Behindert nach Frühgeburt: Achtjährige verklagt Klinikärzte
Eine Achtjährige ist seit ihrer Geburt 2008 schwerstbehindert. Schuld daran soll die falsche Behandlung von Ärzten des Ortenau-Klinikums sein. Die Parteien verhandeln seit Mittwoch vor der 3. Zivilkammer des Landgerichts über die Höhe der Schmerzensgeldsumme.
Ein kleines Mädchen sitzt am Mittwochmorgen in einem Rollstuhl im Zivilprozess im Landgericht Offenburg. Statt zu sprechen, gibt sie nur ein paar Laute von sich. Sie ist gerade einmal acht Jahre alt und hat die behandelnden Ärzte des Ortenau-Klinikums auf ein Schmerzensgeld in Höhe von einer halben Million Euro und auf Schadensersatz verklagt.
Blindheit und Epilepsie
Vertreten wurde sie gestern vor der 3. Zivilkammer des Landgerichts – die Arzthaftungskammer – von ihren Eltern. Das Schmerzensgeld könnte weit höher liegen, sagte Joachim Indetzki, Rechtsanwalt der Eltern, da sie durch »grobe Behandlungsfehler« bei ihrer Frühgeburt Hirnblutungen und schwere Behinderungen erlitten haben soll – Bewegungsstörungen, Blindheit und Epilepsie seien die Folgeschäden.
Die Eltern des Mädchens beanstanden zu dem Schmerzensgeld auch Betreuungsgeld für die ersten sechs Jahre ihrer Tochter – da der Pflegeaufwand deutlich höher gewesen sein soll als bei einem normal geborenen Kind.
Johannes Pöschl, der als ärtzlicher Sachverständiger und Gutachter geladen war, bestätigte diese Einschätzung der Eltern gegenüber Richter Wolfgang Zimmermann. Als Chef der Neonatologie am Uniklinikum Heidelberg befasst er sich mit den speziellen Behandlung von Frühgeborenen und kranken Neugeborenen.
Zwei Vorwürfe
Den Ärzten werden vonseiten der Klägerin zwei konkrete Vorwürfe gemacht: Zum einen wurde die Mutter der Achtjährigen vor der Frühgeburt nicht in eine Spezialeinrichtung für Frühgeburten, dem Perinatalzentrum in Offenburg, verlegt. Stattdessen sei sie erst in einem anderen Ortenauer Krankenhaus geboren worden.
Des Weiteren wurde in dem Wissen, dass das Kind zu früh auf die Welt kommt, der Mutter vor der Geburt kein Kortison verabreicht. Da bei früh Geborenen Atemprobleme auftreten können, trage das Medikament dazu bei, dass die Lungen des Kindes schneller reifen.
Schwerwiegende Folgen wie Hirnblutungen und die Behinderung hätten mit dem Medikament laut dem Sachverständigen vermieden werden können. Zudem führte er aus, dass der Stress, dem das Kind ausgesetzt war, als es von einem Krankenhaus zum anderen gebracht wurde, eine Hirnblutung auslösen könne.
Die Folgen im Zentrum
Im Zentrum der Verhandlung stand jedoch nicht die ärtzlichen Fehler, sondern die schwerwiegenden Folgen für das Kind.»Welche Lebenserwartung hat das Kind?« wollte Richter Wolfgang Zimmermann von dem Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin wissen. Die Lebenserwartung bei normal geborenen Kindern liege mit einer Sauerstoffunterversorgung bei 40 bis 50 Jahren, erläuterte er. Im Fall der achtjährigen Klägerin sei diese noch eingeschränkter.
Zudem würden in den folgenden Jahren mehrere Krankenhausaufhalte auf das Mädchen zukommen, da ihre Körperhaltung eine Lungenentzündung begünstige. Sie werde derzeit über eine Magensonde ernährt, da sie unter einer Schluckstörung leidet – eine lebenslange Betreuung ist laut Pöschl unabdinglich.
»Sie kann nicht kommunikativ an der Welt teilnehmen«, so der ärtzliche Gutachter, sodass die Behandlungen in den Bereichen Logopädie, Physio-, Ergo-, und Esstherapie künftig eine wichtige Rollen spielen werden. Seine Ausführungen vor Gericht deckten sich mit den Vorwürfen der Klage und belasten damit die Klinikärtze.
Summe ist angemessen
Bei der Höhe des Schmerzensgeld waren sich die Parteien uneinig. Markus Hartmann, der Anwalt des Klinikums, bot ein Vergleichsangebot in Höhe von 400 000 Euro. Nachdem die Kammer beraten hatte, lautete das Vergleichsangebot 615 000 Euro. Die Richter hielten den Betrag der Klägerin von einer halben Millionen für angemessen.
In der Summe seien ebenfalls die Kosten für den Betreuungsaufwand der Eltern in sechs Jahren enthalten. Es sei ein klarer Fall, dass das Kind psychisch und physisch schwer betroffen sei, war sich die Kammer einig. Ob sich die Parteien auf einen Vergleich in Höhe von 615 000 Euro einigen, entscheidet sich in der Verhandlung am 25. August.