Friesenheim - Schuttern

»Vernarrt in diese Kisten«

Wolfgang Schätzle
Lesezeit 4 Minuten
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02. Oktober 2014

(Bild 1/2) ©Wolfgang Schätzle

Die Liebe zu Simson-Mopeds und Belarus-Traktoren hat Jens Trautwein aus Schuttern vom Osten in den Westen mitgebracht. Leidenschaften, die bei ihm immer wieder einmal ein wenig »Ostalgie« aufkommen lassen.

Morgen ist der Tag der deutschen Einheit. Im November vor 25 Jahren fiel die Mauer. Die Bilder von jubelnden Menschen am Brandenburger Tor gingen damals um die ganze Welt, prägten sich als Symbol für die wiedergewonnene Freiheit ein.

Jens Trautwein hat’s miterlebt. In Greifswald ist er geboren und in Bresewitz, einem Dorf in der Nähe, aufgewachsen. Trautwein kam erstmals 1992 in den Westen, lebte zunächst mit seiner Familie in Mietersheim. 1994 zog es den heute 45-Jährigen noch einmal in den Osten, genauer nach Barth in Mecklenburg-Vorpommern – aus beruflichen Gründen. Allerdings nur für zwei Jahre. In Schuttern, wo er heute mit seiner Familie lebt, ist Trautwein erst seit 2011 sesshaft.

»Wir sind damals im Kindesalter zuerst immer ein bisschen hin und her gezogen, bis wir das passende gefunden haben.« Es sei auch nicht so einfach gewesen, eine Wohnung zu finden. »Denn Wohnungen gab es an und für sich nicht«, erklärt Trautwein. »So sind wir denn, sag ich mal, ein bisschen hin und her geflüchtet.«
In jener Zeit entwickelte sich auch eine große Liebe, die bis heute anhält: Mopeds des Herstellers Simson aus dem thüringischen Suhl. »Das ist sozusagen das Hobby, dass wir aus dem Osten mitgebracht haben.« Trautwein kommt dabei so richtig ins Schwärmen: »Damit sind wir aufgewachsen als Kind.«

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Geldfrage
Es sei allerdings auch eine Geldfrage gewesen. »Es war ja auch so, dass man sich das nicht einfach so leisten konnte.« Es sei schwer gewesen, an die Mopeds heranzukommen. Man konnte sie auch nicht gleich kaufen: Mopeds wurden zwar viel gebaut, doch »da ging alles nach Berlin in die Hauptstadt.« Von dort aus seien dann die Mopeds verteilt worden – unter anderem auch nach Barth, da habe es damals eine Zweigstelle gegeben. »Aber wenn 100 gebaut worden sind, dann sind vielleicht fünf in Barth angekommen.« Bis 2000 Ost-Mark habe damals eine Simson gekostet – die musste man sich erstmal verdienen.

Seine erste eigene Maschine bekam Trautwein nach der Jugendweihe. Damals zog man durchs Dorf, um Geld zu sammeln. »Wenn du gut freundlich warst die letzten zwei, drei Jahre, hattest du auch von jedem Nachbarn Geld gekriegt.« Trautwein hatte dies offenbar beherzigt, denn am Ende konnte er 1400 Ost-Mark einsammeln. Davon hat er sich dann seine erste Simson »Schwalbe« für 800 Ost-Mark gekauft – ein 78er-Modell mit altem Motor noch. »So fing es an.«

»Aufgepeppt«
Natürlich hat er die Maschine ein wenig »aufgepeppt«, wie er es nennt. Davon hatte er bereits Ahnung, denn als Jugendlicher sei er natürlich auch hin und wieder schwarzgefahren. »Also der Vater, der Bruder, wir hatten alle zwei. Wir waren richtig vernarrt in diese Kisten.« Die Trautweins hatten inzwischen auch ein eigenes Haus auf dem Land und Platz für eine ganze Simson-Flotte. Der Vater sei ein richtiger Simson-Fan gewesen, aber Jens Trautwein war der Anführer der Flotte, er hat auch immer die Mopeds repariert. Richtig reingekniet hat er sich in diesen Job. »Ich habe mir ein altes Moped gekauft, habe es auseinander gebaut, um zu sehen, wie es drinnen aussieht. Geguckt, was man machen kann, wenn es mal nicht so läuft. Das Wissen habe ich mir selber angeeignet.« Von diesem Hobby sei er fortan infiziert gewesen – bis heute. »Man kommt davon einfach nicht mehr los.«

