Eine unbeugsame Streiterin für das Gute
Sie ist eine der schillerndsten Persönlichkeiten in der Stadt – und dafür braucht sie keine ausgefallene Kleidung, sondern nur ihr schwarzweißes Habit. Seit über zehn Jahren steht die Augustinerschwester Martina an der Spitze des Bahnprotests in Offenburg und hat auch überregional Bekanntheit erlangt. Am Sonntag wird sie 70 Jahre alt.
Wenn es stimmt, dass einem das Alter ins Gesicht geschrieben steht, hat man bei Schwester Martina seine liebe Müh. Die wenigen Falten, das jugendliche Lachen, die wachen Augen – und ob sie graue Haare hat, wer weiß das schon? Auf den ersten Blick deutet wenig darauf hin, dass die Oberin der Augustiner Chorfrauen im Kloster Unserer Lieben Frau in Offenburg am Sonntag ihren 70. Geburtstag feiert. Es spricht vieles dafür, dass es mit dem Lebensweg zu tun hat, den die am 17. Juli 1946 in Bad Säckingen als Gabriele Merkle geborene Ordensfrau gewählt hat.
Obwohl sie Tag für Tag in Schwarz und Weiß durchs Leben geht, ist sie durch ihr Engagement in Sachen Rheintalbahn zu einer der schillerndsten Persönlichkeiten in Offenburg geworden. Auch überregional ist sie als Galionsfigur des Bahnprotests in Erscheinung getreten, beispielsweise durch Aufritte im SWR-Fernsehen.
Ob es das Ja zum Offenburger Tunnel, manifestiert durch die Finanzierungszusage im Bundestag, ohne ihr Zutun gegeben hätte? Sie selbst sagt nur so viel: »Die Aufmerksamkeit war dadurch erhöht.« Mit dem evangelischen Pfarrer Manfred Wahl bildet sie die kongeniale Spitze der Bürgerinitiative (BI) Bahntrasse, ein Duo, das für Glaubwürdigkeit steht.
Ihr Engagement gegen den Bahnlärm zeigt zwei Eigenschaften von Schwester Martina: Sie zweifelt nicht – und sie ist eine zähe Kämpferin. Wie sonst hätte sie sich durch all die Richtlinien und Gutachten zur Rheintalbahn arbeiten können, die mittlerweile 54 Aktenordner in ihrem Büro füllen? Überhaupt keinen Zweifel lässt sie an der Frage, ob sich Religion ins gesellschaftliche Leben einbringen soll. »Es ist Pflicht als Bürger und gläubiger Christ, die Stimme für andere zu erheben.« Da folgt sie ganz ihren Vorbildern aus der Kirchengeschichte: Katharina von Siena etwa oder Hildegard von Bingen und nicht zuletzt Pierre Fourier, Gründer der Augustiner Chorfrauen. »Sie trennen nie zwischen weltlich und geistlich, es ist eins.« Entscheidend sei die gläubige Grundhaltung, »die Welt im guten Sinn zu verändern«.
Argumente statt Polemik
Für Schwester Martina ist die Frage des Einmischens nur eine Frage des Wie. Die BI habe versucht, durch Sachargumente zu überzeugen – und nicht durch eine Polemik, wie sie sie zu 68er-Zeiten beim Studium in Freiburg erlebt habe.
Dass sie öffentlich die Stimme erhoben hat, war ein Prozess. In der Jugend sei sie eher introvertiert gewesen. Später habe sie gemerkt: »Es kann nichts bewirken, wenn man alles für sich behält. Das muss raus.« Den Ausschlag dafür, gegen die Pläne der Deutschen Bahn zu protestieren, hat ihre eigene leidvolle Erfahrung gegeben: Damals noch im Lehrberuf tätig – Schwester Martina lehrte 43 Jahre lang Handarbeit, Hauswirtschaft, Sport und Religion –, konnte sie wegen des Lärms aus dem Bahngraben bei offenem Fenster kaum noch unterrichten. Zweifel an der Richtigkeit des Engagements hatte sie nie. »Es war klar, dass die Politik einsehen musste, dass sie nicht gegen die Bevölkerung bauen kann.«
Dass sie einmal ins Kloster gehen würde, war für die einzige Tochter einer alleinerziehenden Mutter schon relativ früh eine Option. »Die Berufung ist etwas, das von innen kommt«, sagt sie. Den letzten Ausschlag gaben 150 Psalmen, die sie als junge Frau in ihrer Heimatkirche in Villingen hörte und in denen sie sich wiederfand. Kein Zweifel: »Da hat Christus mich in seine Nähe gerufen.« Auch wenn die Entscheidung für das Klosterleben im Alter von 23 Jahren »ein hartes Ringen« gewesen sei, sagt sie: »Es war die beste Entscheidung meines Lebens.«
Verzicht als Gewinn
Kein Mann, keine Familie, keine Kinder, kein ganz normales Leben: Natürlich ist Schwester Martina immer wieder mit der Frage konfrontiert worden, ob sie etwas verpasst habe. Doch sie sagt: Der Verzicht ist auch ein Gewinn. Die Zerstreuung von »draußen« gibt es in der »Oase in der Stadt« nicht. Und im klar geregelten Tagesablauf zwischen Beten und Arbeiten bleibt auch Zeit für persönliche Vorlieben. Wie könnte Schwester Martina heute sonst auf ihrer geliebten Silbermann-Orgel spielen?
Zu der Frage, ob sie es selbst noch erleben wird, wenn – vermutlich in 20 Jahren – die ersten Züge durch den Offenburger Tunnel fahren, verweist sie schließlich auf ihre Lebenseinstellung: »Ich bin Optimist.« Vielleicht folgt sie ja dem Beispiel jener 103 Jahre alte Nonne, die sie in den ersten Jahren im Kloster erlebte – eine Schwester, die am Ende sagte: »Ich war einfach nur glücklich!« In 33 Jahren sollte der Tunnel fertig sein.