Endlich wieder zusammen
Offenburg. Geschenke gehören zu Weihnachten dazu, ein Christbaum mit bunten Kugeln und ein besonderes Festessen. Für die Familie Amadi aus Afghanistan stehen diese Dinge nicht im Mittelpunkt des Weihnachtsfestes. Sediga Taquizada (29) und ihre drei Kinder Mina (9), Abolfazl (6) und der kleine Amir Ali (elf Monate) haben ihre große Bescherung bereits vor zwei Wochen erlebt. Nach anderthalb Jahren Trennung konnten die Kinder ihren Vater endlich wieder in die Arme nehmen. Auf der Flucht aus Afghanistan über den Irak und die Türkei war für Ali Amadi in Griechenland Endstation. Das Geld für den Schleuser reichte nur für die damals schwangere Sediga und die beiden Kinder. So gelangte die 29-Jährige über Karlsruhe in die Offenburger Unterkunft für Asylbewerber. Der kleine Amir Ali ist hier zur Welt gekommen. Der Vater hat seinen Sohn vor zwei Wochen das erste Mal gesehen.
Kein Tannenbaum
Einige Tage vor Weihnachten erinnert in dem kleinen Zimmer der Amadis in der Unterkunft für Asylbewerber in der Lise-Meitner-Straße wenig an das bevorstehende Fest. Das Wort Geschenk kennt Abolfazl freilich schon. Seine Schulkameraden in der ersten Klasse der Georg-Monsch-Schule werden sicher auch vom Plätzchenbacken und anderen Weihnachtsbräuchen erzählt haben. Doch einen Tannenbaum, wie ihn die Familien hierzulande aufstellen, wird es bei Familie Amadi nicht geben. Der sechsjährige Abolfazl übersetzt die Worte seiner Mutter, wenn sie mit ihrem Deutsch nicht weiter kommt. Sie erzählt von ihrem Heimatdorf in Afghanistan, das die Taliban niedergebrannt haben. Sie hätten alles »totgemacht«. Abolfazl fügt hinzu »mit Messern und Pistolen«. Die Erinnerungen an die schrecklichen Ereignisse hat er, wie seine Eltern und seine ältere Schwester auch, mit nach Deutschland gebracht. Die Amadis sind Sunniten und gehören der Hazara-Minderheit an. Sediga sagt, sie hätten keine Arbeit bekommen, die Kinder konnten nicht in die Schule. Es blieb nur die Flucht.
Zweieinhalb Jahre sind seit der Nacht vergangen, als die Familie alles verlor und ihr Dorf verließ. Zuerst ging es nach Kabul, dann über die Grenze nach Teheran im Iran und von dort weiter in die Türkei. Mit der Not der Flüchtlinge verdienen Schleuser ihr Geld. Nicht selten bezahlen die Vertriebenen mehrere tausend Dollar, um von einem Land ins andere gebracht zu werden. Von der Türkei aus sollte es mit dem Boot weiter nach Italien gehen. »Das Boot kaputt«, erzählt Sediga. So landeten sie auf einer griechischen Insel.
Das sei der übliche Weg der Flüchtlinge, berichtet Dezernent Michael Loritz, beim Landratsamt zuständig für Migranten. Bilder von völlig überladenen Fischerbooten und von menschenunwürdigen Zuständen in griechischen Flüchtlingslagern gehen durch die Medien. Die Menschen versuchen, von dort weiter nach Holland, Skandinavien oder Deutschland zu kommen. Das lassen sich die Schleuser gut bezahlen.
Endlich in Sicherheit
Für die ganze Familie Amadi reichte das Geld nicht. Ali Amadi musste in Athen bleiben. Sediga und die Kinder landeten in Offenburg. Jeden Tag habe sie geweint, anderthalb Jahre, bis die Nachricht kam, dass die Behörden Alis Überführung nach Deutschland organisiert hatten. Vor zwei Wochen stand er vor der Tür in der Lise-Meitner-Straße. Sediga lächelt. »Es ist gut«, sagt sie. Die Kinder lernen Lesen und
Schreiben, ihr Mann soll Arbeit bekommen. Sie sind in Sicherheit.
Heute Abend wird in den Offenburger Wohnzimmern die Geschichte von Maria, Josef und dem Jesuskind im Stall von Bethlehem erzählt. Die Familie Amadi hat ihre eigene Geschichte – eine moderne Weihnachtsgeschichte.
Flüchtlinge in Offenburg
Insgesamt 550 Asylbewerber leben derzeit im Ortenaukreis und sind auf zwölf Unterkünfte verteilt. Jeder Landkreis im gesamten Bundesgebiet ist verpflichtet, nach einem gewissen Schlüssel Flüchtlinge aufzunehmen. Laut Michael Loritz vom Landratsamt kommt die größte Gruppe der Flüchtlinge mit 26 Prozent aus dem Irak, gefolgt von Afghanistan (17 Prozent) und den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens wie Serbien, Kosovo, Mazedonien oder Bosnien (16 Prozent). Weitere Flüchtlinge kommen aus Pakistan (8,5 Prozent), Iran (sieben Prozent) oder Syrien (4,3 Prozent). Der Anteil der Menschen vom Balkan sei mit dem Wegfall der Visumspflicht drastisch gestiegen, so Loritz. In der Landesaufnahmestelle in Karlsruhe, wo die Flüchtlinge auf Baden-Württemberg verteilt werden, kommen derzeit 1000 Menschen im Monat an.
Über den Asylantrag entscheidet das Bundesamt für Migration. Die Bearbeitung von Anträgen aus Ländern wie dem Irak und Afghanistan dauern besonders lange. So läuft das Verfahren der Familie Amadi (Bericht oben) schon seit 18 Monaten. pie