Deshalb können Kunden bald individuellere Produkte bestellen
Andrea Müller von der Hochschule Offenburg forscht an Vertriebswegen für die Industrie 4.0. 3D-Drucker spielen dabei eine immer wichtigere Rolle.
Menschen, die in den letzten Jahren ein Auto bestellt haben, dürften das kennen. Die Hersteller stellen im Internet Konfiguratoren bereit. Ohne auch nur einen Fuß in die Halle eines Autohändlers setzen zu müssen, kann man sich dort mit ein paar Mausklicks sein Wunschfahrzeug zusammenstellen. Die Konfigurationsmöglichkeiten gehen dabei schon längst über die Außenfarbe und den Motor hinaus. Schöpft man alle Optionen aus, gibt es Millionen von möglichen Konfigurationen.
So viele Wahlmöglichkeiten lässt die Industrie ihren Kunden bislang aber nur selten. Andrea Müller will mit ihrer Forschung dafür sorgen, dass sich das ändert. Sie ist Professorin an der Fakultät für Betriebswirtschaft und Wirtschaftsingenieurwesen an der Hochschule Offenburg. Momentan gebe es solche umfangreiche Individualisierungsmöglichkeiten nämlich vor allem für Privat- und weniger für Geschäftskunden, erläutert sie. Einen Turnschuh, der auf die eigenen Bedürfnisse zugeschnitten ist, könne man beispielsweise auch jetzt schon bestellen. Selbst die eigene Müslikreation könne man sich im Internet zusammenstellen.
Schon immer möglich
»Individualisieren war schon immer möglich«, stellt die Professorin fest. Allerdings sei es bisher meist noch so, dass ein Berater der Produktionsfirma zum Kunden fahre und dort ein Verkaufsgespräch führe. Stattdessen sollen auch Geschäftskunden sich künftig auf einer App oder mit einer Webseite ihre Produkte selbst zusammenstellen können.
Müller erforscht unter anderem, wie die Kommunikation zwischen Unternehmen und ihren Kunden gelingen kann. Das ist aber gar nicht so einfach. »Vieles ist im Kopf des Kunden drin und kann durch das Medium Sprache gar nicht übermittelt werden«, beschreibt Müller das Problem. Auch beim Kundenberater gebe es sehr viel spezifisches Wissen. Das in eine funktionierende Schnittstelle umzusetzen, bedeute heute noch einen sehr hohen Aufwand.
Versuchen zu verstehen
Momentan sind Müller und ihre Mitarbeiter damit beschäftigt, bestehende und sich in der Entwicklung befindliche Onlineshops zu analysieren. »Wir versuchen zu verstehen, wo die Probleme liegen« erläutert sie. Dazu setzt sie sich mit dem Erleben der Kunden beim Einkaufsprozess, der sogenannten Customer Experience, auseinander.
Wenn der Trend zu individiualisierten, in kleinen Stückzahlen hergestellten Produkten geht, drängt sich die Frage auf, wie sich diese Entwicklung auf den Preis auswirkt. Müller geht zwar davon aus, dass etwa die Kosten für die Lagerhaltung sinken werden. Sie sagt aber auch: »Der Kunde hat eine höhere Bereitschaft, für individualisierte Produkte mehr Geld auszugeben.«
Höhere Preis
Abgesehen von den höheren Preisen ist die Professorin aber überzeugt davon, dass die Vorteile für die Kunden überwiegen. Zunächst sei eine Bestellung über die Online-Bestelltools sehr viel bequemer. Außerdem erhalte der Kunde nach eigenem Bedarf sehr viel mehr Informationen über das Produkt. Genau das ist es, was sich Kunden in den vergangenen Jahren angewöhnt haben.
Dabei wird die Entwicklung beschleunigt von Erfahrungen, die Geschäftskunden in ihrem Privatleben machen. Vorreiter in diesem Bereich sind laut der Professorin ausgerechnet die Medien. Dort seien schon in den 90er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts alle Produktionsschritte digitalisiert worden. Damit gemeint seien etwa Texterfassung und Textgestaltung, erläutert die Professorin. Sie denkt aber auch an Online-
streamingdienste, wie zum Beispiel Netflix oder Amazon. Die Leute seien es mittlerweile gewohnt, immer auf Inhalte zugreifen zu können. Das würde sie auch in anderen Branchen erwarten.
Stärker vernetzt
Diese veränderten Vertriebswege, sind Teil der Industrie 4.0 – einer Entwicklung, die Unternehmer zur Zeit elektrisiert, wie kaum eine andere. Gemeint ist damit, dass Maschinen zunehmend stärker vernetzt werden. Es spielten aber auch neue Produktionsprozesse eine Rolle, und dass die Industrie zunehmend darauf setzt nicht nur etwa Maschinen anzubieten, sondern auch die entsprechenden Dienstleistungen.
Eine Rolle in dem Prozess spielen 3D-Drucker. Das eine Stichwort, das in diesem Zusammenhang immer wieder fällt, ist Rapid Prototyping. »Das bedeutet, dass ein Prototyp virtuelle entwickelt und dann als Einzelstück produziert beziehungsweise gedruckt wird«, erläutert Müller.
Professorin mit Vision
Die Professorin hat die Vision, dass 3D-Drucker künftig vermehrt bei Dienstleistern oder zu Hause als Produktionsmittel für kundenindividuelle Produkte rund um die Uhr eingesetzt werden. Sie weiß, dass das momentan noch ein bisschen nach Zukunftsmusik klingt: »Wir hätten uns nie vorstellen, können, dass wir einmal selbst produzieren würden.« Genau darauf wird es aber hinauslaufen, wenn es nach Müller geht. »Man wird die Daten eines Produkts auf seinen Rechner laden und das Produkt dann ausdrucken können«, sagt sie. »Die Daten sind in diesem Szenario wichtiger als das Produkt.« Müller spricht in diesem Zusammenhang von »einem riesen Potenzial«. Auch für diese Entwicklung gibt es schon einen englischen Fachbegriff: Desktop Manufacturing.
Was nach Science Fiction klingt, ist schon längst Realität in vielen Ortenauer Betrieben. Das ist jedenfalls die Beobachtung der Professorin: »Es gibt viele Firmen, die das hier bewegt.«
Mittelständler beteiligt
Dabei ist diese Entwicklung keineswegs eine Sache der großen Unternehmen. »Ich kenne große und fortschrittliche Unternehmen aus der Region, die schon sehr weit sind«, sagt die Expertin zwar. Viele Mittelständler seien aber gleichermaßen an dem Thema interessiert.
Andrea Müller
Prof. Dr. Andrea Müller ist Expertin für Direktmarketing und E-Commerce und hat seit März 2012 den gleichnamigen Lehrstuhl an der Hochschule Offenburg inne. Von 1995 bis 2003 war sie Projektleiterin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) in Stuttgart. An der Hochschule Albstadt-Sigmaringen übernahm sie Lehraufträge im Masterstudiengang Bekleidungstechnik. Sie leitet seit dem Sommersemester 2016 den neu eingerichteten Masterstudiengang Dialogmarketing und E-Commerce und forscht in mehreren Laboren am Campus
Gengenbach.