Leider konnten die Trautweins beim Umzug in den Westen die Simsons nicht mitnehmen. Sechs Maschinen waren einfach zu viel für den Transport, sie wurden verkauft. Der Simson-Virus ließ ihn dennoch nicht los. Vor drei Jahren endlich konnte er sich eine Simson in seine neue Heimat holen: Er verkaufte seinen selbst restaurierten »Roller West« und investierte den Erlös in das »Moped Ost«. Natürlich musste erst einmal viel an dem Moped gemacht werden. Aber Trautwein ist ein Schrauber par excellence.
Heute steht nicht nur seine Simson-Maschine schmuck da und kann, wann immer es Beruf und Wetter zulassen, auf den Straßen der Umgebung bestaunt werden, sondern auch ein VW-Bus, der durch Trautweins geschickte Hände eine besondere Note erhielt. Er ist auch nach eigenem Bekunden ein leidenschaftlicher Motorsportfan. »Ich habe irgendwie immer ›Benzin im Blut‹ – das brauch ich einfach.«

Hintergrund

Erinnerungen

Das erste Mal in den Westen

Schon 1990 wollte Jens Trautwein erstmals in den Westen. »Ich bin mit meinem Kumpel nach Rostock, wir wollten nach Lübeck.« Tausende von Leuten am Bahnhof, alle mit dem gleichen Ziel: ab in den Westen – nur gucken. Doch auf dem Bahnhof war’s so eng, dass sie ihr Vorhaben abbrachen.
Zwei Wochen später der nächste Versuch. Kurz vor dem Grenzübergang eine Kontrolle. »Sie müssen aussteigen«, so der Ost-Kontrolleur. Es sei nicht alles offen, wie er meine – und für ihn schon gar nicht. Denn da Trautwein immer wieder negativ gegen den Staat aufgefallen war, stand in seinem Pass »Ungültig«. Der »Türöffner« wäre ein zusätzlicher grüner Pass gewesen, den sein Kumpel besaß, Trautwein aber nicht. Aber er war nicht dumm: Er stieg aus und hinten wieder ein. Er konnte seine erste Fahrt in den Westen fortsetzen.

Bei der Arbeit in der LPG entstand die »Liebe« zu russischen Traktoren

Jens Trautwein ist von Haus aus Landwirt. Gelernt hat er bei einer Landwirtschaftlichen Produktions-Gesellschaft (LPG). Er hatte zwar, wie viele andere auch, um die zehn Berufe im Kopf, aber letztlich hatte man höchstens drei wirklich zur Auswahl. »Mit einem Parteibuch unterm Kopfkissen hattest du dir alle zehn vorstellen können – das hatten wir aber nicht.«
Durch den Beruf kam Trautwein jedoch zu einer zweiten großen Leidenschaft. »Ich bin ein absoluter Traktor-Fanatiker«, sagt er. »Wenn ich mal das passende Kleinholz zusammen habe, werde ich nach oben fahren und mich nach einem Traktor umschauen.«
Trautwein denkt nämlich an ganz bestimmte Vehikel: russische Traktoren. Er sei damals bei der LPG eine Belarus ZT 300 und eine ZT 303 gefahren, erzählt Trautwein mit leuchtenden Augen. Und mit etwas Wehmut: »Damals war ich allerdings nicht so schlau gewesen, ich hätte so ein Ding kaufen können.« Denn Trautwein lebte damals quasi in seiner Firma, der LPG; das, was man sich erworben hatte, sei praktisch sein Eigen gewesen. Man bekam Zugmaschinen, für die man alleine verantwortlich war. Aufgrund seines Wechsels in den Westen musste er allerdings alles dort lassen.
Immer wieder informiert er sich im Internet über die aktuellen Preise für ein solches Ding. Vielleicht kann demnächst in Schuttern und Umgebung nicht nur ein schmuck herausgeputztes Simson-Moped, sondern auch ein alter Belarus-Bulldog bewundert werden?

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