Mit Nägeln gegen das Leid im Krieg
In schwarzem Einband mit goldener Beschriftung und rotem Buchrücken bewahrt das ehrwürdige »Buch der Spender« die Namen derjenigen, die in Offenburg ein Opfer für Geschädigte des Ersten Weltkriegs leisteten. Das Rote Kreuz hatte im Jahr 1915 zu einer heute kaum noch bekannten Spendenaktion aufgerufen. Sie war – wie man heute sagen würde – aus werbestrategischen Gesichtspunkten genial und brachte in Offenburg 11 000 Reichsmark an Spenden ein.
Von der immensen Begeisterungswelle, die ganz Deutschland beim Kriegsausbruch am 1. August 1914 erfasst hatte, war ein Jahr später vergleichsweise wenig zu spüren. Inzwischen glaubte man kaum noch an einen schnellen Sieg, wie ihn die Väter 1870/71 erstritten hatten, und stellte sich auf eine entbehrungsreiche Kriegszeit ein. Die Versorgungslage war schwierig, Todesanzeigen gefallener Soldaten häuften sich. Am 23. August 1915 wurde Offenburg erstmals von französischen Flugzeugen bombardiert.
Idee mit Symbolkraft
Nicht nur die Soldaten im Feld, die Verwundeten, Invaliden, Kriegsgefangenen hatten zu leiden, sondern auch die Familien. Sie alle galt es mit »Liebesgaben« zu unterstützen, auch sollten Zusammenhalt und Kampfgeist gestärkt werden. Wie hätte man das besser tun können als durch die symbolträchtige, öffentlichkeitswirksame Nagelung großer Kriegswahrzeichen?
Seit der ersten Nagelung am 6. März 1915 in Wien verbreitete sich das Nagelfieber in Deutschland rasant und hatte im Herbst 1915 Offenburg erfasst. Hier wählte man kein martialisches Motiv, sondern das Stadtwappen. Mit dem Entwurf beauftragte die Stadt den Offenburger Bildhauer Franz Josef Simmler. Dieser lieferte ein rundes hölzernes Stadtwappen von einem Meter Durchmesser und den »Burgtürmen« mit dem offenen Tor in roter Farbe auf weißem Grund. Die goldene Umschrift: »Opfer aus großer, schwerer Zeit 1914/1915«.
Feierlich wurde das Wappen am 3. Oktober 1915 enthüllt. Die Offenburger mussten ihre Häuser beflaggen, Militärkapellen spielten beim Kriegerdenkmal auf. Auch das Deutschlandlied wurde gesungen, damals mit der heute verbotenen Strophe »Deutschland, Deutschland über alles«.
Anschließend wurden öffentlich die farbigen Nägel in die Felder des Stadtwappens eingeschlagen. Die goldenen Nägel für die Inschrift waren für drei Mark zu haben, die silbernen für zwei Mark, die roten für eine Mark. Für 50 Pfennige konnte man einen schwarzen Nagel erwerben. »Schlagt Euren Nagel in das Eiserne Stadtwappen« warb das Rote Kreuz im Offenburger Tageblatt. In fast allen Geschäften konnte man Gutscheine kaufen. Das Stadtwappen war zentral in der Feldpoststube neben dem Rathaus aufgestellt, jeder Spender durfte seinen Nagel selbst einschlagen.
Viele Spenden zu Anfang
Besonders in den ersten Wochen folgten viele dem Aufruf. Nach Juni 1917 spendeten nur noch die Mitglieder des Roten Kreuzes Geld. Die Versorgungslage war so schlecht geworden, dass niemand mehr Geld übrig hatte. Trotzdem sammelte man in Offenburg bis zum 29. August 1918 11 028 Mark und 90 Pfennige, die den Kriegsgeschädigten und ihren Familien zugestellt wurden.
Das genagelte Stadtwappen ist verschollen. Das Buch der Spender erinnert in der neuen stadtgeschichtlichen Ausstellung des Ritterhaus-Museums an die »eiserne« Spendenaktion.
Hintergrund: Die Nagelung der Stadtwappen
Zweck der Nagelungen war es, so der Wortlaut des Aufrufs, Geld für »Verwundete und Kriegsinvaliden in der Heimat« sowie für »Liebesgaben an die Krieger im Felde und in Gefangenschaft« zu sammeln. In Offenburg fand die Auftaktveranstaltung zur Aktion »Nagelung des Stadtwappens« am 3. Oktober 1915 statt. Im Offenburger Tageblatt vom 4. Oktober 1915 heißt es dazu: »Das Wahrzeichen […] stellt […] das Wappen der Stadt Offenburg dar: die roten Burgtürme mit offenem Tor auf weißem Grund mit der goldenen Umschrift ›Opfer aus großer, schwerer Zeit 1914, 1915‹«
Die Spender trugen sich ins »Buch der Spender« ein, das nach einer Notiz in der Akte im Stadtarchiv am 17. November 1927 zur Aufbewahrung ins städtische Archiv übergeben wurde. Laut dem Buch endete die Aktion am 29. August 1918, die letzte Einnahme wurde schließlich an »vier mittellose, verwundete Krieger abgegeben«.