Warum ein französischer Colonel zum Sturm aufrief

In einer Nacht-und-Nebel-Aktion ließen die Offenburger Hexen den „Kartoffelmann“ wieder auferstehen. ©Hexenzunft Offenburg
Die Offenburger Hexenzunft ist berühmt und berüchtigt. Wenige wussten jedoch von ihrem wuschligen Treiben, das zu einer unerwarteten Überraschung führte.
Sie können nicht nur Promis stempeln und junges Narrenvolk in ihre fahrbare „Rattenfalle“ sperren, die aktiven Hexen der Offenburger Hexenzunft verstanden es auch schon immer, das Narrenvolk über die Fasentzeit mit kreativen Streichen zu überraschen. „Das ist bei uns eine richtige Tradition, seit unsere Narreneltern Pauline und Karl Vollmer unsere Zunft gegründet haben“, erklärt Zunftmeister Sven Schaller.
Schaller erinnert sich an einen ganz besonderen Streich im Jahr 1953, als die Hexen glatt ein ehemaliges Monument in der Hauptstraße wieder närrisch auferweckten. „Bereits 1939 wurde der ‚Kartoffelmann‘, sprich das Denkmal von Sir Francis Drake, von den Nazis abgerissen“, erzählt Schaller. Viele Teile des Denkmals fand man später auf dem Gelände des heutigen Weinguts Schloss Ortenberg, wo sie damals vergraben wurden.
In einer Nacht-und-Nebel-Aktion ließen die Hexen das Drake-Denkmal wieder auferstehen, in dem sie einen überlebensgroßen Narren auf das provisorische Fundament setzten. Komplett mit Erdäpfeln, also Kartoffeln, war die mit einem Hexenbesen bewaffnete Gestalt verziert, die somit nur der Pose nach ihrem einstigen Original ähnelte. „Sir Francis Drake – er brachte die Erdäpfel von Amerika zu uns“, stand auf einem Plakat. Damit war gleichzeitig die Frage nach dem Ursprung des Namens „Kartoffelmann“ beantwortet.
Empfang à la Fischer
Dass der ehemalige Bauunternehmer Louis Fischer einst aktive Hexe war, wissen heutzutage nur die Wenigsten. „Ja, das war er, der Fischer Louis, und zwar ein sehr aktiver!“, erklärt Schaller. 1964 fand in Offenburg ein großes Narrentreffen der Vereinigung der Schwäbisch-Alemannischen Narrenzünfte (VSAN) statt. Natürlich begrüßten die Offenburger Hexen die per Sonderzug anreisenden Umzugsteilnehmer am Bahnhof. Auch der Fischer Louis war mit dabei, allerdings winkte der damals durchtrainierte Bauunternehmer den Gästen ganz oben von einem Fahnenmast direkt am Bahnhof zu. „Das war, so hat man mir erzählt, gleichzeitig auch sein letzter Auftritt als aktive Hexe bei uns“, erklärt der Zunftmeister.
Ein als harmlos empfundener Streich hatte jedoch ungeahnte Folgen, bemerkt Schaller – natürlich ohne die wirklichen Namen der Beteiligten zu nennen. In den 1960er-Jahren war eine altehrenwerte Hexe mit Hexennamen „Lätsch“ in Bohneburg unterwegs. Diese Hexe zählte zu den wildesten und ausgelassensten der Zunft. Sie wollte zu einem Umtrunk in das Hotel „Drei Könige“ einkehren, wo sich bereits andere Hexen verabredet hatten.
Frisch vom Friseur
Auf der anderen Straßenseite stieg zeitgenau der französische Colonel, also der befehlshabende Offizier der französischen Besatzungstruppen, in zivil zusammen mit seiner Ehefrau aus seinem Auto aus. Die Wege kreuzten sich. Die besagte Hexe wuschelte der Frau beim Vorbeigehen spontan durch die Haare – nichts ahnend, dass diese kurz zuvor beim Friseur war. „Lätsch“ lief weiter und zog sich wie geplant ins Hotel „Drei König“ zurück. Wie sich herausstellte, war der Colonel in der Zwischenzeit wutentbrannt nach Hause gefahren, hatte sich seine Militäruniform angezogen und aus der Kaserne die gerade eingeteilte Wachmannschaft abgezogen und unter sein Kommando gestellt.
Mit dieser mit Gewehren und scharfer Munition bewaffneten Wache kam er zum Hotel und ließ dieses erst umstellen und dann stürmen. Nach der „Eroberung“ des „Drei König“ wurden „Lätsch“ und auch alle anderen Zunftmitglieder verhaftet. Man kann sich vorstellen, dass die anwesenden Hexen von dieser Aktion völlig überrascht wurden, als sie sich einer bewaffneten Truppe gegenübersahen. Durch die Sprachbarriere wurde das Chaos nur noch größer.
Erst durch Hinzurufen der Polizei sowie nach langen Verhandlungen, unter anderem durch Vermittlung einer französisch sprechenden Hexe, konnte man den Colonel dazu bewegen, das ganze Thema auf sich beruhen zu lassen und die Soldaten abzuziehen.
Darauf hieß es im Offenburger Tageblatt: „… andere beschworen in badischem Französisch den Oberst: „Aber mon Colonel, ‘s isch doch Fasent!“ Erst durch das Einwirken des damaligen Zunftmeisters und einer ernst gemeinten Entschuldigung des mittlerweile kleinlauten Übeltäters, ging der Streich gerade nochmal gut aus.
Schaller lacht herzlich über die Geschichte und sagt: „Trotzdem galt und gilt nach wie vor für uns: Jedem zur Freud, niemand zum Leid!“