Ortenau
Dossier: 

"Cleopha 87": Ganz oben aufgelegt

Anja Rolfes
Lesezeit 7 Minuten
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20. Juli 2017

(Bild 1/3) ©Ulrich Marx

Schwingen Sie um die 45 herum? Sind Sie im Nachtleben der Region groß geworden? Erinnern Sie sich an »Cleopha 87«? Vor 30 Jahren schoss Walter Holtfoth mit seiner rollenden Disco ganz nach vorne – bis er abrupt ausgebremst wurde. 

Der Mann mit Hut – einst füllte er Woche für Woche die Hallen und Discos in der Region. »Whole lotta love« (Led Zeppelin), »Am Fenster« (City), »Welcome to heartlight« (Kenny Loggins) – zu seinem Sound der 60er bis 80er tanzten die Massen. Dann kam der abrupte Absturz. Nur Grafenhausen hielt ihm auch in schlechten Zeiten die Treue. Hier feiert Walter Holtfoth (60) am Samstag, 29. Juli, auf dem Sportplatz nicht nur 30 Jahre »Cleopha 87«, sondern auch seine Wiederauferstehung. Mittlerweile zieht seine rollende Disco wieder, und er hat erst im Oktober knapp einen Herzinfarkt überlebt.

Hut trägt Holtfoth 2017 immer noch. Wie 1987. Am DJ-Pult, auf der Straße. Sein Markenzeichen. Aus der Not geboren. Im Herzen ein Langhaariger musste als junger Mann die Mähne auf dem Kopf mehrfach dem gefragten Kurzhaarschnitt der normalen Arbeitswelt weichen. »Mit Hut konnte ich das immer kaschieren«, erzählt er. Irgendwann blieben die Haare lang und der Hut passte trotzdem.

Auch sein Sound ist der gleiche. Gestern wie heute. »Ehrliche, handgemachte Musik von Menschen, nicht Maschinen.« Das will er für sein Publikum spielen. »Was wollen wir trinken, sieben Tage lang« (Bots). »Hells bells« (AC/DC). »Dazu das, was an Aktuellem reinpasst.« Metallica musste da Anfang der 90er sein. Oder jetzt »Lola Montez« von Volbeat.

Zum Träumen gebracht

Es ist der Takt, zu dem er aufgewachsen ist. Der ihn zum Träumen brachte. »In den späten 70er-Jahren habe ich mit Freunden Musik gemacht.« Er war der Sänger, schrieb die Texte. »Wir wollten berühmt werden wie alle.« Anfang der 80er-Jahre nahm er mit der Band »Clips« sogar eine Platte auf. Aber im Rennen um den Ruhm waren andere schneller. Holtfoth merkte: »Mit dem Auflegen habe ich mehr Chancen, Geld zu verdienen.«

Als DJ machte er »im zarten Alter von 15« seine ersten Gehversuche, und Schritt für Schritt ging es nach oben. In den 70er-Jahren drehte er in einigen Discos in der Region am Regler. »Im Kings Club in Lahr. Im Schuppen in Rust. Das war damals eine In-Disco, eine richtige Rock-Disco, die selbst aus Basel Leute anzog.« Oder im »Drivolli« in Herbolzheim, in dem er den Übergang zum legendären »Atlantis« erlebte.

Das Geld der Nacht reichte ohne Job am Tag noch nicht zum Leben. Holtfoth, aufgewachsen erst in der Schweiz, dann in Lahr-Sulz, hatte Kaufmann gelernt und war im Vertrieb unterwegs. »Ich hatte schon immer eine große Klappe.« In Nadelstreifen und Krawatte verkaufte er Büromaschinen. »Mit 30 war ich knapp am Burnout. Der Druck in der Branche war immens groß. Deshalb habe ich versucht, das Hobby ins Professionelle zu ziehen.« Die Geburtsstunde von »Cleopha 87«. Cleopha – »ich wollte den Bezug herstellen zu der Zeit im Schuppen, der in der Kleophastraße stand. Aber mit K kannst du das auf kein Plakat schreiben. Deshalb habe ich dem Namen mit C einen griechischen Touch gegeben.« 87 – »wegen dem Jahr, in dem ich anfing«.

Fans folgten ihm

Der erste Auftritt war am letzten Juli-Wochenende 1987 beim DRK-Fest am Apostelsee in Ettenheim. Dann legte er in Kneipen auf. Wie im »Salmen« in Herbolzheim, der so voll war, dass die Fans mehr auf der Stelle zappelten als tanzten. »Wegen des Lärms mussten die Fenster mit Matratzen bedeckt werden mit dem Effekt, dass wir jede halbe Stunde lüften mussten«, erinnert er sich. »Und die Leute haben das mitgemacht!« Im »Rindfuß« in Kippenheim. »Da konnte ich bleiben, bis durch das Hüpfen der vielen Leute die Statik im Saal gefährdet war. Notgedrungen musste ich 1988 raus aus den Kneipen.« Rein in Hallen. Seine Fans folgten ihm. Und es wurden immer mehr. 

