Brexit-Reaktionen von Wirtschaft und Politik in der Ortenau
Großbritannien hat abgestimmt – und zwar für den Austritt aus der Europäischen Union. Was sagen die Ortenauer dazu? Wir haben die Stimmen von Politikern und Menschen aus der Wirtschaft gesammelt und uns bei den Menschen auf der Straße umgehört.
Steffen Auer, Präsident der Industrie- und Handelskammer Südlicher Oberrhein (IHK):
- "Ich bedauere die Entscheidung für den Brexit sehr. Unsere Mitglieder müssen sich nun bei einem ihrer wichtigsten Handelspartner auf erhebliche Veränderungen einstellen. Immerhin ist Großbritannien neben den USA, Frankreich, China, der Schweiz und den Niederlanden einer der sechs großen Absatzmärkte für baden-württembergische Produkte. 2015 gingen 6,3 Prozent aller baden-württembergischen Exporte (12 Milliarden Euro) ins Vereinigte Königreich. Im Bezirk der IHK Südlicher Oberrhein haben laut der baden-württembergischen IHK-Firmendatenbank etwa 285 Unternehmen Länderverbindungen mit UK, wobei diese Zahl sicherlich nicht abschließend ist. Der deutsch-britische Handel wird nun schwieriger. Wie genau diese Schwierigkeiten aussehen werden, hängt von den Verhandlungen ab, die jetzt anstehen. Fest steht, dass zunächst alle Handelsverträge überprüft werden müssen. Rechnen müssen wir vermutlich erst einmal mit einem schwächeren Absatz deutscher Produkte in Großbritannien sowie in der ersten Zeit auch mit einer Investitionszurückhaltung. Aber auch über die wirtschaftlichen Aspekte hinaus ist der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU bedauerlich. Denn wir brauchen die Einigkeit, um unsere europäischen Werte in der Welt zu vermitteln. Europa kann nur bestehen, wenn es zusammensteht."
Manfred Hammes, Geschäftsführer Wirtschaftsregion Ortenau (WRO):
- Großbritannien ist ein wichtiger Handelspartner für Baden-Württemberg und die Ortenau. Das betrifft speziell Maschienenbauer und Automobilzulieferer, die ja hier in der Ortenau zu den wichtigsten Branchen gehören. "Da können Umsätze in einer Größenordnung von 600 Millionen Euro betroffen sein, die aber nicht einfach so und schnell wegbrechen", so WRO-Geschäftsführer Manfred Hammes. "Im wesentlichen geht es nach einem Brexit, um Verhandlungen über den künftigen Status Großbritanniens. Wird das eine Zollunion? Wird es weiter einen Zugang zum Binnenmarkt geben? Wird das ein Schweizer Modell?" Erst danach wird auch die WRO ihre Unternehmen in Workshops informieren und beraten. Vorher ist zuviel Spekulation dabei.
Stefan Räpple, Landtagsabgeordneter der AfD in Baden-Württemberg:
- "Allein den Schritt eine Volksabstimmung über den Verbleib durchzuführen ist lobenswert und auch für Deutschland zu wünschen", wird Räpple in einer Pressemitteilung zitiert. Demnach wertet er den Austritt Englands als erstes Zeichen des wichtigen "Zusammenbruchs des Brüsseler Bürokratenmonsters" und erwartet auch für Deutschland nach einer bundesweiten Volksabstimmung eine schleunige Rückführung der EU zu einer freundschaftlichen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) der Freiheit und der souveränen Staaten.
Matthias Ernst, kaufmännischer Geschäftsführer (Ernst Umformtechnik, Oberkirch-Zusenhofen):
- "Die Firma Ernst Umformtechnik hat keine direkten Handelsbeziehungen nach Großbritannien. Es gibt aber Autobauer wie BMW, die dort noch produzieren." Einen Austritt Großbritanniens, mit welchem künftigen Status auch immer, hielte Ernst für verkraftbar. Schwieriger sei der Dominoeffekt, dass auch in anderen Ländern Referenden über einen EU-Austritt stattfinden könnten. Sein Fazit ist eindeutig: "Ohne die EU und den Euro hätte Deutschland ein Problem. Es wäre sehr viel schwieriger, Produkte ins Ausland zu verkaufen." Deutschland hätte voraussichtlich ähnliche Wechselkursprobleme wie derzeit die Schweizer. Das Referendum sei aber ein Signal an die EU, sich zu verändern und die Wirtschaft weiter zu deregulieren. Bis zu einem möglicherweise endgültigen Austritt in zwei Jahren werde noch viel Zeit vergehen. Ernst hält es deshalb auch für möglich, sollte das Ergebnis des Referendums eine Wirtschaftskrise in Großbritannien auslösen, das über einen neuerlichen Beitritt verhandelt werden könnte. Die vielen Sonderrechte, die man den Briten bislang gewährt habe, dürfe es dann allerdings nicht mehr geben.
