So war der Gottesdienst zum Holocaust-Gedenktag im Ritterhausmuseum
Unter dem Titel „Stolpersteine in der Zeit“ wurde auch in Offenburg am 77. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz durch die Rote Armee der Opfer des Nationalsozialismus gedacht.
In einem berührenden ökumenischen Gottesdienst, veranstaltet vom Fachbereich Kultur gemeinsam mit der katholischen und evangelischen Kirche im Hof des Ritterhausmuseums, erinnerten die Seelsorger Peter Scherhans, Pfarrer im Ruhestand, und Marcel Oertwig, Leiter der Citypastoral, am Donnerstagabend auch daran, dass das Christentum über Jahrhunderte hinweg mitschuldig wurde an der grassierenden Judenfeindschaft. Nur wenige Christen hätten aufgeschrien, als ihre Mitmenschen herabgesetzt, verfolgt und grausam ermordet wurden.
Millionen von Menschen sind der Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten zum Opfer gefallen, Jüdinnen und Juden, aber auch Menschen, denen aus rassistischen, politischen oder religiösen Gründen ihr Leben genommen wurde.
100 Offenburger in Gurs
Wolfgang Reinbold, Leiter von Stadtarchiv und Museum im Ritterhaus, begrüßte die Teilnehmenden im kerzenbeleuchteten Innenhof, Markus Raus, Lehrer an der Musikschule Offenburg, begleitete den Gottesdienst mit jiddischem Klarinettenspiel. Reinbold erinnerte besonders auch an die über 100 Offenburger jüdischen Mitbürger, die nach Gurs verschleppt worden sind. Viele sind dort gestorben, viele wurden in die Vernichtungslager gebracht und dort ermordet.
Von einigen von ihnen erzählt auch die aktuelle Ausstellung „Gurs“ im Ritterhaus, die bis April verlängert wurde. Die Ermordung der jüdischen Mitbürger und Mitbürgerinnen sei eine Staatsräson des Dritten Reiches gewesen, kein Betriebsunfall der Geschichte, stellte der Museumschef heraus. „Wir erinnern an diese Menschheitsverbrechen, damit der Holocaust nicht vergessen wird.“ Leider könnten wir das Geschehen nicht wieder gutmachen, bedauerte er, wir könnten uns aber dafür einsetzen, dass so etwas nie wieder geschieht.
Das war auch ein besonderes Anliegen der vor zehn Jahren verstorbenen Offenburgerin Dorothea Siegler-Wiegand, die als sogenannte Halbjüdin schmerzhaft miterlebt hat, wie auch in ihrer Heimatstadt „die Menschlichkeit abhandenkam“, und die als große Mahnerin vielen noch in Erinnerung ist. Als die Offenburger Juden in der Turnhalle des heutigen Schiller-Gymnasiums zum Abtransport nach Gurs zusammengetrieben wurden, war sie als Augenzeugin zugegen.
Gegen Hass wehren
Lea Braun, Praktikantin im Museum im Ritterhaus, verlas die Rede, die Siegler-Wiegand beim Gedenkgottesdienst 2005 gehalten hat: „Wehren wir uns gegen Fremden- und Rassenhass, Antisemitismus und Verunglimpfung von Minderheiten. Schweigen wir nicht, wenn Unrecht geschieht. Sorgen wir dafür, dass schleichendes Gift nicht wieder salonfähig wird.“ Die ehrenvollste Art und Weise, der Toten zu gedenken, sei, die Lebenden zu schützen, heißt es darin weiter.
Theo Haas Praktikant im katholischen Jugendbüro, rezitierte das Gedicht „Chor der Tröster“ von Nelly Sachs, das vom Gestern und Heute spricht, wie von einer Wunde, „die offen bleiben“ soll und „noch nicht heilen darf“. Nicht einschlafen dürften „die Blitze der Trauer“.
Denn das Gedenken mache uns erst zu dem, was unser Menschsein in seiner Verschränkung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ausmacht, sagte der evangelische Pfarrer Peter Scherhans. Das Geschehene bleibe in seinen Dimensionen unvorstellbar. Das Erschrecken über die nackte Gewalt, die Menschen an Menschen auszuüben im Stande waren, erfasse uns immer wieder neu.
Auch wüssten wir nicht, wie wir uns selbst verhalten hätten. Er dankte den Überlebenden des Holocausts, die als Zeitzeugen über die Gräuel berichten und immer wieder vor allem auch jungen Menschen den Blick geschärft haben für die Macht des Bösen und für ein neues Miteinander. Er mahnte eindringlich, allen Versuchen zu widerstehen, den Holocaust zu relativieren und ihn etwa mit einschränkenden Pandemie-Maßnahmen gleichzusetzen.
Marcel Oertwig, Leiter der Citypastoral, ermunterte dazu, sich aller Gewalt, allen Formen des Rassismus und der Diskriminierung mutig entgegenzustellen. Er erinnerte an die aktuellen Konflikte und Kriege und auch daran, dass es Russen gewesen seien, die das Vernichtungslager Auschwitz befreit haben, und viele Menschen aus Russland und der Ukraine ihr Leben durch nationalsozialistische Gewaltherrschaft verloren haben. Gott möge allen, die über das Wohl und Wehe so vieler Menschen das Sagen haben, Weisheit schenken, dass ein friedvolles Zusammenleben in gemeinsamer Sicherheit ermöglicht werde.
Verbundenheit stärken
Seelsorger Marcel Oertwig richtete schließlich den Blick auch auf die eigene historische Verantwortung. Auch die Kirchen hätten dem Terror des Nationalsozialismus nicht mutig widerstanden. Sie seien sich des Gewaltpotentials gewahr, das mit der religiösen Orientierung verbunden sei, und suchten Gemeinschaft mit denen, die anders glauben. Besonders die Verbundenheit mit der jüdischen Religionsgemeinschaft solle gestärkt werden, sagte der Seelsorger.