Voll Bock auf Rock beim »Agrar-Woodstock«
Extra-Winks gab es für Oma Anni aus dem Hessischen, Oma Agnes Sester aus einem »anderen Reichenbacher Tal« und Jürgen Zöller, einen der vielen Stammurlauber bei den Sesters, der sein Geld trommelnd verdient. »Seit Dienstag bin ich auf dem Hof«, sagte der BAP-Schlagzeuger, »beeindruckend, wie das alles hier aufgebaut wurde und wie alle Nachbarn im Tal ihre Höfe herausgeputzt haben.« Und dann »diesen steilen Hügel hier«, lächelte Christoph Stein-Schneider, der norddeutsche Gitarrist im giftgrünen Anzug der früheren Kultband »Fury in the Slaughterhouse«. Nach der »eiligen Zwischenmeldung« von Josef Sester, es sei wieder Huber-Sekt da, rückte der Hüne seine Sonnenbrille zurecht und hauchte ins Mikro: »Hey, ihr könnt wirklich feiern hier!« Nicht umsonst heißen Grillwürste bei diesem »sensationösen Festival«, so Zöller, »Rockwürste«.
Als bereits viele davon verzehrt waren, verabschiedete sich »Mainstreet« nach mehr als eineinhalb Stunden und einem starken Auftritt. Zu den Höhepunkten der Ortenauer Cover-Rockband um die Urgesteine Klaus Bayer und Armin Hertle zählten Deep Purples »Child in Time« und »Let it rain« von Amanda Marshall, das Sängerin Michele Adler derart tiefgreifend interpretierte, dass an diesem wolkenlosen Spätsommerabend im Publikum manch Träne kullerte. Bei »Summer of 69« sangen Paare, die das Licht der Welt in den 1960er-Jahren erblickt haben, auf ihren Picknickdecken liegend mit. Oder sie saßen auf Heuballenbänken. »Wir dachten, das sei eine gute Idee«, meinte Josef Sester. Ja, auch diese Idee ist gut für das »Agrar-Woodstock«, so Ortsvorsteher Markus Späth im Hardrock-Cafe-Shirt – wie die meisten Zuhörer berauscht von dem, was »Zöller-Network« drei Stunden zelebrierte, eine Rock- und Soulperlenkette.
Wie dieses Netzwerk mit Freunden des 64-jährigen Zöller musikalisch funktioniert, unterstrich der Ersatzmann. Ali Neander, Chef der Rodgau Monotones und bei der Rock-aufm-Hof-Premiere 2010 dabei, musste kurzfristig absagen und schickte mit Thomas Blug einen Virtuosen, der selbst dem grandiosen wie schlagfertigen Frontmann Olli Roth fast die Sprache verschlug: »Was soll ich sagen? Der Typ ist der Hammer!« Blug, 1997 als »bester deutscher Rock-Pop-Gitarrist« geadelt, wirkte wie die Zugabe auf unzählige Zugaben auf und neben der Bühne. »Kashmir« von Led Zeppelin riss ebenso mit wie deren »Whole lotta love«, bei dem Roth seine Stimmbänder in alle möglichen und unmöglichen Richtungen dehnte. Das perfekt rockende Quintett, das ohne gemeinsame Probe agierte, warf unausgesprochen die Frage auf, ob je eine bessere Cover-Version dieses mitreißenden Rockmeisterwerks zu hören war? »Ich bin glücklich«, antwortete ein Musik-Gourmet. »Badische Tapas, traumhafte Natur und Kultur pur mit Top-Musikern«, schwärmte eine Freiburgerin. Und die Zaungäste, Ziegen und ein Gänse-Quartett der Großfamilie Sester, hatten sich beim coolen »Cadillac Walk« von »Mister Groovybassman« Mink de Ville und dem gleichfalls starken Live-Bassisten Willy Wagner dem vibrierenden Bühnenhaus genähert.
Gut fürs Gemüt und den gemütlichen Rückweg durch den Wald oder die Fahrt mit dem zwischen Reichenbachs Waldbühne und Rathaus verkehrenden Bus war der Wink mit dem Zaunpfahl von Jürgen Zöller, dessen Körper all seine Serotonin-Reserven leerte, und glücklich erschöpft mit Irene Sester im Arm versprach: »Bis zum nächsten Mal!« Also bis Sommer 2014 in Reichenbach, im Zöller-Sester-Netzwerk.