Für Konrad Ritter ist ehrenamtliche Arbeit ein Lebenselixier
In unserer Serie „Ortenauer Originale“ porträtieren wir Menschen mit dem gewissen Etwas. Heute (58): Konrad Ritter aus Neuried-Müllen hat den Verein Leben mit Behinderung Ortenau geprägt wie kein anderer. Der 74-Jährige schöpft Kraft aus dem christlichen Glauben.
Anderen zu helfen, ist für Konrad Ritter eine Herzensangelegenheit und zugleich Lebenselixier. Seit mehr als vier Jahrzehnten engagiert sich der 74-Jährige aus Neuried-Müllen außerordentlich tatkräftig im sozialen Bereich. „Menschen zu helfen, ist für mich ein ethischer Auftrag“, sagt er. Seit 1980 wirkt er im Verein Leben mit Behinderung Ortenau, den er im Lauf der Jahre aus kleinen Anfängen Schritt für Schritt aufgebaut und geprägt hat wie kein anderer.
Christliche Grundhaltung als Kraftquelle
Der gebürtige Schutterwälder war bis zu seiner Pensionierung Ende 2012 Sozialarbeiter und seit 1995 bis zur Privatisierung der Bewährungshilfe geschäftsführender Bewährungshelfer am Landgericht Offenburg. „Ich bin überzeugt davon, dass ich durch meine christliche Grundhaltung, die ich in meinem Elternhaus erlebte, die Kraft besessen habe, kontinuierlich sowohl den schweren Beruf als auch das Ehrenamt im Verein zu stemmen“, sagt Ritter. Er ist als Nachkömmling das jüngste von acht Geschwistern, der Vater war einfacher Beamter.
„Zuerst lernst du ein bodenständiges Handwerk, dann kannst du weiterschauen“, sei das Motto seiner Eltern für ihn und seine Brüder gewesen. Daher wurde Ritter über den zweiten Bildungsweg Sozialarbeiter – zunächst lernte er Maschinenschlosser im Ausbesserungswerk der Bahn in Offenburg. „Als Kind war mein Traum, Lokführer zu werden“, blickt der 74-Jährige zurück.
Lehrer riet ihm, Fürsorger zu werden
Beim katholischen Kolping-Verein in Schutterwald merkte er, dass es ihm liegt, mit Menschen umzugehen und sich um sie zu kümmern. Sein Lehrer an der Gewerbeschule, der Professor Alfred Spraul, empfahl ihm, den Beruf des Fürsorgers, wie Sozialarbeiter damals noch genannt wurden, zu ergreifen. Zielstrebig verfolgte Ritter dieses Ziel an der Höheren Fachschule für Sozialarbeit in Freiburg (heute Katholische Hochschule Freiburg), wo er von 1970 bis 1973 studierte.
Dabei kam es bei seinem sozialpflegerischen Praktikum zu einem Schlüsselerlebnis, das Ritter zur Behindertenhilfe gebracht hat, und das ihn bis heute nicht loslässt. Als Katholik musste er das Praktikum in einer evangelischen Einrichtung absolvieren, so war die Vorschrift. In Kehl-Kork arbeitete er vier Wochen mit Menschen mit Handicaps zusammen
Belastungsprobe bestanden
„Ich war damals ein junger Mann und wurde angewiesen, diese Menschen zu wickeln, baden und so weiter. Dabei wurde ich manchmal reflexartig unkontrolliert an der Wange berührt. Diese Ausfallmerkmale waren hinzunehmen“, erzählt Ritter.
Das Personal habe ihn dabei beobachtet, ob er belastbar und für den schweren Beruf geeignet sei. „Damals bin ich zu der Erkenntnis gelangt, dass, wenn ich einmal ehrenamtlich tätig sein sollte, zu einer Behindertenorganisation gehe.“
Nie vergessen werde er die Worte, die ihm die Oberin Schwester Hanna, die Personalleiterin, zum Abschied mitgab: „Den behinderten Menschen selbst können Sie nicht mehr helfen, aber die Angehörigen, die können Sie entlasten.“ Der Satz ist bei Ritter bis heute hängengeblieben und zu einem Art Grundmotto seines Lebens geworden.
Viele glückliche Fügungen
Wenn der 74-Jährige auf sein Leben zurückblickt, spricht er oft von glücklichen Fügungen. So ist er 1980 nur durch einen Zufall zum damaligen „Spastiker-Verein Offenburg“ (wie der Verein Leben mit Behinderung Ortenau damals hieß) gekommen. Die Organisation wurde im November 1970 unter anderem von Hans Mußler aus Oberschopfheim gegründet. Ritter lernte diesen als Sozialarbeiter im Landratsamt Ortenaukreis nur kennen, weil er durch die Kommunalreform in Baden-Württemberg in den 1970er-Jahren für Oberschopfheim zuständig wurde.
Mußler hatte ihn wegen einer Beratung für seine behinderte Tochter aufgesucht – im Rückblick für Ritter eine schicksalhafte Begegnung. „Am Ende des Gesprächs – er war wohl davon überzeugt, dass ich ihn umfassend beraten hatte – fragte er mich, ob ich den Spastikerverein übernehmen will.“ Er wollte zunächst nicht, wurde dann aber 1980 zum Schriftführer gewählt, und schon ein halbes Jahr danach zum ehrenamtlichen Geschäftsführer bestellt.
