Zell-Weierbach: Philipp Lienert ist im Alter von 103 Jahren gestorben
Philipp Lienert aus Zell-Weierbach ist Dienstagnachmittag, 20. April, im Kreise seiner Familie im gesegneten Alter von 103 Jahren friedlich eingeschlafen. Philipp Lienert war ein Phänomen: Der Mann, der in seinem langen Leben über ein Jahrhundert der Geschichte an sich vorbeiziehen sah, war immer auch ein wacher Beobachter und Mitgestalter. Bis ganz zuletzt lebte er in seinem eigenen Haus an der Weingartenstraße und konnte sich mit Hilfe seiner im Nebenhaus wohnenden nächsten Verwandten noch gut selbst versorgen.
Philipp Lienert stammte aus Zell-Weierbach, wo er am 28. Oktober 1917 geboren wurde. Wie wohl alle Knaben war er vom Fliegen fasziniert – und wie sich herausstellte, auch ein Naturtalent in den Lüften. Als der Zweite Weltkrieg heraufdräute, wurde der begabte Segelflieger unweigerlich zur Luftwaffe eingezogen. Hautnah erlebte er zentrale Ereignisse dieser schrecklichen Jahre und kam mehr als einmal nur deshalb mit dem Leben davon, weil sein Können und sein instinktives Gespür für die Gesetze von Luft und Maschine ihm erlaubten, schier Unmögliches zu wagen und zu überstehen. Hellsichtig und politisch wach, durchschaute er aber auch die Menschenverachtung des Regimes, das bedenkenlos Leben vernichtete. Bis ins hohe Alter berichtete er lebhaft und mit sichtlicher Bewegung von den Gräueln, die er erlebt hatte, und warnte vor dem Vergessen.
1943 heiratete Philipp Lienert seine große Liebe Amelie Haberstoh aus Haslach. Seine Frau übrigens hatte für die Fliegerei nicht das Geringste übrig, genauso wenig wie für ihren Taufnamen. Sie wollte viel lieber „Amele“ genannt werden – und diesen Spitznamen pinselten die Fliegerkameraden Philipp Lienert auf seine „Ju 52“. Ein gutes Omen, das ihn immer wieder sicher auf den Boden brachte. „Amele“ verstarb, selbst hoch betagt, erst im vergangenen Jahr, was den nun Verstorbenen sehr schmerzte.
Fünf Kinder hatten die Lienerts, die 1948 ihr sehr charakteristisches Haus in der Weingartenstraße in Zell-Weierbach gebaut hatten. Die weißen Holzschindeln sind typisch für Amele Lienerts Heimat und fallen in Zell-Weierbach bis heute stilistisch auf.
„Osttangente“ verhindert
Dem gelernten Kaufmann Philipp gelang gleich nach dem Krieg der berufliche Einstieg bei der Firma AEG. Mit viel Herzblut und wachem politischem Verstand engagierte er sich ferner in der CDU und leitete ab 1959 den Ortsverein Zell-Weierbach. Darauf, dass es ihm gelang, die Mitgliederzahl zu verfünffachen, war er sehr stolz. Lange Jahre im Gemeinderat von Zell-Weierbach, saß er nach der Eingemeindung nach Offenburg 1971 auch im Ortschafts- und im Stadtrat. Er war sowohl für Bürgermeister Julius Stürzel als auch für den danach amtierenden Ortsvorsteher Klaus Basler Stellvertreter.
Die Eingliederung der Ortsteile und der wachsende Autoverkehr in Offenburg waren große Themen. Bis heute ist der Name Philipp Lienert mit der Verhinderung der „Osttangente“, die quer über die Waldbachsenke und die Weingartenkirche gegangen wäre, verbunden. Und der Vater von fünf Kindern machte sich schon zu einem Zeitpunkt über den Ausbau der frühkindlichen Betreuung Gedanken, als andere Lokalpolitiker dieses Thema noch ganz und gar nicht auf der Agenda hatten.
Der nun im hohen Alter Verstorbene galt als überaus strenger Zuchtmeister seines Ortsverbandes, und auch nach seinem Ausscheiden aus dem aktiven Geschehen interessierte er sich für das politische Tagesgeschehen. Noch im Jahr 2019 wurde er für sechzig Jahre Mitgliedschaft vom CDU-Ortsverband Rebland geehrt.
Bis fast ganz zuletzt konnte Philipp Lienert in seinem geliebten Haus wohnen, in dem er und „Amele“ ihre Kinder großgezogen hatten und in dem er viele Jahre danach seine Frau aufopferungsvoll versorgte. Es war ihm vergönnt, im Kreise seiner Kinder friedlich einzuschlafen. Die Beerdigung findet im engsten Familienkreis statt.