Der Europarat – eine Erfolgsgeschichte
Besonders beim Aufbau von stabilen Demokratien und bei der Integrierung der früheren kommunistischen Diktaturen hat sich der Europarat große Verdienste erworben. Das erklärt Eberhard Kölsch, deutscher Botschafter bei der in Straßburg ansässigen Einrichtung, im Interview. Der Europarat feiert in diesem Jahr sein 60-jähriges Bestehen.
Ω Herr Botschafter, der Europarat feiert jetzt sein 60-jähriges Bestehen. Was hat seinerzeit zur Entstehung des Europarats geführt?
Kölsch: Der Europarat wurde 1949 unter dem Eindruck des Erlebens des Zweiten Weltkriegs gegründet. Die beteiligten Regierungen wollten erreichen, dass sich so eine Katastrophe nicht wiederholt. Im Europarat sollten die Regierungen zusammenarbeiten, ohne ihre Souveränität aufzugeben. Das Ziel war, die Menschenrechte, die Rechtsstaatlichkeit und Demokratie in den Ländern zu fördern. Das wurde in der Europäischen Menschenrechtskonvention, die 1953 in Kraft trat, fixiert.
Ω Hat man diese hochgesteckten Ziele erreicht?
Kölsch: Der Europarat hat eine große Erfolgsstory vorzuweisen. Es ist in Westeuropa gelungen, überall stabile Demokratien einzurichten – auch in den Ländern Spanien, Portugal und Griechenland, die erst später Demokratien geworden sind. Ferner hat der Europarat Großes bei der Vorbereitung der Erweiterung der EU nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Staaten geleistet. Der Europarat hat den damaligen »Transformationsländern« geholfen, sich zu reformieren und damit die Reife zum EU-Beitritt zu erlangen. Die 1993 fixierten »Kopenhagener Kriterien«, zu denen die Akzeptanz einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung sowie die Achtung der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit zählten, wurden durchgesetzt.
Ω Diplomaten sind für ihre Diskretion bekannt. Was machen Sie und Ihre Mitarbeiter eigentlich genau in der deutschen Vertretung?
Kölsch: Kernaufgabe des Europarats ist die Festlegung auf Kriterien, die alle Mitgliedsstaaten zu erfüllen haben. Das muss auch überwacht werden. Dazu gehören ganz konkrete Kategorien wie der Minderheitenschutz, die Wahrung der Grundrechte und der Menschenwürde. Verschiedene Einrichtungen wie das aus den Außenministern bestehende Ministerkomitee, die parlamentarische Versammlung, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg und der europäische Menschenrechtskommissar sind daran beteiligt. Diese arbeiten zwar viel im Verborgenen. Das kommt jedoch der Qualität ihrer Arbeit zugute.
Ω Ein Beispiel?
Kölsch: Ein gutes Beispiel ist der Minderheitenschutz in den Balkanstaaten nach dem Zusammenbruch des früheren Jugoslawien. Dass es in weiten Teilen gelungen ist, akzeptable Lösung zu finden, ist auch ein Verdienst des Europarates.
Ω Wie beteiligt sich die deutsche Repräsentanz an diesen Initiativen?
Kölsch: Da das Ministerkomitee nur einmal im Jahr zusammentrifft, wird der Hauptteil der Arbeit von den Vertretungen der Mitgliedsländer geleistet. Ich sehe meine Kollegen praktisch wöchentlich, um die anhängigen Fragen zu besprechen. Dabei geht es meist um die Wahrung der Menschenrechte in den Mitgliedsländern. Wir beschäftigen uns auch mit den zu ergreifenden Maßnahmen bei Fehlentwicklungen.
Ω Manchmal kommt es wohl zu handfesten Interessengegensätzen . . .
Kölsch: Die Kunst besteht darin, dass wir die Meinungsverschiedenheiten auf professionelle Weise nur mit Worten austragen, ohne dass hinterher große Wunden zurückbleiben. Wir müssen ja wieder zusammenarbeiten.
Ω Oft wird kritisiert, dass Demokratie und Meinungsfreiheit in Russland nicht geachtet werden.
Kölsch: Über solche Defizite wird auch im Europarat gesprochen. Russland ist Mitglied im Europarat. Das nutzen wir, um im ständigen Dialog auf Veränderungen hinwirken zu können. Auch vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sind zahlreiche Fälle mit Russland-Bezug anhängig.
Ω Gibt es noch andere Mitgliedsländer beim Europarat, bei dem es mit der Demokratie schlechter bestellt ist?
Kölsch: Es ist nicht meine Aufgabe, das zu bewerten. Probleme gibt es sicher auch anderswo, denken Sie an den Schutz der Minderheiten auf dem Balkan. Ich sehe es als Aufgabe des Europarats, die entsprechenden Länder in ihrer Entwicklung zu fördern.
Ω Das setzt voraus, dass seitens der Regierungen ein Wille da ist, Demokratie und Freiheit zu fördern. Unterstellen Sie das?
