Was würde Luther zum »Denglisch« sagen?

Reiner Pogarell hat sich intensiv mit Martin Luther und dessen Auswirkungen auf die deutsche Sprache beschäftigt. ©Veranstalter
Das Reformationsjahr war für den Verein Deutsche Sprache (VDS), Regionalgruppe Ortenau, Anlass, das Thema »Luther und die deutsche Sprache« unter die Lupe zu nehmen. In der »Brandeck« sprach der Germanist und Sprachwissenschaftler Reiner Pogarell zu dem Thema.
In einer Vortragsveranstaltung hat die Regionalgruppe Ortenau des Vereins für Deutsche Sprache (VDS) den Blick auf die Entwicklung der deutschen Sprache vor und nach dem Wirken Martin Luthers geworfen. Dieser festigte ihre Vereinheitlichung entscheidend und machte sie historisch unumkehrbar. Die mitteldeutsche Sprachausprägung, die bereits zur Hof- und Kanzleisprache im Deutschen Reich avancierte, konnte durch die Bibelübersetzung und ihre weite Verbreitung durch den Buchdruck den Rang einer Hochsprache einnehmen. Die in zahlreiche Dialekte zergliederte Sprachlandschaft Deutschlands konnte sich somit auf ein starkes Zentrum ausrichten.
Einem weiteren Auseinanderdriften war nun Einhalt geboten, die Grundlage für die deutsche Klassik mit Goethe oder Schiller gelegt. So wundert es nicht, dass der Referent Reiner Pogarell europaweit Vorträge zu diesem Thema hält. Der Germanist, Publizist, Sprachwissenschaftler und Mitglied des Vorstands im VDS beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Reformator.
Luthers Bibelübersetzung, so Pogarell, verhalf dem Wort Gottes zu großer Verbreitung im Volk. Die damals enorme Auflage von 270 000 Exemplaren bei 20 Millionen Einwohnern entsprach einer zentralen Forderung Luthers, »Bildung für alle«, Männer und Frauen, zu gewährleisten. Die vertraute Sprache förderte die Alphabetisierung breiter Bevölkerungsschichten. Dagegen ging die Bedeutung des von den bisherigen Bildungsträgern verwendeten Lateins zurück.
Fortan zwei Kirchen
Neben der sprachlichen Bedeutung ist Luther historisch vor allem als wichtiger Reformator bekannt. Seine 95 Thesen von 1517 führten in Anbetracht weitverbreiteter Verweltlichung und Korruption in der katholischen Kirche zu einer Glaubensspaltung und schließlich zu zwei verschiedenen Kirchen in Deutschland, wie Pogarell in Erinnerung rief. Gegenreformatorische Bewegungen und die Bauernkriege verschärften die Situation weiter, sodass die Gegensätze zu bewaffneten Auseinandersetzungen führten und anschließend in den Dreißigjährigen Krieg mündeten.
Gewaltige Verwüstungen und der Verlust von 40 Prozent seiner Einwohner veränderten das damalige Deutschland so stark, dass der Referent von einem »Charakterwandel im deutschen Volk von lebenslustig zu ernst« sprach.
Lange nachgewirkt
Bis etwa zur zweiten Jahrtausendwende habe Luthers Anschauung, »dem Volk aufs Maul zu schauen«, verständlich für jedermann zu sein und abgehobene Elitensprachen, wie damals Latein, aus dem Fokus zu nehmen, nachgewirkt. Heute könnte man die Frage stellen, wie sich Luther zum »Denglisch«, der Sprachvermischung mit Englisch, äußern würde.
In einer abschließenden Diskussion, moderiert durch den VDS-Regionalleiter Erich Lienhart, die unterschiedliche Sichtweisen zum Reformator deutlich werden ließ, gab der Referent zu verstehen, Luther nicht nach heutigen Maßstäben zu beurteilen. Man möge ihn vielmehr aus seiner Zeit heraus verstehen. Dies gelinge, so Pogarell, besonders bei einem Besuch seiner Wirkungsstätten in Sachsen-Anhalt und Thüringen.