Hebammen sind in großer Sorge

©Kirsten Pieper
Hebammen sind nicht nur Geburtshelferinnen, sondern Ernährungsberaterinnen, Psychotherapeutinnen und vor allem Vertrauenspersonen für Frauen. Doch die Existenz dieser Berufsgruppe ist in Gefahr. Wieso, das erfuhren über 100 Interessierte bei einem Infoabend.
Um auf die prekäre Situation der Hebammen aufmerksam zu machen, haben die beiden Offenburger Mütter Sarah Schulze und Petra Matern in Kooperation mit der evangelischen Erwachsenenbildung am Dienstagabend ins evangelische Gemeindezentrum in der Poststraße eingeladen. Gezeigt wurde der Film »Einsame Geburt – Hebammen in Not«. Die Regisseurin Nadine Peschel macht sich darin auf die Suche nach Ursachen für das Dilemma der Hebammen.
Vor allem das Dickicht aus unterschiedlichen Akteuren und deren gegensätzliche Partikularinteressen macht die Betrachtung für den Außenstehenden oft schwierig. Krankenkassen, Versicherer, Ärzte und letztlich die Hebammen stehen sich gegenüber. Sie alle kamen im Film zu Wort. Und dass bei Krankenkassen und Versicherern die Gewinnmaximierung im Vordergrund steht, war keine überraschende Erkenntnis, die zutage kam. »Eine rein ökonomische Betrachtungsweise funktioniert aber bei Familien nicht«, bilanzierte die Juristin Nina Straßner. Die Politik sei gefragt, einen Ausgleich zu schaffen, forderte die Familienrechtlerin im Film.
Hochemotionale Sache
Für den Gynäkologen Wolf Lütje war klar: »Die Hebammen sind für das Normale zuständig, die Ärzte für das Pathologische.« Und die Hebamme Christine Bruhn vom Geburtshaus Charlottenburg sagte: »Geburt ist keine Krankheit, sondern ein physiologischer Prozess und eine hochemotionale Sache, die nicht unter technisch-medizinischen Einfluss muss. Wenn wir nicht anfangen, junge Menschen von Geburt zu begeistern, dann wird die natürliche Geburt aussterben«, warnte sie. »Wir erschweren es den Familien, Ja zu einem Kind zu sagen, weil wir den Rahmen für Geburten abschaffen.« Sie verwies auf Zustände in den USA: Dort sei Geburtsvorbereitung Privatangelegenheit und von jeder Frau aus der eigenen Tasche zu bezahlen. Doch welche Lösungen kann es geben? Die Ansätze reichten von Haftungsobergrenzen, über einen Haftungsfonds aus Steuergeldern bis hin zu einer kompletten Reform des Gesundheitswesens.
In der anschließenden Podiumsdiskussion brach der Kehler Frauenarzt Eike-Hans Theopold eine Lanze für die Arbeit der Hebammen. Der niedergelassene Gynäkologe begleitet seit 27 Jahren unter anderem Hausgeburten in der Ortenau und bemängelte, dass Schwangere zusehends als ein medizinisches Risiko dargestellt würden. Für ihn ist die Geburt ein Kulturgut und damit eine hoheitliche Aufgabe des Staates. »Es geht immer um Kitaplätze, aber die Geburt wird vergessen.«
Schutzräume sind wichtig
Mela Pinter vom Geburtshaus Mayenrain bei Freiburg führte ihre Erfahrungen als Hebamme aus. »Wir Hebammen wissen seit Jahrhunderten, wie wichtig Schutzräume für Geburten sind. Es ist wichtig, diese Schutzräume weiter zu organisieren, sei es zu Hause oder im Klinikum.« Für die Vertreterin des Hebammenverbandes Baden-Württemberg, Christel Scheichenbauer, steht die Wahlfreiheit von Frauen auf dem Spiel. »Die aktuelle Entwicklung ist eine Beschneidung der Frauenrechte«, sagte sie bezogen auf die neuen Ausschlusskriterien.
Als Vertreter der Politik saß der Grünen-Landtagsabgeordnete Thomas Marwein auf dem Podium und kündigte an, sich engagieren zu wollen, wenngleich er einräumte, dass das Thema eher in der Bundespolitik angesiedelt sei. Eine junge Zuhörerin schien mit ihrem Beitrag vielen aus dem Herzen zu sprechen: »Wer hilft uns noch, wenn es keine Hebammen mehr gibt? Wir haben keine Großfamilie mehr, unser eigenes Kind ist oft das erste Baby, das wir überhaupt im Arm halten.« Christel Scheichenbauer vom Hebammenverband richtete ihren Appell an die Anwesenden: »Je mehr Leute uns unterstützen, desto mehr Gewicht bekommen wir.«
Die Situation im Überblick
Für die Hebammen, die in der Regel freiberuflich arbeiten, wird der Handlungsspielraum immer enger. Zum einen gibt es das Problem mit der teuren Haftpflichtversicherung. 6274 Euro muss eine Hebamme dafür derzeit im Jahr berappen.
Diese enorm hohe Summe hat bereits viele Hebammen zur Berufsaufgabe bewegt. Folge: Geburtshäuser mussten schließen, eine flächendeckende Versorgung vor allem im ländlichen Raum ist schwierig geworden und eine Eins-zu-Eins-Betreuung durch Hebammen in der Geburtshilfe kaum noch zu gewährleisten.
Hinzu kommt eine weitere Entwicklung: Ein Rahmenvertrag, der Ende September von einem Schiedsgericht ausgehandelt wurde, legt neue Ausschlusskriterien für Hausgeburten fest. In Zukunft sollen Schwangere, die den errechneten Entbindungstermin drei Tage überschritten haben und ihr Kind zu Hause gebären möchten, die Erlaubnis eines Arztes einholen müssen, sonst bezahlt die Krankenkasse die Geburt nicht.
Entmündigt?
Im Streit zwischen Hebammenverband und Gesetzlichen Krankenkassen hat Ende September eine Schiedsstelle sogenannte Ausschlusskriterien für Hausgeburten festgelegt. Eines dieser Kriterien ist die Überschreitung des errechneten Geburtstermins um drei Tage. Dann muss ein Arzt entscheiden, ob eine Hausgeburt durchgeführt werden darf.
Nach Meinung des Deutschen Hebammenverbandes werden damit die Hebammen entmündigt und ihnen die fachliche Kompetenz abgeschrieben. Folge ist, dass sie ihre »Kundschaft« an die Kliniken verlieren.