Anfangs war Holtfoth in der südlichen Ortenau und dem nördlichen Breisgau unterwegs. Doch bald gehörte ihm das Gebiet zwischen Teningen und Kappelrodeck, Kehl und Hornberg. »1990 hatte ich 186 Termine. Unter der Woche legte ich in Discos auf. Mittwochs im Milieu in Hausach, donnerstags im Barfly, dem späteren Nachtwerk, in Lahr. Freitags und samstags war ich in Festzelten und Hallen. Und den Tag vor einem Feiertag nahm ich auch mit«, erzählt er. »Das war meine erfolgreichste Zeit.«

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Holtfoth hatte es geschafft. Ein Leben mit und von Musik. Im Rampenlicht. »Es waren 3000 Leute in der Woche, die irgendwo aufgeschlagen sind. Wenn du da auf der Bühne stehst und der Schädel vor lauter Endorphinen explodiert – das ist ein Glücksgefühl. Es gibt nichts Schöneres.« Der Mann mit Hut hob ab. »Ich war ein Träumer. Irgendwie habe ich mir meine eigene Welt geträumt, in der ich niemand Rechenschaft schuldig bin.« Nur Vater Staat, der »im sechsstelligen Bereich Steuern« kassierte.

Und heute?

Heute lebt Holtfoth bescheiden in Friesenheim. Statt teurem Mercedes fährt er einen günstigen Opel. Mit Platten-Musik nahm er damals viel Geld ein. Für Live-Musik gab er es gleich wieder aus. »Promis in die Provinz war mein Motto.« Zum Einjährigen von »Cleopha 87« spielten am See bei Ettenheim beispielsweise unter anderem City und China. Oder 1990 kam Golden Earring zum Open-Air nach Ottenheim. »Mit 3000 Leuten habe ich gerechnet. Doch bei 14 Grad und Regen kamen nur 1500. Da blieb eine Deckungslücke von 100 000 Mark.« Nazareth platzte ein Termin. Ein Anruf bei Holtfoth und er organisierte innerhalb einer Woche einen Auftritt im »Milieu«. »20 000 Mark Gage, dazu der ganze Werbeaufwand. Verdient habe ich da nichts.«  

Doch das brach Holtfoth nicht das Genick. Das waren Techno und Schlager. Zwischen 1993 und 1994 war das eine oder das andere plötzlich der Sound, zu dem die Menschen tanzten. »Cleopha 87«? Abgehängt. »Das Runterfahren ging nicht schleichend. Das ging hopplahopp«, erinnert sich Walter Holtfoth. Im Barfly wurde es zum Beispiel Woche für Woche weniger. 800 Leute. 400. 200. Null.« Die Termine, die er drei Jahre im Voraus geplant hatte, musste er absagen. »Das zieht dir den Boden weg. Das war eine bittere Zeit. 1995 habe ich das Gewerbe abgemeldet.« 

Geld musste Holtfoth wieder tagsüber verdienen. Er tat das, was er neben dem Auflegen gut kann: reden. Er war wieder Verkäufer, mal übers Telefon, mal übers Internet. »Cleopha 87« hatte er aber nicht ganz beerdigt. »Ein, zwei größere Sachen gab es jedes Jahr.« Das Open-Air in Grafenhausen zum Beispiel – in guten wie in schlechten Zeiten. »Dazu kleine private Jobs.«

Fans sind wieder da

Dann kam Franzi. Seit 2014 trägt der Mann nicht nur Hut, sondern auch Ehering. Im Herzen reich, doch im Geldbeutel sah es eher leer aus. Also doch wieder Musik? In einer Kneipe in Friesenheim gab es ein Auflegen zum Warmwerden. »Nächster Schritt war der Geroldsecker Guller in Lahr.« Die Leute drängten in den Laden. Weitere Auftritte. Weitere Open-Airs. Die Fans sind wieder da. »Das sind die Leute, die mit mir älter geworden sind, die ich mit 18 abgeholt habe.« Hallen allerdings füllt er nicht. »Die Vereine sind nicht da, die das machen«, erklärt er. Denn auch am Geschäftskonzept hat sich nichts verändert: Er kassiert den Eintritt, ein Verein übernimmt die Bewirtung.

2016 ist Holtfoths erfolgreichstes Jahr – und beinahe sein letztes. Am 26. Oktober kippt er im Europa-Park Rust um. Herzinfarkt. Stillstand. Ein Schweizer Polizist legt sofort Hand an. Herzmassage. »Er brach mir sechs Rippen, aber ich bin für jede dankbar«, sagt Holtfoth. Heute ist er um »sechs Stents« und die Erfahrung reicher: »Es klingt wie ein Klischee. Aber jeder Tag ist ein Geschenk.«

Der Mann mit Hut lebt wieder und »Cleopha 87« auch. Die Leute tanzen wie vor 30 Jahren zu Songs wie »Was wollen wir trinken sieben Tage lang«. Für Walter Holtfoth gibt es heute auf diese Frage allerdings nur eine Antwort: »Mit Mineralwasser geht es auch.«

Nächste Woche lesen Sie: Warum vier Offenburger ihr Bier in einer Backstube brauen und es »Friedrich« nennen.

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