Mit Vertrauen und Vollmachten
Für Ritter begann damit die „schönste und prägendste Zeit im Verein“. Vom Vorstand habe er vollstes Vertrauen genossen, alle Vollmachten besessen und daher „ehrenamtlich nach meinem Gusto schalten und walten“ können, berichtet der 74-Jährige. Die Geschäftsstelle des Vereins befand sich von 1983 bis Mitte 1998 in Neuried-Müllen, im Wohnhaus Ritters. Nach und nach setzte er seine Ideen um, und mit den Jahren wurde der Verein „aus dem Nichts zu einem großen Werk“.
Immer auf dem neuesten Stand
Dabei half ihm, dass er als Sozialarbeiter dank Fort- und Weiterbildungen immer auf dem neuesten Stand der Gesetzeslage war und sich verwaltungstechnisch perfekt auskannte. Ihm sei klar gewesen, dass das Wichtigste für die Angehörigen von Behinderten damals die sogenannten familienentlastenden Dienste (FED) waren. „Die Eltern von Kindern mit Behinderung konnten nicht einmal zum Friseur oder ins Kino gehen, diese Dienste waren daher eine enorme Erleichterung für sie“, erzählt Ritter. 1982 kaufte der Verein ein Bungalow-Haus im Lupinenweg in Offenburg und bot an Wochenenden erstmals die FED an.
FED waren der entscheidende Durchbruch
Dafür hatte Ritter Erzieherinnen, Studenten, Schülerinnen und Praktikanten für die Rund-um-die- Uhr Betreuung eingestellt. „Die gesamte Organisation lief über mich, ich habe die Verträge ausgearbeitet, alle schriftlichen Anträge beim Regierungspräsidium Freiburg und dem Sozialministerium erledigt.“ Der Spastiker-Verein Offenburg sei die erste Organisation in ganz Baden-Württemberg gewesen, die die FED ausschließlich für diesen Personenkreis aufgebaut hat. „Das war der entscheidende Durchbruch und Startschuss für eine Erfolgsgeschichte“, erinnert sich der 74-Jährige.
Verein hat sich von Anfang an immer verändert
Danach ging es rasant voran. So wurde etwa ab 1987 ein Fahrdienst mit Zivildienstleistenden angeboten, 1992 wurde das Servicehaus in Achern-Gamshurst mit Betreutem Wohnen, Kurzzeit und Ferienfreizeit eröffnet, und 1995 wurde ein mobiler Fach-Pflegedienst aufgebaut. „Der Verein hat sich von Anfang an immer verändert, war immer in Bewegung“, berichtet Ritter. Das Zitat des altgriechischen Philosophen Heraklit „Die einzige Konstante im Leben ist die Veränderung“ treffe die Entwicklung des Vereins haargenau.
Der einzige Wermutstropfen für Ritter war, dass die Hippotherapie (Krankengymnastik auf und mit dem Pferd), die ab 1985 in Achern angeboten wurde, wegen eingestellter staatlicher Förderung 2002 aufgegeben werden musste. „Das tut mir bis heute leid.“ 1999 wurde mit Joachim Haas ein hauptamtlicher Geschäftsführer bestellt, ab 1997 fungierte Ritter als Vorstand im Verein. Der Verein ist seither weitergewachsen. „Bei der Übergabe an Herrn Haas hatten wir 32 haupt- und nebenamtliche Mitarbeiter, mittlerweile sind es 320“, sagt er.
„Eine sinnerfüllte Zeit“
Im Juni hat Ritter seine Führungsposition im Verein niedergelegt. „Es war eine sinnerfüllte Zeit, die ganzen Jahre hindurch“, blickt er zurück. Er hinterlasse ein gut bestelltes Haus. Für andere Menschen ist er aber weiterhin da. „Ich bin jetzt im zweiten Glied des Vereins tätig, mache immer noch sechs Vereinsbetreuungen“, sagt er. Ohne die Unterstützung seiner Frau und der beiden Söhne wäre sein intensives soziales Engagement nicht möglich gewesen. Seiner Familie ist Ritter sehr dankbar, er habe sie oft bei seinen Aktivitäten mit eingespannt. Die ehrenamtliche Arbeit ist für Ritter ein Lebenselixier. Er ist davon überzeugt, dass er, so lange er eine ehrenamtliche Tätigkeit ausübt, nicht schwer erkrankt.
Nebenberuflich 29 Jahre lang Religionslehrer
Nebenberuflich arbeitete Ritter 29 Jahre lang als Religionslehrer an der Erich-Kästner-Realschule in Offenburg, bis 2011. Außerdem engagiert er sich in der Nachbarschaftshilfe Müllen, die seine Frau Barbara mit aufgebaut hat. „Zusätzlich war ich 35 Jahre im paritätischen Wohlfahrtsverband tätig, ab 1990 als erster Vorsitzender im Ortenaukreis.
Sechs Enkelkinder
Das Ehepaar Ritter aus Neuried-Müllen hat zwei Söhne und sechs Enkelkinder, die häufig zu Besuch kommen. „Da bin ich voll und ganz ausgelastet“, sagt Ritter über sein Leben nach der Pensionierung. Er singt in zwei Chören mit, liest gerne und fährt mit dem Fahrrad durch die schönen Landschaften der Ortenau. „Wir leben hier im Paradies, was will man noch mehr?“, so Ritter.
Konrad Ritter
Konrad Ritter wurde am 15. Dezember 1946 in Schutterwald geboren. Seit 1980 wohnt er in Neuried-Müllen. Ab 1973 war er der erste Sozialarbeiter im Landratsamt Ortenaukreis, der ausschließlich im Innendienst tätig war. 1967 lernte er bei einem Tanzabend in Dundenheim als Soldat seine spätere Frau Barbara kennen, das Paar heiratete 1975. Der 74-Jährige war von 1995 bis zur Privatisierung der Bewährungshilfe geschäftsführender Bewährungshelfer am Landgericht Offenburg.