Anneliese Schneider feiert am Karfreitag den 100. Geburtstag
Sie ist geistig voll auf der Höhe, geht noch selber einkaufen und knackt gerne Kreuzworträtsel: Die gelernte Krankenschwester Anneliese Schneider wird am Karfreitag 100 Jahre. Im OT-Gespräch verrät sie ihr Geheimrezept für ihr hohes Alter und berichtet von ihrem ereignisreichen Leben.
Nach einem kurzen Klingeln öffnet eine zierliche Frau mit einem Lächeln die Tür: Anneliese Schneider. Ihr Alter ist schwer zu schätzen. Fakt ist: Wie 100 sieht sie nicht aus, und auch sonst ist sie bestens in Form. Sie ist noch gut zu Fuß und braucht nur einen Stock als kleine Hilfe beim Laufen. In ihrem Zimmer in der Seniorengemeinschaft am Waldbach rückt sie die Stühle zurecht, damit jeder einen Platz hat. »Ich bin so aufgeregt, aber ich freue mich sehr«, sagt sie mit Blick auf ihren 100. Geburtstag am Karfreitag. An den Wänden hängen alte Fotos, die ihr langes Leben zeigen.
Anneliese Schneider ist in Stuttgart-Wangen am 30. März 1918 geboren. Nachdem ihr Vater nach einem Zugunglück tödlich verletzt wurde, ist ihre Mutter mit ihr nach Heilbronn gezogen. »Ich war erst fünf Jahre alt, als er starb. Man sagt ja, dass man solche Dinge in dem Alter nicht realisiert, aber für mich war es sehr schlimm«, erinnert sie sich.
Als Beste abgeschlossen
Beruflich absolvierte sie in Freiburg eine dreijährige Ausbildung als Kinder- und Säuglingsschwester. Plötzlich hält die Jubilarin in ihrer Erzählung kurz inne. Sie läuft zu einem ihrer Schränke und holt eine Anstecknadel heraus. »Die habe ich erhalten, nachdem ich mein Staatsexamen gemacht habe. Es ist für mich eine wichtige Erinnerung«, erzählt sie und blickt auf das Relikt ihrer Vergangenheit. Zu dieser Zeit sei es nicht üblich gewesen, dass Frauen einen Beruf erlernen. »Ich habe damals die Prüfung mit 1,5 als Beste abgeschlossen«, sagt sie, ohne sich rühmen zu wollen.
Dieser gute Abschluss war der Grund, weshalb sie die Offenburger Malerin Gretel Haas-Gerber unbedingt haben wollte. »Ich sollte sie nach ihrer Schwangerschaft pflegen, aber nach drei Jahren Ausbildung wollte ich eigentlich nur nach Hause.« Den Job, bei dem sie viel erlebte, nahm sie letztlich doch an, bis sie später nach Heilbronn zu ihrer Mutter zurückkehrte – nicht ahnend, dass sie das Leben noch einmal nach Offenburg zurückführen würde.
Auf einer Familienfeier lernte sie ihren Mann Karl Schneider aus Würzburg kennen. Ihre Beziehung sei geprägt gewesen von den Kriegseinsätzen ihres Manns. »Karl hat viele Menschen im Krieg fallen sehen. Er wollte mich heiraten, sobald er vom Polenfeldzug zurück ist, damit ich versorgt bin, sollte er sterben.« 1939 heirateten sie, bevor er einen Tag später wieder in den Krieg ziehen musste. Auch sie spürte den Zweiten Weltkrieg, zweimal wurde sie von Bomben aus ihrem Zuhause verdrängt.
1943 kam ihr Sohn Wolfgang auf die Welt. »Als ich wieder berufstätig war, habe ich ihn zu Verwandten auf die Schwäbische Alb gebracht. Als ich mit dem Zug wieder zurückgefahren bin, habe ich im Bahnhof plötzlich meinen Mann erblickt«, berichtet sie vom unerwarteten Wiedersehen. Circa 1947 sei das gewesen. Zwei Jahre lang saß Karl Schneider zuvor in russischer Gefangenschaft und kam schwer verletzt zurück. »Das werde ich nie vergessen«, betont die Jubilarin. »Mein Mann war nach diesen Erfahrungen ein anderer.« Sie pflegte ihren Mann, sodass er wieder seinem gelernten Beruf in der Volksbank nachgehen konnte. Nach einer Station in Wittlich in der Eifel, wo sie zehn Jahre blieben, kam die Versetzung nach Offenburg.
Im Jahr 1990 folgte ein schwerer Schicksalsschlag für Anneliese und Karl Schneider, der ihr weiteres Leben prägen sollte. Ihr Sohn, der zwischenzeitlich als Architekt arbeitete und zeitweise in New York lebte, verstarb mit nur 47 Jahren an den Folgen eines Zeckenbisses. »Das hat mich und meinen Mann schwer getroffen. Es ist schlimm, wenn das einzige Kind stirbt«, sagt sie mit Tränen in den Augen. Sie hatten ein sehr gutes und enges Verhältnis miteinander. In ihrem Zimmer in Offenburg hat sie den letzten Entwurf ihres Sohnes eingerahmt. Stolz blickt sie darauf: »Es ähnelt fast schon Kunst.«
Auch ihr Mann hätte beinahe die 100er-Marke erreicht. Vor fünf Jahren ist er jedoch im Alter von 96 Jahren verstorben. Es war ein Rückschlag, doch Anneliese Schneider lässt sich davon nicht entmutigen. Sie freut sich auf ihren Jahrestag. »Ich kann es gar nicht glauben, dass ich 100 werde«, sagt sie freudig.
Nie Alkohol getrunken
Wieso sie noch so fit ist? »Das weiß nur der liebe Gott«, scherzt sie. »Ich war immer solide. Früher habe ich nie Alkohol getrunken«, erklärt sie. Um sich geistig fit zu halten, löst sie Kreuzworträtsel und schaut die Nachrichten. Sie schottet sich nicht von der Außenwelt ab, sondern trifft regelmäßig ihre Freunde wie das Ehepaar Josef und Ruth Braun aus Fessenbach, das immer wieder zu Besuch kommt und auch am Freitag mit ihr feiert.
Als der Fotograf schließlich beim Termin erscheint, steht sie auf und wirft noch einen letzten Blick in den Spiegel. »Für das Foto müssen die Haare ja gut frisiert sein«, sagt sie, während sie sich die Haare richtet.