Joachim Schondelmaier, Chef der Schondelmaier GmbH Presswerk in Gutach:
- "Bis gestern Abend hätte ich noch geschworen, dass es nicht so kommt. Wir liefern Teile für BMW nach England und gehen davon aus, dass da wieder Zölle kommen, unser Kunde sagt: 'Schondelmaier, das müsst Ihr selbst übernehmen', und wir an den Teilen weniger verdienen. BMW produziert die Minis in England. Ich könnte mir vorstellen, dass die Produktion nach Österreich verlegt wird, wo eh schon der 'Countryman' gebaut wird. Das wäre fatal für England, wenn sich BMW dort zurückziehen würde. Die Währungsparitäten spielen für uns natürlich auch eine Rolle. Wenn das Pfund abrutscht, werden wir das kaum merken. Aber wenn der Dollar stärker wird, wäre das für uns von Nachteil, wir liefern viel in die USA. Spannend wird auch, was mit Schottland und Irland geschieht. Ob es etwa eine EU-Binnengrenze zwischen England und Schottland gibt. Aber die haben nun ja wohl zwei Jahre Zeit, die Verträge auszuarbeiten. Das wird eine spannende Zeit."
Magdalena Reuter, Geschäftsführerin von "American Homestyles" in Schenkenzell:
- Magdalena Reuter ist Geschäftsführerin von American Homestyles in Schenkenzell und handelt mit amerikanischem Country Decor und Dingen zum internationalen Landhausstil. "Wir beobachten seit heute Morgen gespannt die Kursentwicklungen von Euro, Dollar und Pfund – alles im freien Fall. Die Kursschwankungen sind für unsere Kaufstrategie sehr wichtig. Da müssen wir den richtigen Moment abwarten. Wir kaufen in Amerika ein und verkaufen international, auch nach England. Ich bin nicht panisch aber angespannt. Der Brexit wird sich auf unser Geschäft auswirken. Bleibt abzuwarten, wie. Ich bin auch gespannt ob es zu Referenden in Schottland und Irland kommt. Das wäre ganz verrückt."
Johannes Fechner, Bundestagsabgeordneter der SPD:
- Deutschland und die EU werden den Austritt wirtschaftlich verkraften, da sich die Briten an wichtigen Aufgaben sowieso nicht finanziell beteiligt haben. Die Briten haben in der EU viel blockiert und sich oft Rosinen herausgepickt. Sie haben mit dem Britenrabatt finanzielle Vorteile gehabt, aber fast keine Pflichten übernommen: Flüchtlinge sind nur sehr wenige aufgenommen worden und sinnvolle Regelungen wie die Finanztransaktionssteuer sind von Großbritannien blockiert worden. Insofern hält sich meine Trauer in Grenzen. Das Ergebnis muss aber ein Weckruf für Europa sein: Jetzt ist ein Neustart in Europa nötig. Europa muss bürgernäher, transparenter und gerechter werden, wenn es von den Bürgerinnen und Bürgern akzeptiert bleiben will. Einen Dominoeffekt, dass andere Länder nun auch austreten, befürchte ich nicht. Die massiven Nachteile eines Austritts wird Großbritannien schon bald spüren. Das wird anderen EU-Ländern, die überlegen auszutreten, deutlich zeigen, dass die Zeit nationaler Lösungen von länderübergreifenden Herausforderungen - wie der Flüchtlingskrise oder dem Klimawandel - vorbei ist und die EU-Mitgliedschaft im nationalen Interesse aller Länder in Europa ist.
Statement der Hansgrohe-Gruppe, Schiltach:
- Die Hansgrohe Gruppe erwirtschaftet knapp 80 Prozent ihres Gesamtumsatzes im Ausland und liefert Armaturen und Brausen in über 140 Länder – so auch nach Großbritannien. Der Inselstaat ist ein wichtiger Absatzmarkt für das Unternehmen. Hansgrohe ist seit 25 Jahren mit einer eigenen Niederlassung in Esher, südwestlich von London, vertreten. 2015 wuchs der Umsatz in Großbritannien um 29 Prozent. Dabei profitiert das Unternehmen selbstverständlich vom europäischen Binnenmarkt. Von unserem globalen Logistikzentrum in Offenburg/Elgersweier beliefern wir auch unsere Kunden jenseits des Ärmelkanals. Im Falle eines Austritts Großbritanniens aus der Europäischen Union müssen wir uns auf erschwerte Exportbedingungen nach Großbritannien vorbereiten. Außerdem sind einige der knapp 80 Mitarbeiter unserer Niederlassung im Vereinigten Königreich nicht britische EU-Bürger. Eine notwendige Neuverhandlung der Arbeitnehmerfreizügigkeit würde Hansgrohe ebenfalls betreffen.
