Warum viele »Irrtümer« in alten Weltkarten erklärbar sind
Um Waldseemüllers Weltkarten und die Interessen der »Pfeffersäcke« ging es in einem Vortrag von Martin Lehmann in der Stadtbibliothek. Er widmete sich speziell der Frage, inwiefern die Interessen der damaligen Machthaber eine Rolle für die alten Karten spielten – und wie diese auch »Irrtümer« erklären können.
Martin Lehmann, Dozent an der Universität Freiburg, hielt am Donnerstag in der Stadtbibliothek Offenburg einen lebendigen Vortrag über die Differenzen der Welt- und Seekarten aus St. Dié von 1507 und 1516 und deren vermutlich wirtschaftliche Hintergründe. Lehmann hatte über die »Cosmographiae Introductio« (Einführung in eine Welt-Beschreibung) des Matthias Ringmann geforscht und promoviert und dabei herausgefunden, dass bestimmte Teile Ostasiens topografisch eigentlich schon 1507 bekannt waren, aber nicht richtig abgebildet wurden. Was steckte hinter dieser Art »Fake news«?
Zu den Gewürzen
Spätestens seit 1460 suchten die Portugiesen den Seeweg nach Indien, das heißt »zu den lukrativen Gewürzen« um Afrika herum, um den teuren Zwischenhandel in Asien auszuschalten. 1487 erreichten sie das Kap der Guten Hoffnung (Bartolomeu Diaz) und schließlich 1498 Goa und Kalikut (Vasco da Gama). Da alle Indien-Fahrer bei der Rückkehr ihre Waren in Lissabon verzollen mussten, verfügte der portugiesische König schon bald über das größte Vermögen in Europa. Aber da hatte sich mit Kolumbus und der spanischen Krone ein mächtiger Konkurrent eingestellt.
Große Konkurrenz
Kolumbus war 1492 auf der Karibik-Insel Guanahani und 1498 in Venezuela gelandet, und er hielt sie bis zu seinem Lebensende für die östlichsten Ausläufer Indiens oder Zipangu (Japan). Man müsste also auch auf dem Westweg, der nach Kolumbus’
Meinung der kürzere war, direkt zu den Molukken, der Heimat des Pfeffers und der Gewürznelken, von Muskat und Zimt segeln können.
Diese Konkurrenz zwischen den beiden Seemächten Portugal und Spanien bestand schon lange und wurde im Vertrag von Tordesillas 1495 unter Vermittlung von Papst Alexander VI. (Borjá, einem Spanier) territorial geregelt. Man bestimmte einen Längengrad im Atlantik (heute 320 Grad östliche Länge) als Trennlinie der Einflusssphären: Alle neu entdeckten Territorien, die östlich lagen, sollten die Portugiesen beherrschen, alle westlichen neuen Länder die Spanier. Aber alles, was zwischen Amerika und Japan lag, – den ungeheuren Pazifik durchfuhr 1521 erstmals Magellan, – war den Europäern damals noch nicht bekannt, geschweige denn kartiert.
Martin Waldseemüller und seine Mitforscher in St. Dié waren aber keine unabhängigen Gelehrte, sondern lebten von der Gunst der Mächtigen, zum Beispiel von Kaiser Maximilian, dessen Mutter aus dem portugiesischen Königshaus stammte, oder von den Medici, die an den neuen Handelswegen höchst interessiert waren, nachdem Venedigs Glanz allmählich verblasste.
Ziel: den Weg verleiden
Als Amerigo Vespucci nach Südamerika aufbrach, – seine privaten Aufzeichnungen und Briefe sind die wissenschaftlich verlässlichsten Quellen –, durfte ein Vertreter der Fugger mitreisen, und das waren die Finanziers der Habsburger. So erklären sich die Ungereimtheiten oder »Irrtümer« in den Weltkarten einleuchtend aus den Interessen der Machthaber. Die neu entdeckten Länder und Kontinente wurden so dargestellt, dass sie den Spaniern den Westweg zu den Gewürzinseln verleiden sollten. Das wurde anders, als die portugiesischen Besitztitel in Indonesien gesichert waren. Die Karte und Welt-Beschreibung von 1516 ist schon deutlich objektiver als die von 1507.
Die Fragen der Zuhörer des Vortrags in der Stadtbibliothek richteten sich auf die erstaunliche Güte der Holzschnitte, auf die Definition von »Kontinenten« (das Zusammenhängende), deren Grenzen kulturgeschichtlich bestimmt waren, oder auf die Verbreitung der historischen Karten unter den europäischen Eliten. Es folgte abschließend ein großer Applaus der etwa 60 Zuhörer.