aves Idee zu, das französische Volksmärchen auf die Bühne zu bringen.
Der zweite Band seines Kinderbuches »Ben, der Bär, und Ludwig, sein Freund« liegt fertig in der Schublade. Nun sucht er einen Illustrator. Mittelfristig möchte der Wortkünstler einen neuen Gedichtband veröffentlichen. »Ich muss zum Glück kein Geld damit verdienen, hab alle Zeit der Welt.« Auch will der Hobbymusiker eine CD mit »Love Songs« aufnehmen. Und in seinem Geburtsort Ludwigsburg plant der Wahl-Badener und Gitarrist ein schwäbisches Bühnenprogramm: mit eigenen Gedichten und Liedern. Musik, Theater und Schreiben, so Ave, sind »ein Teil von mir, hier kann ich viel verarbeiten. Was gibt es Schöneres, als sich mit Musik auszudrücken?!«
Und da ist Frau Sabine, ohne deren Rückhalt er das alles nicht hätte realisieren können. Momentan pflegt sie – neben Arbeit und Reit-Hobby – ihre 97-jährige Mutter: »Wir nehmen uns trotz allem die Zeit, gemeinsam was zu unternehmen«, betont Ave. Besuche im Stadttheater Lahr plus Essen gehen gehören für ihn dazu. Oder er kocht selbst ein »Dinner for two«.
Ein Kochkurs?
Was ihm zum Wort Unruhestand spontan einfällt? »Meine Enkel«. Die anderthalb Jahre alten Zwillinge Marlon und Philian sowie der im August geborenen Elouan fordern seine ganze Aufmerksamkeit. Zudem mehren sich Reparaturwünsche im Familien- und Freundeskreis. Am eigenen Häusschen gibt’s auch »die eine oder andere kleinere Baustelle«. Pläne für Musestunden? »Ganz im Geheimen möchte ich gerne einen Kochkurs machen.« Sein Französisch soll besser werden, weil er gern im Nachbarland unterwegs ist. Und mit seiner weißen »Ente« durch den Schwarzwald zu fahren, davon träumt er ebenfalls – in der projektreichen, selbstbestimmten dritten Lebenshälfte.