"Behindert fühle ich mich nur, wenn ich behindert werde"
Der heute 23-jährige Linus Zipfel ist dauerhaft auf den Rollstuhl angewiesen. Der Offenburger besuchte die Helme-Heine-Schule und berichtet über seinen weiteren Werdegang.
Als Grundschüler besuchte Linus Zipfel von September 2007 bis Juli 2012 die Helme-Heine-Schule in Offenburg. „Engagierte Lehrerinnen und Lehrer haben mich gefördert, und ich habe tolle Freunde gewonnen. Zu vielen habe ich noch heute Kontakt“, erinnert er sich gerne an das sonderpädagogische Bildungs- und Beratungszentrum mit dem Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung zurück. Dass es einen Förderkreis gibt, der Aktionen und Familien unterstützt, sei sehr wertvoll, „weil es die Möglichkeiten der Schule erweitert“. Die Weihnachtsaktion „Leser helfen“ unterstützt neben dem Elternverein Leben mit Behinderung Ortenau auch den Förderkreis der Helme -Heine -Schule.
Der inzwischen 23-Jährige aus der Offenburger Oststadt hat angeborene Kontrakturen in vielen Gelenken und eine defizitäre Muskelentwicklung. Deshalb ist er dauerhaft auf den Rollstuhl angewiesen.
Nach der Helme-Heine- Schule ging sein schulischer Weg in einer Außenklasse der Oberlinschule Kork im Anne-Frank-Gymnasium in Rheinbischofsheim weiter. „Ein sehr spannendes Projekt. Wo es möglich war, hatten wir als Gruppe oder einzeln Kooperationen mit Klassen oder Arbeitsgemeinschaften des Gymnasiums und konnten miteinander und voneinander lernen“, berichtet er.
Zweijährige Ausbildung
Danach begann seine berufliche Ausbildung im Berufsbildungswerk Neckargemünd. Zunächst absolvierte Linus Zipfel ein Berufsorientierungsjahr, in dem er auch den Hauptschulabschluss erwarb. Anschließend absolvierte er dort eine zweijährige Ausbildung zur Servicefachkraft für Dialogmarketing und schloss nach einem weiteren Jahr die Prüfung zum Kaufmann für Dialogmarketing ab. Seit Oktober 2023 ist bei einer Gesellschaft für Dialogmarketing in Offenburg beschäftigt. „Meinen Eltern war es von Anfang an wichtig, dass ich so ‚normal‘ wie möglich aufwachse, die bestmögliche Förderung erhalte und selbstbewusst am Leben teilhaben kann. Sie haben mir früh gezeigt, dass ich mich mit meinem Handicap keinesfalls verstecken muss.“ Früh habe er auch erfahren dürfen, was es heißt, Teil einer Gemeinschaft zu sein, beispielsweise bei den Ministranten oder im Orchester.
Linus Zipfel spricht von großem Glück, mit drei Geschwistern aufwachsen zu können, und von ihrem unkomplizierten Umgang miteinander. „Jeder war, wie er war, wir kannten es nicht anders. Sicher, wenn größere Operationen und Therapien anstanden, war das schon für die ganze Familie eine Herausforderung“, blickt er zurück.
Er ist dabei und fertig
Als Kind und Jugendlicher sei seine Beeinträchtigung auch unter Freunden nach dem Abbau anfänglicher Unsicherheiten kein großes Thema mehr gewesen. „Da ist halt der Linus im Rollstuhl mit dabei und fertig.“ Und geht es mal eine Treppe hinunter, packen seine Freunde mit an.
Leidenschaftlich gerne spielt Linus Zipfel Trompete in der Stadtkapelle Offenburg und im Musikverein in Bohlsbach. “Hier spielt die Musik!” − ob und welche Beeinträchtigungen Musikerinnen und Musiker haben, stehe nicht im Vordergrund.
Außerdem spielt er Rollstuhlbasketball in einer Mannschaft der Offenburger Behindertensportgruppe. „Es ist mir wichtig, meinen Alltag möglichst selbstständig bestreiten zu können. Behindert fühle ich mich eigentlich nur dann, wenn ich behindert werde: wenn beispielsweise Aufzüge an Bahnhöfen nicht funktionieren und eben vieles im öffentlichen Raum noch nicht barrierefrei ist.“
Als Betroffener sollte man sich nicht verstecken. „Für mich ist es wichtig, mich so zu akzeptieren, wie ich bin, und das auch auszustrahlen. Deshalb gehe ich mit meiner Einschränkung sehr offen um, aber hänge sie auch nicht an die große Glocke. Dazu noch eine gesunde Portion Humor, dann lebt es sich viel leichter“, wird Linus Zipfel deutlich.
Außerdem sei er noch keinem Menschen ohne Einschränkungen begegnet. „Niemand kann alles!“. Der Unterschied sei nur, dass man es beim einen sehen, beim anderen weniger sehen würde. „Wir gehören selbstverständlich und gleichwertig zur Gesellschaft, sollen offen mit anderen umgehen und uns unseren Möglichkeiten entsprechend ins öffentliche Leben einbringen. Gesellschaftliche Akteure müssen sich für ein Klima einsetzen, das Behinderte integriert und ihnen umfassende Teilhabe ermöglicht.“
Barrierefreiheit im öffentlichen Raum sei hier wichtig, ebenso Chancen bei Bildung und Arbeit. „Bei vielen öffentlichen Diskussionen zum Thema habe ich aber oft den Eindruck, es gilt, Behinderung wie einen Makel möglichst zu vermeiden. Dass Behinderte aber selbstverständlicher Teil des Lebens sind, ist oft wenig wahrnehmbar.“