Großes Interesse am Vordenker Arno Stern
Großer Bahnhof für Arno Stern: Der Forscher kam zusammen mit seinem Sohn André zum Vortrag in den ausverkauften Saal der Offenburger Waldorfschule. Der 91-Jährige stellte seine Idee der Formulation vor. Dabei geht es um das Malen als Äußerung, die weder zu bewerten noch zu interpretieren ist.
Da sitzt er, still und bescheiden, der Mann, der auch mit 91 Jahren noch die großen Hallen füllt. In Offenburg sind es rund 570 Personen – also so viele, wie der Saal der Waldorfschule fasst –, andernorts, wenn die Halle groß genug ist, auch 1000, die Arno Stern sehen wollen. Stern, der mit seinen Eltern vor den Nazis fliehen musste, lebt und arbeitet in Paris. Dort bietet er den sogenannten »Malort« an, in dem sich Kinder wie Erwachsene beteiligen. Was er zu sagen hatte, lockte nicht nur die Offenburger, sondern auch Gäste aus der Region inklusive Schweiz und den Niederlanden an.
Weil das Malen bei ihm in keiner Weise beeinflusst wird – es gibt weder Vorgaben zum Motiv noch wird am Ende etwas bewertet – entsteht ein sehr ursprünglicher Ausdruck. Stern führte beim Vortrag an sein Thema heran, indem er von eigenen, sehr frühen Kindheitserlebnissen berichtete. »Formulation« nennt Stern den Vorgang, wenn diese »organischen Erinnerungen« aufs Papier gebracht werden.
Die gleichen Zeichen
Sein Verdienst ist es, dass er die Frage aufwarf, ob sie sich unterscheiden. Bei seinen Reisen konnte er feststellen, dass sie gleich sind – wenn auch die Kultur noch so verschieden ist. Stern illustrierte dies mit Bildern, die auf seinen Expeditionen zu Urvölkern entstanden sind. »Sie nutzen die gleichen Zeichen«, sagte er. Er zeigte ein Segelschiff – aber das Kamel, das in der Wüste geritten wird, sah in der Darstellung nahezu gleich aus. Strahlenmännchen oder »Leitern« wurden als »Erstfiguren« vorgestellt. Seine Schlussfolgerung: »Ausdruck ist nicht Folge von Eindruck.« Ein »genetisches Programm« sagte Stern, liege da zugrunde.
Bei seiner bescheidenen, ruhigen Art dauerte es einen Moment, bis zu Zuhörer gewahr wurden, dass der Vortrag vorbei war. Aber Stern blieb noch auf der Bühne und stellte sich, gemeinsam mit seinem Sohn, den Fragen aus dem Publikum.
Unterhaltsam hatte als »Vorgruppe« sein Sohn André ebenfalls anhand vieler persönlicher Berichte den Abend eröffnet. »Ich bin André, vierjährig. Ich bin ein Junge und mag keine Bonbons, ich gehe nicht zur Schule.« Genau dieser etwas exotische Lebensweg ist es, der ihn wiederum zu einigen Erkenntnissen gebracht hat.
Grenzenlose Ressourcen
Sein Anliegen war es, den Zuhörern bewusst zu machen, wie Erwachsene die Kinder nie »sein« lassen, immer solle etwas aus ihnen werden, quasi eine »Plusversion«. Er sensibilisierte dafür, dass Kinder über eine »grenzenlose Ressource« verfügen – aus ihnen kann noch alles werden. Wie sein Vater plädierte er für ein genetisches Programm. Man wundere sich ja auch nicht, dass sich aus einem Mangokern Wurzeln und Blätter entwickeln.
Kinder, erklärte er, werden angetrieben von ihrer Begeisterung. Sie flute das Gehirn mit einem wahren Dünger, kam die Gehirnforschung zur Sprache. Doch während die Kinder alle zwei bis drei Minuten einen solchen Begeisterungssturm erlebten, komme das bei Erwachsenen durchschnittlich zwei bis drei Mal pro Jahr vor. Wenn Erwachsene die eigene Beschäftigung und den Entdeckergeist der Kiner nicht ernst nehmen und als »Spiel« degradieren, entstehe ein Konflikt.
Freilich wurde das alles mit viel Humor vorgetragen, etwa so: Wenn die Erwachsenen mit ihren Erziehungsmaßnahmen fertig sind, »ist da immer noch Schatten, und herausgekommen ist keine Plusversion, sondern ein Bonsai«.
Zudem führte er seinem Auditorium vor Augen, dass Erwachsene häufig Kindern nicht nur mit zu wenig Vertrauen, sondern auch mit geringen Respekt begegnen.
Nach Offenburg waren Vater und Sohn Stern übrigens auf Einladung von Stephanie Hirsmüller und Susanne Holzmann gekommen. Die beiden absolvierten eine Ausbildung bei ihm und richteten selbst »Malorte« ein.