Es braucht mehr Teilzeit-Wohnplätze für Eltern herzkranker Kinder

©Familie Herm
Die Spendenuhr tickt und tickt. Gestern standen rund 85.000 Euro auf dem Zähler, aber die Benefizaktion „Leser helfen“ der Mittelbadischen Presse zugunsten der Elterninitiative „Herzklopfen“ geht weiter. Denn für eine neues, größeres Elternhaus wird viel Geld benötigt. Warum dringend mehr Teilzeit-Wohnplätze für Eltern herzkranker Kinder notwendig sind, erzählt heute das Elternpaar Herm aus Zell a. H.
„Wir wären froh gewesen, wir hätten so etwas gehabt“, sagen Sabine und Georg Herm. Sie meinen damit die Elternwohnung, die es ihnen ermöglicht hätte damals, nahe bei ihrem Sohn Daniel zu sein. Vier Monate lang pendelten Sie täglich 120 Kilometer zwischen Zell am Harmersbach und der Kinderherzklinik in Freiburg. Die Oma und der Opa passten daheim auf die zweijährige Luisa auf.
Das war vor 23 Jahren. Mit dem 14. April 1999, dem Tag an dem er geboren wurde, begann Daniels Kampf ums Überleben und ließ die Eltern zu Kämpfern werden.
Die Diagnose war erschreckend: „Herzfehler, blind, eventuell taub, nur eine Niere, Fehlbildungen an den Genitalien, Ohren und an zwei Fingern“, zählen die Eltern auf. Der diagnostische Herzkatheter wurde am dritten Tag gesetzt. Das Ergebnis Pulmonalatresie mit Ventrikelseptumdefekt. Weil sich der Zustand des Jungen verschlechterte, musste bereits an seinem sechsten Lebenstag operiert und ein Shunt gesetzt werden. Zuvor erhielt Daniel in der neonatologischen Intensivstation eine Nottaufe, weil die Chancen schlecht um ihn standen.
2001 stand die große Herz-OP an, bei der Daniel eine tierische Herzklappe mit Gefäß (Xenograft) eingesetzt und andere kleine Fehlbildungen korrigiert wurden. „Die Chancen standen 50 zu 50. Vier Jahre später folgte nochmal eine Operation am offenen Herzen. Er kämpfte und überstand die nächste Hürde“, so Georg Herm.
Daniel entwickelte sich langsam. In der Zwischenzeit hatte sich der Verdacht bestätigt, dass Daniel das Charge Syndrom hat, ein seltener Defekt, der verschiedene Körperteile betreffen kann.
Noch eine Herzklappe?
Der Junge besuchte den Schulkindergaten für Körperbehinderte in Offenburg und im Anschluss daran dort auch die Körperbehindertenschule, er lernte laufen und sich mental zu äußern. Als Daniel die weiterführende Oberlinschule in Kork besuchte stand eine erneute Operation an. 2012 wurde ihm eine Melody-Herzklappe eingesetzt. Ein damals neues Verfahren. Derzeit sei Daniels Zustand stabil. „Wie ein geflickter Schuh“, vergleicht die Mutter. Jederzeit könne etwas kommen, irgendwann auch der Tag, an dem er erneut eine neue Herzklappe braucht.
Inzwischen ist Daniel Herm 23 Jahre alt und besucht seit vergangenem Jahr die heilpädagogische Tagesgruppe der Lebenshilfe-Werkstatt in Steinach. Er braucht rund um die Uhr eine Betreuung. Am liebsten ist er Zuhause mit seinem iPad beschäftigt, fotografiert sich selbst und die Wohnung. Mal steigt er auf Stühle, auf sein Bett oder das Sofa und fotografiert – fast blind – aus seinem ganz eigenen Blickwinkel. Es ist seine Art sich auszudrücken. Draußen sitzt er gerne auf dem Therapiepferd oder liegt in der Nestschaukel.
Seine Schwester Luisa und ihr Freund Julian Spannagl verbringen oft Zeit mit Daniel. „Es war nicht immer einfach mit einem kranken Bruder“, gibt die heute 26-Jährige zu. Doch sie habe viel von ihm gelernt, was es heißt, „so ein Kind“ zu pflegen. Ihr war schon in jungen Jahren klar, dass sie beruflich in die medizinische Richtung gehen will und ist inzwischen als Physiotherapeutin tätig.
Georg Herm war Elternbeiratsvorsitzender in der Oberlinschule Kork, Mitbegründer von „Wassertropfen“ in Kork, die sich für den Erhalt des Therapiebades einsetzten, und gemeinsam mit der Zellerin Johanna Wilhelmi Gründer des Fördervereins der Helme Heine Schule in Offenburg. In viele Bereiche haben der Abfallberater im Außendienst beim Landratsamt Ortenaukreis und die deutsche Vizemeisterin im Bogenschießen ihre Kontakte und nutzen diese, um für ihr ehrenamtliches Engagement zu werben.
Ganz früh dabei
Seit sie um die Krankheit ihres Sohnes wissen, sind Sabine und Georg Herm Mitglieder bei der Elterninitiative „Herzklopfen“. Lange Jahre war Georg Herm stellvertretender Vorsitzer des Elternvereins, auch als die Initiative 2001 schon einmal im Mittelpunkt von „Leser helfen“ stand, organisierten sie mit Freunden einen Kuchenverkauf. 2009 stellten sie dann einen Rekord in Zell auf und verkauften 98 Kuchen in gerade einmal vier Stunden zugunsten von „Leser helfen“. Noch immer organisiert Georg Herm jährlich einen Ausflug in den Europa-Park und nimmt Spenden in der Ortenau entgegen.
„Herzklopfen“ habe sich stets weiterentwickelt, erinnern sie an die Wichtigkeit einer Elternwohnung, Seelsorger Jens Terjung als empathischen Ansprechpartner oder der Austausch mit anderen betroffenen Eltern. „Wir mussten vieles damals alleine mit uns ausmachen.“
Viele Menschen hätten sie durch Daniel kennengelernt und Dinge getan, die sie sonst nie erlebt hätten. Diese Jahre seien aber auch sehr belastend für die Familie und Beziehung gewesen. „Da man ja nicht nur Eltern ist, sondern auch Ehepartner, war und ist es kein einfacher Weg für uns. Oft sind wir an unsere Grenzen gestoßen, auch wenn es nicht so aussah“, sagen Sabine und Georg Herm. Doch sie hätten als Familie alles gut gemeistert: „Die Angst lähmt, das Vertrauen stärkt, die Liebe macht stark und genau das versuchen wir Daniel mitzugeben – unsere Liebe“.