Texte über Leben und Tod berühren Zuhörer

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Die vierte »Lesung in der Kapelle« des Waldbachfriedhofs bewies, dass sich diese Veranstaltung mittlerweile im kulturellen Leben Offenburgs etabliert hat. Cornelia Kalt-Jopen, Vorsitzende des Förderkreises Historischer Waldbachfriedhof, konnte zusammen mit der Vorsitzenden des Freundeskreises der Stadtbibliothek Offenburg, Jutta Collmann, fast 70 Gäste begrüßen.
Offenburg (red/cw). Die Kapelle war bis auf den letzten Platz besetzt. Auch dieses Jahr erwartete die Zuhörer ein abwechslungsreiches Literaturprogramm. Jutta Wellhöner stellte zunächst eindrucksvolle Passagen aus Hermann Kinders neuestem Buch »Der Weg allen Fleisches« vor.
Es gelang der Dekanin, die nüchterne, lakonische, aber auch groteske und komische Sprache des Schweizer Autors gekonnt wiederzugeben, der die Krankheit und den fortlaufenden Zerfall eines Menschen thematisiert. Die Gedanken des Erzählers hinterließen bei den Zuhörern einen tiefen Eindruck.
Der zweite Leser des Abends, Edgar Common, entführte die Zuhörer mit einem Kapitel aus Roger Willemsens Werk »Die Enden der Welt« in die ferne Welt Indonesiens, wo das Volk der Toraja auf der Insel Sulawesi einen besonderen Totenritus vollzieht. Der Kulturbüroleiter las spannend und konzentriert die Schilderung des Autors, der dieses Ritual erlebte, bei dem 50 Büffel geopfert werden, damit der Großvater bestattet werden kann. Die archaische Tötung der Büffel, die hier im Mittelpunkt steht, wurde sehr detailliert beschrieben. Common gelang es, das Leiden der Kreatur einfühlsam, aber auch distanziert vorzutragen, sodass der Text zwar sehr berührte, aber auch die Andersartigkeit und Fremdheit des Rituals deutlich wurde.
Sehr lebendig trug die dritte Vorleserin, Ute Dahmen, den Anfangsdialog aus Tiziano Terzanis Buch »Das Ende ist mein Anfang« vor. Der italienische Journalist Tiziano Terzani verbrachte die letzten Monate seines Lebens bewusst mit seiner Familie in der Toskana und spricht mit seinem Sohn über sein Leben, seine Erfahrungen, seine Krankheit und sein Sterben. Die Journalistin Ute Dahmen stellte einfühlsam und eindrucksvoll die Ansichten und Einsichten Terzanis vor.
Grüber liest Brecht
Der letzte Vorleser, der frühere Offenburger Oberbürgermeister Martin Grüber, hatte Brechts Erzählung »Die unwürdige Greisin« ausgewählt, auch weil diese Geschichte einen lokalen Bezug zur Region hat: Brechts Vater ist in Achern geboren. Brecht schildert das zweite, kurze Leben seiner Großmutter, die nach dem Tode des Großvaters zum Verdruss und Erstaunen der Familie ein eigenständiges Leben in der Kleinstadt führt. Martin Grüber traf bei seinem Vortrag überzeugend den Brecht’schen Duktus.
Cornelia Kalt-Jopen beendete die Lesung mit einem Gedicht der 1975 verstorbenen deutschen Schriftstellerin Mascha Kaleko, die selbstironisch ein Epitaph auf sich selbst verfasste. Die Veranstaltung, die viel Zuspruch gefunden hat, soll auch im nächsten Jahr fortgesetzt werden.