Epilepsie als Tabu-Thema: Psychologin erzählt, wie es Kindern geht

(Bild 1/2) ©ULRICH MARX
Bei der 25. „Leser helfen“-Benefizaktion dreht sich alles um die Epilepsieklinik in Kork. Sara Dietrich, Psychologin in der Kinder- und Jugendklinik des Epilepsiezentrums in Kork, erklärt im Interview, wie man dem entgegenwirken kann. Und sie berichtet, wie wichtig eine psychologische Unterstützung für Betroffene und Angehörige sein kann.
Frau Dietrich, Epilepsie ist eine schwere Erkrankung. Was macht dieses Wissen mit dem Patienten?
Eltern und Patienten hilft es sehr, wenn sie eine gute und fundierte ärztliche Aufklärung über die Diagnose erfahren haben und es Raum gibt, Ängste und Sorgen offen anzusprechen. Die allermeisten Familien wünschen sich eine offene Kommunikation mit dem behandelnden Arzt. Die Hoffnungen sind oft sehr groß, es bestehen auch Ängste, dass Anfallsfreiheit nicht gelingen kann. Bei meiner täglichen Arbeit mit den noch sehr jungen Patienten im Alter bis sechs Jahre steht die Elternarbeit natürlich im Vordergrund. Aber es ist ganz zentral, auch die Kinder altersgerecht und in ihrer Sprache über Erkrankung und Therapie aufzuklären sowie mögliche Fragen und Sorgen zu besprechen. Kleine Kinder haben uns Erwachsenen viel voraus, sie nehmen die Situation wie sie ist, leben mehr im Hier und Jetzt und geraten weniger bis gar nicht in Grübeleien über sorgenvolle Zukunftsvisionen. Ich erlebe die kleinen Patienten als extrem tapfer, mutig und lebensfroh, wie schwierig die Epilepsie auch sein mag.
Benötigen auch Kinder, die an Epilepsie erkrankt sind, psychologischen Beistand?
Nicht zwangsläufig. Wenn es gelingt, dass die Familie die Krankheit annehmen und verarbeiten kann und ein „normales“ Leben möglich ist, so gut es eben geht in Abhängigkeit von der Anfallssituation, kann es auch ohne psychologischen Beistand gehen. Viel wichtiger für die Kinder ist, dass ein Alltag im häuslichen Umfeld möglich ist und es so viel Normalität wie möglich erlebt. Vieles hängt natürlich vom Verlauf der Epilepsie ab.
Wie können Sie als Psychologin den Patienten dabei helfen?
Auf der Kleinkindstation versuche ich vor allem durch eine gute und intensive Eltern-arbeit den Patienten zu helfen. Die Eltern stehen oft noch am Anfang der Krankheitsverarbeitung, Ängste und Sorgen über die Zukunft und die Entwicklung ihres Kindes stehen im Vordergrund. Das gesamte Team versucht, die Eltern zu beraten und zu unterstützen, um mit den Auswirkungen der Epilepsie, den vielen Fragen und möglichen Verhaltensauffälligkeiten des Kindes besser umgehen zu können.
Je älter die Kinder sind, desto wichtiger sind auch psychologische Einzelgespräche, um die Kinder aufzuklären, zu stärken und ihren Ängsten und Sorgen Raum zu geben. Der Blick weg von der Krankheit hin zu den Ressourcen der Kinder ist sehr wichtig. Kein Kind besteht nur aus Krankheit, es gibt immer auch gesunde Anteile, die es zu stärken gilt.
Wie helfen Sie den Angehörigen?
In den Gesprächen geht es um Psychoedukation, das heißt um eine ausführliche Krankheitsaufklärung. Die Krankheit hat Einfluss auf so gut wie alle Lebensbereiche der Familien. Es geht ums Zuhören und Beraten, um Fragen zu Entwicklung und Erziehung angesichts der Krankheit und möglichen Verhaltensbesonderheiten, aber auch um Trauerarbeit, ums gemeinsame Aushalten und darum, den Blick zu erweitern – weg von der erlebten Hilflosigkeit und den lähmenden Ängsten, hin zu Handlungsfähigkeit und dem Stärken der Ressourcen. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist das Aufbauen und Stärken eines guten Netzwerkes, sodass die Verantwortung rund um die Erkrankung und die Betreuung des Kindes mit Epilepsie nicht ausschließlich bei den Eltern liegt. Oft ziehen sich Unterstützer wie Großeltern oder Freunde, manchmal auch Kindergärten, erst mal zurück, weil ihnen die Verantwortung zu groß oder die Ängste, einen Anfall mitzuerleben und dann „falsch“ zu handeln, zu groß erscheinen. Hier helfen eine ausführliche Beratung und das Miteinbeziehen des sozialen Umfelds.
Drehen sich alle von Ihnen geführten Gespräche um die Erkrankung?
Nein, je weiter die Familien in der Krankheitsverarbeitung sind, desto weniger Raum nimmt die Krankheit auch in meinen Gesprächen ein. Steht eine Familie ganz am Anfang, ist die Diagnose noch ganz frisch, dann drehen sich natürlich auch meine Gespräche erst mal hauptsächlich darum. Für die Familien ist es zentral zu lernen, wie sie langfristig mit dieser chronischen Erkrankung umgehen und wie viel Raum die Krankheit in ihrem Leben einnimmt und einnehmen darf.Hier haben die Familien einen großen Einfluss und sind gar nicht hilflos – denn jede Familie kann für sich entscheiden, ob sich im Alltag alles ausschließlich um die Krankheit dreht. Viele Familien schaffen es, Unterstützungen anzunehmen und sich Entlastung zu suchen und diese auch zu nutzen.
Epilepsie ist oft ein Tabu-Thema. Wie kann man dem entgegenwirken, dass diese Krankheit stigmatisiert wird?
Aufklären, aufklären, aufklären und Vorbehalte sowie bestehende Ängste nehmen. Nicht müde werden zu erzählen, wie viele Arten von Epilepsie es gibt und dass das Bild, was die meisten Menschen von einer Epilepsie haben, eben nur ein Teil ist.
Bei jedem kann sie anders aussehen. In jedem Fall ist Angst nicht hilfreich, weder für die Patienten noch die Familien. Ein offener Umgang wäre schön, sodass für alle Familien, in denen ein Familienmitglied Epilepsie hat, die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben möglich ist und sich niemand verstecken oder schämen muss.
Dafür sammelt die Benefizkation Leser helfen
◼ ein neues Therapiepferd für die Hippotherapie,
◼ einen mobilen Snoezelen-Wagen (Snoe-zelen ist eine Entspannungsmethode aus den Niederlanden),
◼ die erstmalige
Anschaffung digitaler Aufklärungsmittel wie
Videos für Betroffene und Angehörige,
◼ und die Existenzsicherung der einzigen Epilepsieberatungsstelle in Baden-Württemberg.