»Man brauchte ein dickes Fell«
Grüne Gedanken in den Gemeinderat bringen – das will die Grüne Liste Umweltschutz (GLU) seit mittlerweile 30 Jahren in Friesenheim. Ob das gelungen ist, darüber sprach der Lahrer Anzeiger mit zwei Männern, die von Anfang an dabei sind: Joseph Hugelmann (61) und Dietmar Kairies (62).
Herr Hugelmann, Herr Kairies, 1984 gründeten Sie mit zwölf weiteren Mitstreitern die Grüne Liste Umweltschutz. Brauchte das Friesenheim?
Dietmar Kairies: Sehr! Das Thema Umweltschutz war damals in Friesenheim keines. Die meisten von uns waren vom Studium in den Schoß der Heimat zurückgekehrt. Da, wo wir leben, sollte es lebenswert sein. Wir haben uns deshalb fast alle im BUND engagiert und auch einige Sitzungen im Gemeinderat besucht.
Kamen damals noch mehr Zuhörer als heute?
Kairies: Ja. Aber im Gegensatz zu heute war damals alles vernebelt.
Es wurde geraucht?
Joseph Hugelmann: Ja. Bis Christel Strauß-Röderer 1994 in den Gemeinderat einzog und den Antrag stellte, dass das verboten wird.
Zurück zu den Anfängen der GLU. Was stieß Ihnen bei den Besuchen im Gemeinderat auf?
Kairies: Einiges.
Hugelmann: Und das Problem war, dass wir vor den Sitzungen keine Informationen erhalten haben, was die Gemeinde plant. Da haben wir uns gedacht, es muss ein parlamentarisches Standbein her.
Kairies: Hauptauslöser war eine Gewässeruntersuchung. Da ging es um die Qualität der Friesenheimer Gewässer. Wir haben im Gemeinderat gefragt, ob das bekannt ist und wurden als Spinner abgetan.
Warum gingen Sie nicht unter das Dach der Grünen, die vier Jahre zuvor an den Start gegangen waren?
Hugelmann: Im Gegensatz zu heute gab es viele Berührungsängste. Wir wollten Ökologie in der Kommune machen und wollten uns nicht für Joschka Fischer rechtfertigen müssen. Parteistrukturen brauchen wir dafür nicht.
Kairies: Zudem gab es bei den Grünen Flügelkämpfe zwischen Realos und Fundis. Mit dem ganzen Zeug hatten wir nichts am Hut. »Grüne« war damals fast ein Schimpfwort. Es gibt auch Leute, die sind im BUND und der CDU. Die wollten wir ebenso erreichen.
Aber Sie fühlten sich dem Gedankengut der Grünen nahe?
Kairies: Auf jeden Fall.
Hugelmann: Wir wollten in Friesenheim nicht nur Fassadenbegrünung, sondern fundiertes ökologisches Verhalten. Brauchwasseranlagen zum Beispiel sind so ein Thema, das wir immer verfolgt haben. Da wurde uns gesagt: Wir haben ein Blockheizkraftwerk, das reicht. Und dann kamen die Anlagen doch. Eigentlich war es oft so: Wir haben das gefordert, was fünf, zehn Jahre später Allgemeingut war.
Kairies: Durch unsere Präsenz kann es nicht nur bei Lippenbekenntnissen bleiben. Obwohl wir alleine auch nichts erreichen können. Im Gegenzug müssen wir auch Kompromisse machen.
Hugelmann: Insgesamt hat sich aber auch die gesellschaftliche Position gewandelt.
Kairies: Die ersten ein oder zwei Legislaturperioden war das aber anders. Da waren wir schon gewissen Anfeindungen ausgesetzt gewesen.
Ich hätte eher gedacht, dass Sie belächelt worden sind. Grüne Belange in der Kommunalpolitik zu vertreten, war sicher noch nicht so selbstverständlich wie heute.
Kairies: Nein. Die Reaktionen der Bürger waren positiv: Gut, dass ihr antretet, hieß es.
Und im Gemeinderat?
Hugelmann: Da waren es teilweise eher spöttische Bemerkungen. Man brauchte schon ein dickes Fell, um alles auszuhalten, was einem an den Kopf geworfen wurde.
Haben Sie nach dem Super-GAU in Tschernobyl 1986 ein Umdenken in puncto Umweltschutz in Friesenheim festgestellt oder war die Katastrophe zu weit weg?
Hugelmann: Ja, das habe ich erlebt. Beim Dorffest sind zum Beispiel Leute auf mich zugekommen, die sonst nicht mit mir geredet haben, die mich fragten, wie ich das jetzt mit dem Salat mache.
Kairies: Tschernobyl war nicht wegzudiskutieren.
Was schätzten Sie als den größten Erfolg ein, den die GLU im Gemeinderat erzielt hat?
Hugelmann: Wir hatten in vielen Punkten Recht. Der Flugplatz zum Beispiel. Wir haben von Anfang an gesagt: Das kann nicht funktionieren. Inzwischen ist die Mehrheit in Friesenheim auch kritischer geworden.
Kairies: Tempo 30 flächendeckend geht auf uns zurück.
Hugelmann: Strom aus regenerativen Quellen ist auch auf unserem Mist gewachsen.
Kairies: Das Gedenken an die Juden ist uns ebenfalls wichtig. Wir haben zum Beispiel den Antrag auf die Stolpersteine gestellt.
Konnten Sie an der Denke der anderen Fraktionen etwas verändern?
Hugelmann: Das Wichtigste ist, dass sie uns ernst nehmen.
Wo sind Sie in 30 Jahren gescheitert?
Kairies: Dazu fällt mir nichts ein.
Hugelmann: Wir müssen uns für nichts schämen.
Seit 1994 waren Sie mit vier Leuten im Gemeinderat vertreten. Seit 2009 sind es nur noch drei, obwohl Sie im Vergleich zu 2004 ein leicht verbessertes Ergebnis hatten. Woran lag es?
Kairies: An der Abschaffung der unechten Teilortswahl und am ungerechten Auszählungsverfahren, das d’Hondtsche Höchstzahlverfahren, das die stärkste Fraktion bevorteilt, nämlich die CDU. Und da die CDU im ganzen Land davon profitierte, hatte die Landesregierung auch kein Interesse daran, etwas zu ändern.
Hugelmann: Aber da jetzt das Saint-Laguë/Schepers-Verfahren angewandt wird, haben wir die Hoffnung, dass wir wieder vier Plätze bekommen.
Wie grün lebt die GLU eigentlich privat? Essen Sie nur Bio und verzichten auf ein Auto?
Kairies: Sepp ist konsequenter. Er ist ein Vorbild.
Hugelmann: Ich habe aber ein Auto. In der WG haben wir ein Gemeinschaftsauto. Zum Transportieren von großen, schweren Dingen ist das schon gut. Und ja: Ich kaufe Bio und ernähre mich seit 40 Jahren vegetarisch. Aber ich kenne auch CDUler, die Vegetarier sind.
Treten Sie beide in fünf Jahren noch mal an?
Kairies: Nein. Wir hatten jetzt schon mit dem Gedanken gespielt aufzuhören, aber da Christel Strauß-Röderer nicht mehr antritt, wollten wir nicht alle drei gehen. Dann hätte die Gefahr bestanden, dass die GLU untergeht. So kommen ein oder zwei neue Leute von uns in den Gemeinderat, die dann die Nachfolge antreten können.
Informiert
Am Freitag, 31. Januar, 19.30 Uhr, feiert die GLU mit der Gruppe »Stimmband« ihren Geburtstag in der Sternenberghalle.