Elvira Drobinski-Weiß, Offenburger SPD-Bundestagsabgeordnete:
- "Verbessern statt bekämpfen - so sollte die Devise mit Blick auf die EU lauten. Umso trauriger ist der heutige Tag für Europa", kommentiert die Offenurger SPD-Bundestagsabgeordnete Elvira Drobinski-Weiß das britische Votum für den Austritt aus der EU in einer Pressemitteilung der SPD. Das Votum gefährde die Einheit Europas aber auch die Einheit des Vereinigten Königreichs. "Angesichts der Vielzahl internationaler Krisen ist das genau der falsche Weg. Mehr denn je müssen wir in der EU zusammenhalten", wird die Sozialdemokratin weiter zitiert. "Cameron hat sich verzockt. Sein Fall ist eine Warnung für Politiker in ganz Europa. Wer die EU ständig zum Sündenbock macht und versucht mit antieuropäischen Parolen Stimmen zu fangen, der wird die Geister, die er rief, nicht mehr los."
Kordula Kovac, südbadische CDU-Bundestagsabgeordnete aus Wolfach:
- "Heute ist ein trauriger Tag für Europa. Die Entscheidung der Briten, aus der EU auszutreten, ist ein Einschnitt in der Geschichte der europäischen Einigung. Für die EU als einzigartige Solidar- und Wertegemeinschaft ist es ein schwerer Schlag. Die genauen Folgen dieser Entscheidung hängen jedoch davon ab, wie Deutschland und die anderen Mitgliedsstaaten mit diesem Ergebnis umgehen. Wir dürfen jetzt keine voreiligen Schlüsse ziehen, sondern müssen in Ruhe analysieren und eine europäische Lösung finden. Wenn wir auf den globalisierten Märkten bestehen wollen, braucht es einen starken Wirtschaftsverbund, der auf verlässlichen und solidarischen Partnern fußt. Sicherlich sind erhebliche Zweifel am europäischen Einigungsprozess bei vielen Bürgerinnen und Bürgern in Europa vorhanden. Es ist dringend notwendig, dass Einende und die vielen Vorteile mehr in den Vordergrund zu stellen und den Bürger transparent zu machen. Vor allem darf nicht vergessen werden, dass die zugrunde liegende Idee hinter dem 'Haus Europa' der Frieden nach zwei Weltkriegen und Millionen von Toten ist! Diese Lehre aus der Geschichte Europas darf niemals in Vergessenheit geraten. Und die derzeitige Weltlage zeigt auch, dass Frieden eben keine Selbstverständlichkeit ist! Klar sollte aber auch sein: Die EU ist kein Rosinenkuchen! In den jetzt folgenden Austrittsverhandlungen ist der richtige Weg der, der anderen Ländern keinen Anreiz bietet. Wer weiterhin in den Genuss einzelner Segnungen des Binnenmarktes kommen will, muss dafür auch Gegenleistungen erbringen. Persönlich erschreckend finde ich, was das Abstimmungsverhalten bei näherem Hinschauen zeigt: Letztendlich wurde die Zukunft durch die Vergangenheit eingeholt. Die Mehrheit der unter 50-Jährigen hat sich für den Verbleib Großbritanniens in der EU ausgesprochen."
Ewin Aberle, Geschäftsführer von Richard Neumayer Gesellschaft für Umformtechnik, Hausach:
- Das ist die gelbe Karte für Europa. Wichtig ist, dass nun die richtigen Lehren daraus gezogen werden. Inwieweit die Hemmnisse für den wirtschaftlichen Austausch zwischen der EU und Großbritannien beeinträchtigt werden, kann man noch nicht abschätzen. Ich glaube, dass es eine enge Partnerschaft zwischen der EU und Großbritannien geben wird - ob die besser sein wird, bleibt abzuwarten.
Kenneth Croose Parry, Hornberg:
- Man kennt Kenneth Croose Parry in Hornberg als überaus offenen und an vielen Themen interessierten Bürger, der sich überdies für Flüchtlinge einsetzt. Trotz seines Alters ist er immer noch weltweit auf Reisen unterwegs und pflegt nach wie vor enge Kontakte nach England und Irland, obwohl er schon viele Jahrzehnte in Deutschland lebt. Der Witwer der verstorbenen Hausenstein-Tochter Renée-Marie zeigt sich auf Anfrage über das Abstimmungsergebnis in Großbritannien schlicht »schockiert«. Die meisten jungen Leute dort seien dauerhaft besorgt und stimmten für einen Verbleib in der EU. »Ich denke, wir sollten alle zusammen daran arbeiten, Europa stark zu machen, um einen großen Einfluss in einer Welt zu haben, die Vernunft braucht«. Von einem Freund aus Großbritannien habe ihn eine ebenso besorgte Reaktion erreicht: »Wir enden alle in einem geteilten Land und in einer geteilten Gesellschaft. Während die mehr ländlichen Regionen und jene an den Küsten für einen Austritt gestimmt haben, sprachen sich London, Schottland, Nordirland und die wohlhabenderen Gebiete des Südostens für einen Verbleib aus. Interessanterweise stimmten auch die Städte Cambridge, Oxford, Brighton und Bath mit großer Mehrheit für einen Verbleib, während in Birmingham das Ergebnis 50/50 ausfiel.