Pflastermobil: Der »Arzt« für sozial Schwache
Wenn ein Mensch ein medizinisches Problem hat, geht er zum Arzt, legt sein Versicherungskärtchen vor und wird in aller Regel auch behandelt. Wohnungslose oder Sozialschwache haben es da nicht ganz so einfach. Für sie bietet das Pflastermobil erste Hilfestellungen.
Es ist Mittwoch, kurz nach 11 Uhr. Vor dem Café »Löffel« parkt das Pflastermobil. Ute Vogt, die mit dem Mobil durch den Ortenaukreis reist, ist heute drinnen beschäftigt, misst verschiedenen Gästen den Blutdruck, der angesichts der hochsommerlichen Temperaturen bei einigen etwas höher ausfällt. Schwerere Fälle gibt es heute aber nicht. Deshalb hat sie auch etwas Zeit, mit dem Lahrer Anzeiger über ihre Arbeit zu sprechen.
Das Spektrum der Hilfeleistungen ist groß und reicht oft über das Medizinische hinaus. »Oft sind es Gespräche unter vier Augen, wobei es häufig um frauenspezifische Themen geht«, erzählt sie. Aber auch die Versorgung von Wunden und, besonders jetzt im Sommer, von offenen Beinen sind fast schon alltägliche Routine. Wenn es sein muss, bringt sie Leute ins Krankenhaus, stellt Kontakt zu Fachärzten her oder vermittelt Schlafplätze im Ursulaheim in Offenburg.
Es gibt auch Fachärzte, die zur Seite stehen. Beispielsweise Kirsten Holst aus Bühl. Die Zahnärztin hat ihre Praxis aufgegeben und arbeitet ehrenamtlich. Sie hat auch Kontakte zu einem Zahntechniker, der für die Klienten des Pflastermobils kostenlos Teil- und Vollprothesen herstellt.
Fünf Mediziner
In Lahr, Kehl, Offenburg und Achern sind darüber hinaus insgesamt fünf Mediziner ehrenamtliche Ansprechpartner, wenn es um medizinische Versorgung geht. In Lahr ist der Ansprechpartner Rudolf John, der seit einigen Jahren seinen Ruhestand genießt. Er schaut so ziemlich jede Woche am Mittwoch ins Café »Löffel«.
Aber haben die Obdachlosen und die Besucher des Café Löffel denn keine Versichertenkarte? Doch, sagt Ute Vogt. Jeder, der mindestens ein Jahr gearbeitet hat, sei versichert und habe auch eine Karte. Allerdings gebe es viele Osteuropäer, die nicht versichert seien.
Doch selbst, wenn die Menschen versichert seien, gebe es Hemmnisse, die den offiziellen Arztbesuch verhindern. Zum einen verändere sich die Wahrnehmung des Körpers, wenn man länger auf der Straße lebe, weiß Vogt. Wunden und Warnsignale des Körpers würden kaum wahrgenommen.
Zum anderen würden sich viele ob ihres Aussehens, wegen des ungepflegten Erscheinungsbilds schämen, mangels Selbstbewusstsein und Selbstsicherheit den Besuch in einer Praxis möglichst noch mit vollbesetztem Wartezimmer scheuen. Viele seien auch hilflos, wüssten nicht über ihren Versichertenstatus Bescheid.
Der dritte Grund ist politisch begründet. 2004 ist die Härtefallregelung in der Krankenversicherung entfallen, was bedeutet, dass Wohnungslose und sozialschwache Menschen genauso Zuzahlungen leisten müssen, wie jeder andere Patient auch. Mit dem einen Unterschied, dass diese Klientel das Geld dafür nicht hat.
Begleitet wird die Krankenschwester derzeit von Samuel Hillebrandt. Der junge Mann absolviert gerade ein duales Studium zum Bachelor of Arts in Stuttgart und will sich in der sozialen Arbeit etablieren. »Ich finde es gut, dass es diese Einrichtung gibt, aber auch schlimm, dass es sie überhaupt geben muss«, sagt er.
Auch Rudolf John begrüßt das Projekt, das vom Freundeskreis des Café Löffel unterstützt wird. »Man kann nicht einfach wegschauen. Man muss etwas tun«, gibt er sich überzeugt. Deshalb habe er sich schnell auf die Anfrage eines Kollegen aus Offenburg in die Arbeit einbinden lassen. »Ich stamme aus einem sozialdemokratischen Haus«, sagt er. Und »man darf nie vergessen, woher man kommt«.
»Die Mitarbeiter des Pflastermobils sind immer sehr nett«, sagt Irmgard, die ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen möchte. Die 66-Jährige genießt es, wenn man sich Zeit für sie nimmt und sich ihr widmet. Sie selbst hat nur noch die Zähne im Oberkiefer. Unten fehlen sie komplett.
Menschenunwürdig
Die Art und Weise, wie mit den Menschen, die am Rand der Gesellschaft leben, manchmal umgegangen wird, findet Sozialarbeiter Martin Schneider einfach nur menschenunwürdig. Vor allem, wie er sagt, wenn es darum gehe, Brillen, Zahn- oder andere Prothesen von den Krankenkassen bezahlt zu bekommen.
»Da wird locker mal ein 62-Jähriger mit einem besonderen Augenproblem für zu alt für eine neue Brille befunden. Schließlich könne man den nicht mehr in den ersten Arbeitsmarkt vermitteln, hieß es von der Krankenkasse. Dann brauche er auch keine neue Brille«, regt sich Schneider heute noch über einen Fall auf, der schon vor zwei Jahren Thema war.
In solchen Fällen springt dann der Freundeskreis des Café »Löffel« ein. Für den Betroffenen gab es damals eine neue Sehhilfe.
Die Stunde, die Ute Vogt jeden Mittwoch im oder beim Café »Löffel« verbringt, ist vorbei. Sie muss weiter. Zu den Obdachlosenheimen in der Biermann- und in der Flugplatzstraße.
Spenden fürs Pflastermobil
Das Pflastermobil ist ein Ableger der Pflasterstube im Ursulaheim in Offenburg und kommt seit April 2017 mittwochs nach Lahr. Finanziert werden die Hilfen in der Pflasterstube und des Pflastermobils rein durch Spenden. In Lahr ist es der Freundeskreis des Café »Löffel«, der das Pflastermobil finanziell unterstützt.
Zwei Möglichkeiten gint es zu spenden: An den Freundeskreis des Café »Löffel« unter Angabe des Verwendungszweckes »Café Löffel« auf das Spendenkonto: IBAN DE71 6645 0050 0076 125840, BIC SOLADES 10FG bei der Sparkasse Offenburg oder an den Förderverein Pflasterstube im St. Ursulaheim mit einer regelmäßigen Spende über zwei Jahre auf das Konto: IBAN DE 06 6645 0050 1004 2464 84 ebenfalls bei der Sparkasse Offenburg.