Freie Wähler Zell stellen die Ortschaftsräte in Frage
Ginge es nach den Freien Wählern im Zeller Gemeinderat, gäbe es eine Diskussion darüber, ob Ortschaftsräte noch zeitgemäß sind oder nicht. Andrea Kuhn, Ortsvorsteherin in Unterentersbach, und Thomas Dreher, Vorsitzender der Freien Wähler Zell, möchten zu diesem Thema die Bürger befragen.
Die Freien Wähler Zell hatten für Donnerstagabend zu einer Pressekonferenz zum Thema Ortschaftsräte eingeladen. Vorsitzender Thomas Dreher und Unterentersbachs Ortsvorsteherin Andrea Kuhn stellen sich die Frage, ob Ortschaftsräte nach mehr als 40 Jahren Gemeindereform noch zeitgemäß sind oder nicht. Zu diesem Thema kündigten beide für die Gemeinderatssitzung am 10. Dezember einen Antrag zur Meinungsbildung an. Die Bürger sollen nicht überrumpelt, sondern in die Meinungsbildung einbezogen werden.
Hätten die Freien Wähler im Gemeinderat mit Stimmen der anderen Fraktionen Erfolg, müsste die Stadt eine schriftliche Umfrage unter allen Wahlberechtigten ab 16 Jahren starten. Liegt dieses Ergebnis vor, können die Ortschaftsräte über das weitere Vorgehen beraten. Lehnen die Bürger jedoch die Abschaffung der Ortschaftsräte ab, würden das die Freien Wähler akzeptieren.
»Mehr gesamtstädtisch denken«
Für Andrea Kuhn steht im Vordergrund, in Zukunft gesamtstädtisch zu denken: »Als Gemeinderätin fühle ich mich bei Entscheidungen auch für Unterharmersbach und Oberentersbach verantwortlich.« Ortschaftsräte müssen zwar über Themen beraten, die dann je nach Relevanz zum zweiten Mal im Bauausschuss und dann zum dritten Mal im Gemeinderat diskutiert und beschlossen werden müssen. Das aber koste aus Sicht der Freien Wähler nur Zeit, weil die Ortschaftsräte in wichtigen Dingen nur Anhörungs- und Vorschlagsrechte hätten, aber kaum Entscheidungsrecht.
Zudem seien ohnehin acht von zehn Ortschaftsräten aus Unterharmersbach im Gemeinderat, vier von acht aus Unterentersbach und einer aus Oberentersbach vertreten. Dreher sieht es wie Andrea Kuhn – auch vor dem Hintergrund, dass es immer schwieriger wird, Kandidaten für die Kommunalpolik zu finden – als wichtig an, Bürger stärker einzubinden: »Viele sind zwar nicht bereit, sich im Gemeinderat einzubringen, dafür aber projektbezogen. Da ist viel Sachverstand.«
»Chance für Verwaltung«
Ähnlich hatte sich schon vor fünf Jahren Regierungspräsidentin Bärbel Schäfer (parteilos) beim Neujahrsempfang der Mittelbadischen Presse geäußert. »Ich sehe in mehr Bürgerbeteiligung Chancen nicht nur für die Bürger, sondern auch für Verwaltungen«, hatte sie damals gesagt und das mit einem Beispiel veranschaulicht.
Wenn zwei Kinder je eine Orange wollen, aber nur eine da ist, werden Eltern diese zwar gerecht teilen, dabei aber riskieren, dass beide Kinder unzufrieden sind: »Hätten die Eltern vorher aber gefragt, wofür die Kinder die Orange verwenden möchten, hätte sich vielleicht herausgestellt, dass eines den Saft trinken und das andere die Schale zum Backen möchte.« Dann wären beide zufrieden gewesen. Auf kommunaler Ebene sei es aber notwendig, den Bürgern zu erklären, was rechtlich möglich ist und was nicht.
Zurück zur Pressekonferenz der Freien Wähler: Damit sich ein Mehr an Bürgerbeteiliung auch im Gemeinderat wiederfindet, müsse es regelmäßig den Tagesordnungspunkt »Aus den Projektgruppen« geben, sagte Andrea Kuhn. Auch könne der Gemeinderat Mitglieder aus den Ortschaften als Repräsentanten wählen. Diese könnten dann ähnlich eines Ortsvorstehers auch Anliegen der Bürger annehmen. Andrea Kuhn und Thomas Dreher ist bewusst, dass sie mit diesem Thema ein heißes Eisen anfassen. Den gerade ältere Menschen sehen die Ortschaftsräte als letzte Bastion gegen die »Bevormundung« (siehe Hintergrund).
Unabhängig von dieser Meinungsbildung hat Andrea Kuhn bereits ihre persönliche Konsequenz gezogen und steht als Kandidatin für den Ortschaftsrat Unterentersbach nicht mehr zur Verfügung.
Gemeindereform im Jahr 1975
Die Ortschaftsverfassung wurde 1970 in die Gemeindeordnung eingefügt. Mit ihr sollten Gemeindezusammenschlüsse im Rahmen der Gemeindegebietsreform 1975 gefördert und es den früher selbstständig gewesenen Ortschaften ermöglicht werden, ihre eigenen Angelegenheiten in einem bestimmten Maß weiterhin zu erledigen.
Zum Schutz der Gemeinden, die ihre Selbstständigkeit verloren haben, sollte die Ortschaftsverfassung nicht ohne Weiteres wieder aufgehoben werden können. Eingliederungsvereinbarungen wurden in der Regel in der Annahme abgeschlossen, dass die Abschaffung dieser Errungenschaft nicht ohne Zustimmung des Ortschaftsrats erfolgen kann. In Baden-Württemberg haben sich schon vor einigen Jahren einige Ortschaftsräte selbst aufgelöst, zum Beispiel in Buggingen. Dies geschah auch vor dem Hintergrund, dass in vielen Städten wie in Zell a. H. die unechte Teilortswahl abgeschafft wurde. Wie viele Ortschaftsräte es 1975 im Land Baden-Württemberg und Südbaden gab und wie viele davon heute noch bestehen, konnten gestern weder das Statistische Landesamt noch das Regierungspräsidium mitteilen. Im Ortenaukreis gibt es 58 Ortschaftsräte in 46 Städten und Gemeinden sowie weitere 43 in den Großen Kreisstädten über 20 000 Einwohner Achern, Kehl, Lahr, Oberkirch und Offenburg. Nach Einschätzung der Kommunalaufsicht hat sich seit 1975 kein einziger Ortschaftsrat im Ortenaukreis selbst abgeschafft.