OT-Serie »D’ unter Fabrik«

Wie es 1857 zur Ansiedlung der Spinnerei und Weberei kam

Volker Ilgen
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14. Juni 2017
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(Bild 1/2) ©Stadtarchiv Offenburg

Die 1857 gegründete und 2008 stillgelegte Spinnerei und Weberei war über Jahrzehnte der größte Arbeitgeber in der Stadt. In seinem Buch »D’ unter Fabrik« zeichnet der Historiker Volker Ilgen die Geschichte des Unternehmens nach. In einer siebenteiligen Serie veröffentlichen wir Auszüge daraus. Heute: die Anfänge der Fabrik.

Am 9. Juli 1857 wandte sich ein Oberrechnungsrat aus Karlsruhe namens Ernst Haager, zu dieser Zeit Vorstand der »Obereinnehmerei«, das heißt des Finanzamts Wertheim, brieflich an das großherzogliche Oberamt Offenburg: »Das anerkannte Bedürfniß nach größerer Entwicklung der Baumwoll=Industrie, namentlich der Spinnerei und Weberei im Zollvereinsgebiete hat die Aufmerksamkeit von Sachkundigen auf die besonders günstige Lage Offenburgs und seine übrigen Verhältniße geleitet, und die nähere Untersuchung dieser Verhältniße hat in ihnen den Entschluß zur Reife gebracht, daselbst eine mechanische Spinnerei und Weberei mittels einer Actiengesellschaft zu gründen.« 

Die Geburt vermeldet

Was hier vermeldet wurde, war nicht mehr und nicht weniger als die Anzeige über die Geburt der Spinnerei und Weberei Offenburg. Der Oberrechnungsrat versicherte dem Oberamt, dass zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Schreibens bereits »die Hälfte des Kapitalbedürfnißes« durch eigene wie fremde Beteiligungen ersammelt wäre und außer ihm das »in der Spinn= und Weberei=Industrie allbekannte Haus von André Koechlin & Cie. in Mülhausen« sowie »der Maschinen=Ingenieur Carl Zinth in Offenburg« drei Tage zuvor »einen Gesellschaftsvertrag errichtet« hätten.

Dem von Anfang an keineswegs als Manufaktur, sondern als industrielles Projekt ins Auge gefassten Unternehmen, das im 20. Jahrhundert zeitweise zum größten Arbeitgeber des Ortenauzentrums aufsteigen sollte, lag eine sorgfältige Ortswahl zugrunde, wie Haager an anderer Stelle ausführte: »In Offenburg an der badischen Staatseisenbahn und der Mündung des Kinzigtales in das Rheintal ist ganz unmittelbar an der Stadt ein Gelände von 8 Morgen mit einer wirksamen Wasserkraft von 250 Pferden zu erwerben.

Die Baumaterialien sind hier aus den benachbarten Steinbrüchen, und als an einem Hauptplatze der bedeutenden Bauholzflößerei auf der Kinzig leicht und billig herbeizuschaffen. Das Heizungs=und Beleuchtungsmaterial ist hier wohlfeil wegen der benachbarten Steinkohlengruben und dem Holzreichthume des Schwarzwaldes. Die Arbeitslöhne sind in der dicht bevölkerten Gegend nicht hoch und für den größeren Theil des Arbeitsbedürfnißes ist in den zahlreichen Weberfamilien der umliegenden Orte eine leicht einzuübende Arbeiterklasse vorhanden, welche die ihr geboten werdende Gelegenheit zu einem sichern und beßern Lohn freudig ergreifen wird, zumal da für die Arbeiter auch in Zeiten der Arbeitsunfähigkeit durch eine Hülfscasse gesorgt werden soll.«

Verbindung ab 1855

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Nicht umsonst betonte Haager in seiner Projektvorstellung, dass die Ortenaustadt an die Eisenbahn angebunden sei, mit dem neuen Verkehrsmittel also erstklassige Transportmöglichkeiten für die Heranschaffung des Rohmaterials Baumwolle und den Abtransport der produzierten Waren, Garne und Tücher, bestünden. In der Tat hatte der Bau der badischen Hauptbahn zwischen Heidelberg und Basel mit der Herstellung des letzten Abschnitts zwischen Haltingen und Basel-Stadt nach längeren Verhandlungen mit den Schweizern vor gerade einmal zwei Jahren, das heißt 1855, seinen krönenden Abschluss gefunden.

Die Anbindung von Offenburg selbst und die wichtige Stichstrecke nach Kehl beziehungsweise Straßburg, mithin zum Rhein als einer weiteren Verkehrsader, wurden bereits 1844 fertiggestellt.

Auch das für die Fabrikbauten benötigte Gelände konnte, wenngleich Haager in der Projektvorstellung nicht näher darauf einging, wohl recht kostengünstig erworben werden: Am Mühlbach, denn der sollte die Wasserkraft liefern, standen zwei große Mühlen, deren eine Michael Armbruster gehörte und die im Volksmund die »untere Mühle« genannt wurde. Seitdem die Importgesetze liberalisiert worden waren und Offenburgs Bürger und Bauern schon längere Zeit nicht mehr durch den vorderösterreichischen Landvogt der Ortenau dazu gezwungen werden konnten, ihr Mehl in seiner Mühle mahlen zu lassen, liefen dort die Geschäfte schlecht. 

1853 stellte Armbruster seinen Betrieb ein und hoffte auf einen gnädigen Käufer für die gesamte Anlage. Insofern kam es 1857 dann zu einer »Win-win-Situation«, als die Initiatoren der Spinnerei und Weberei ein passendes Firmengelände für ihr Projekt suchten und Armbruster neben seinem Gelände ihnen zudem noch das Recht auf eine Wasserkraftnutzung für die von Haager oben angeführten 250 Pferdestärken anbieten konnte. Auch der nebenan gelegene Mahlbetrieb von Ölmüller Josef Nonn, die »obere Mühle« genannt, wechselte in diesem Zusammenhang den Eigentümer, mussten die Projektanten doch darauf bedacht sein, nicht zu kleinräumig zu planen. 

NÄCHSTE FOLGE: »Die Brände« – lesen Sie am Samstag, 17. Juni, was in der Offenburger Fabrik gegen solche Unglücke unternommen wurde.

HINWEIS: Volker Ilgen, »D unter Fabrik«, Geschichte der Spinnerei und Weberei, 128 Seiten, 12,90 Euro, ist im örtlichen Buchhandel und im Museumsshop erhältlich.

 

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