Kölsch: Davon gehe ich aus. Allerdings ist die Reform eines Landes eine Sache der ganzen Bevölkerung, nicht nur der politischen Führung. Es müssen auch die nachgeordneten Instanzen, der öffentliche Dienst, die Richter, den Mut dazu haben, ihr Verhalten zu ändern. Es handelt sich um einen Prozess, der von der Zivilgesellschaft gefördert werden muss.
Ω Haben Sie schon Kompromissen zugestimmt, obwohl Sie nicht überzeugt waren? Etwa im Georgien-Konflikt im vergangenen Jahr?
Kölsch: Richtig ist, dass der Menschenrechtskommissar des Europarats, Thomas Hammarberg, mehrmals dort hingefahren ist, um zu überprüfen, ob in diesem Konflikt Menschenrechte verletzt wurden. Seine Berichte waren für unsere Einschätzung der Situation sehr wichtig.
Ω So ganz zufrieden waren Sie offenbar nicht.
Kölsch: Wir stellen hohe Ansprüche an uns selbst und sind eigentlich nie ganz zufrieden.
Ω Wie viel Geld hat denn der Europarat zur Verfügung.
Kölsch: Der Haushalt beläuft sich im Jahr auf 205 Millionen Euro – sehr wenig, wenn man es etwa mit den 134 Milliarden Euro im EU-Haushalt für 2009 vergleicht.
Ω Welche Interessen verfolgt Deutschland im Europarat?
Kölsch: Ich glaube nicht, dass sich die deutschen Interessen von denen der anderen Ländern groß unterscheiden. Die gemeinsame Schnittmenge aller nationalen Interessen liegt bei 95 Prozent. Es geht eben um die Förderung von Stabilität, Demokratie und Menschenrechten.
Ω Vor Kurzem hat Deutschland die Konvention des Europarats zur Bekämpfung der Cyberkriminalität unterzeichnet. Was hat das für Auswirkungen?
Kölsch: Wir haben für die deutsche Seite die Ratifikationsurkunde für diese Konvention bereits hinterlegt. Es handelt sich um eine weltweit einzigartige Konvention. Andere internationalen Organisationen haben etwas Vergleichbares noch nicht geschafft. Und das führt dazu, dass auch Nichtmitglieder des Europarats sich diese Norm zu eigen machen.
Ω Was wird konkret verbessert?
Kölsch: Es geht einmal um den Datenschutz für die Computerbenutzer. Die Privatsphäre soll geschützt werden. Es geht auch um den Kampf gegen Pornographie. Auch der Missbrauch von illegal abgefragten persönlichen Daten soll verhindert werden. Wer die Konvention unterzeichnet, verpflichtet sich zum Handeln.
Ω Gab es darüber hinaus weitere wichtige Initiativen?
Kölsch: Wichtig war uns immer der Kampf gegen die Todesstrafe. Es ist uns 2008 gelungen, den Tag des Kampfes gegen die Todesstrafe durchzusetzen. Das ist der 10. Oktober. Damit haben sich einzelne Mitgliedsländer schwergetan.
Ω Terry Davis, Generalsekretär des Europarats, wird bald aufhören. Mittlerweile sind die früheren Ministerpräsidenten von Norwegen und Polen, Thorbjørn Jagdland und Wlodzimierz Cimoszewicz, als Nachfolgekandidaten von den Außenministern nominiert werden. Die Parlamentarische Versammlung will zusätzlich den Belgier Luc Van den Brande und den Ungarn Matyas Eörsy für die Wahl im Juni vorschlagen. Gibt es keinen deutschen Kandidaten?
Kölsch: Nein, es gibt keinen deutschen Kandidaten. Ich bitte im Übrigen um Verständnis, dass wir Personalfragen nicht in der Öffentlichkeit diskutieren.
Ω Wie sollte sich der Europarat in den kommenden Jahren entwickeln?
Kölsch: Auf jeden Fall sollte die Öffentlichkeit mehr über dessen Arbeit erfahren. Der neue Generalsekretär muss vermitteln können, wie wichtig die Einrichtung ist. Das ist nicht ganz einfach, denn es geht ja oft um abstrakte Themen. Ich denke, der Europarat kann auch mithelfen, ähnliche Einrichtungen in anderen Teilen der Welt aufzubauen. So gibt es einen Gerichtshof für Menschenrechte in San José in Costa Rica und Ansätze im südasiatischen Raum. Wenn ein Anstoß kommt, können wir uns dort beteiligen.
Zur Person: Eberhard Kölsch
Seit 2006 ist Eberhard Kölsch Ständiger Vertreter der Bundesrepublik Deutschland beim Europarat in Straßburg. Der 65-jährige promovierte Politologe stammt aus Weidenstetten in der Nähe von Ulm. Er kam 1972 zum Auswärtigen Amt. Tätig war er unter anderem bei den Vereinten Nationen in New York, in Port of Spain (Trinidad & Tobago) sowie als Botschafter in Mexiko.