Baal Novo begeistert mit "Ein Bruder namens Martin"

©Ulrich Marx
Mit der Premiere von »Ein Bruder namens Martin« in der Stadtkirche machte das binationale Theater Baal Novo am Freitagabend den triumphalen Auftakt zu zahlreichen Aufführungen in der gesamten Ortenau.
»Nochmal Luther?«, mag so mancher denken. Im Jubiläumsjahr 2017, 500 Jahre nach dem »Thesenanschlag zu Wittenberg«, der am Ende vielleicht doch mehr Legende als Historie ist, sind der Filme, Dokumentationen und natürlich auch Theaterstücke viele. Aber wie so oft »kommt es drauf an, was man draus macht«.
Und das Schauspiel, das Baal Novo in der Regie von Diana Zöller mit dem Text von Tilmann Krieg umsetzt, ist wahrlich grandios, immer unterhaltsam, farben- und klangprächtig und jede Sekunde faszinierend, sogar wenn man die Geschichte bis hin zu einzelnen Zitaten eigentlich schon kennt.
Es beginnt wie eine Gerichtsverhandlung, und was für eine. »Bitte erheben sie sich!«, fordert eine Stimme, und gleich darauf bricht eine wahre Hölle aus Lärm und Lichtgeflacker los. Ist es das Weltenende, das jüngste Gericht? Erst als der zu einem ängstlichen Häufchen Elend zusammengekrümmte Martin Luther (Hendrik Pape) in Todesangst schreit »Ich will ein Mönch werden!«, klärt sich die Situation. Es ist »das« Gewitter, der ganz und gar irdische Auftakt zum Werdegang des Reformators wider Willen, der schon als Mönch seine wesentlichen Charakterzüge zeigt: Was auch immer dieser Bruder Martin angeht, er macht es ganz. »Du machst die Beichtväter müde, du hast gar keine rechten Sünden«, schimpft der Prior Johann von Staupitz (Guido Schumacher), der den verzweifelt Erlösung Suchenden nach Rom pilgern heißt. Die Reise über die Alpen im Winter wird mit den Hintergrund bildenden grandiosen Naturaufnahmen eindrucksvoll ausgemalt.
Der Gegenpart zum leidenschaftlichen, bisweilen seinen Launen völlig unterworfenen Luther, der im unfreiwilligen Exil auf der Wartburg vor Untätigkeit zu verlottern droht, stellt die Figur des Belial (Benjamin Wendel) dar. Kalt dozierend, treibt der Widersacher wie ein griechischer Chor die Handlung voran und steckt den historischen Hintergrund ab. Bisweilen kann er jedoch sein diebisches Vergnügen am heillosen Zustand der Welt nicht verbergen. Der Dämon schüttet sich aus vor Lachen, nachdem er die eifernden und geifernden Vertreter des jeweils »rechten, wahren Glaubens« imitiert hat – man muss unwillkürlich an so manche allem Anstand und aller Mäßigung enteilende Krawall-Talkshow denken.
Gut gelauntes Teufelchen
Das immer gut gelaunte Teufelchen verulkt sie alle mit Genuss, bis hin zu Papst und Kaiser. So stibitzt er die Krone und hockt sich als schlappes Figürchen auf den Altar – ganz wie ein anderer Herrscher auf der Hand der Konstanzer Imperia hockt (natürlich kommt Jan Hus auch zur Sprache).
Den vorsichtigen, taktierenden Spalatin, den moralinsauren Erasmus gibt Edzard Schoppmann prächtig, und zu größter Form läuft er auf, als er wie ein Boxkampfreporter vom Reichstag zu Worms berichtet oder als Talkshowgast Worthülsen absondert. Hier, in der letzten Szene, erweist sich mit einem genialen Kniff der Regie Luther wieder als Mann den starken Gefühle, die den Sieg über das pseudosachliche, dafür echt hochnäsige Dozieren, Rabulieren und Detail-Filetieren der substanzlosen Profi-Quassler davontragen: Sein musikalisches Denkmal »Ein feste Burg ist unser Gott« fegt die Gegner am Ende förmlich aus dem Saal.