Gegen den Peiniger verloren: Vergewaltigungsopfer erzählt vom Prozess
Es dauert einige Tage, bis Petra N. (Name von der Redaktion geändert) nach dem „Vorfall“, wie sie es nennt, bei „Aufschrei“, anrief. „Irgendwie habe ich mich nicht getraut. Ich wollte kein Aufsehens um mich selbst machen und hatte das Gefühl, was mir passiert war, sei nicht so schlimm“, berichtet sie. Ihr selbst sei ja in der Vergangenheit auch viel Schlimmeres passiert. Ihre Kontaktaufnahme zu „Aufschrei“ ist knapp drei Jahre her. Bereits vorher lebte Petra N. mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung und Depressionen aufgrund von Gewalt.
In Therapie
Lange Zeit dachte sie, sie wolle und könne keine Beziehung mehr eingehen. Gerade als sie anfing, dies für sich wieder für denkbar zu halten, begegnete sie einem sympathischen Mann. „Ich hatte zu diesem Zeitpunkt richtig gute Fortschritte in meiner jahrelangen Therapie gemacht.“ Deshalb wollte sie wieder am Leben teilhaben.
Aufgrund ihrer Vergangenheit wäre ihr ein Treffen auf neutralem Boden lieber gewesen, doch das war mitten im Lockdown unmöglich. „Aber was ist denn schon dabei, jemanden am Nachmittag zum Kaffee einzuladen?“ Doch der Besuch lief anders, als es sich Petra N. vorgestellt hatte. „Der Mann sperrte die Wohnzimmertür ab und vergewaltigte mich.“ Sie wollte es nicht wahrhaben, dass ihr so etwas erneut passierte. „Ich hoffte - so unlogisch, wie das jetzt klingt - auf ein Missverständnis und suchte den Kontakt zu ihm, damit er sich erklärt und entschuldigt.“ Unter der Prämisse des Miteinanderredens, ließ sie ihn drei Tage später wieder herein - und er habe sie erneut vergewaltigt.
Auf Rat ihrer Therapeutin ließ sie sich im Krankenhaus untersuchen. Erst nach sechs Monaten konnte ihr gesagt werden, ob sie sich mit HIV infiziert habe. „Zusätzlich zu dem Ekel fühlte ich mich nun um sechs Monate, in denen das Damoklesschwert über mir schwebte, meines Lebens beraubt.“ Weil dies keiner weiteren Frau passieren durfte, erstattete sie Anzeige. Der vernehmende Polizist sei sehr freundlich gewesen und gab ihr eine Liste mit Beratungsstellen. Darunter auch die des „Aufschrei“.
„Jetzt hatte ich jemand, mit dem ich reden konnte und fühlte mich verstanden.“ Niemand habe bei „Aufschrei“ über sie geurteilt oder suggeriert, dass sie selbst Schuld an dem Vorfall habe. Alle ihre Fragen, wie es nach der Anzeige überhaupt weitergeht, seien beantwortet und ihr die Psychosoziale Prozessbegleitung angeboten worden. Bis es zum Prozess und einem Urteil kam, gingen rund zweieinhalb Jahre ins Land.
Petra N. wurde zuvor zwei Mal von der Polizei vernommen, ihre minderjährige Tochter einmal. Die Therapeutin wurde als Erstkontakt um eine schriftliche Aussage gebeten, auch ihr Psychiater sollte einen Bericht einreichen. Sie selbst sollte „freiwillig“ ein Glaubwürdigkeitsgutachten erstellen lassen, weil aufgrund ihrer Vorbelastung im Raum stand, dass sie die Situation eventuell falsch eingeschätzt hatte und es gar keine Vergewaltigung gab.
Unter Schock
„Das alles tut der Psyche nicht gut. Man ist unter Schock und das Geschehene kommt einem unwirklich vor. Es braucht auch so schon viel Kraft, sich selbst daran zu erinnern, dass das wirklich passiert ist, ohne andere davon überzeugen zu müssen, dass man nicht spinnt nur weil einem schon einmal Schlimmes widerfahren ist. Es ist schwer sich unter diesen Umständen nicht selbst in Frage zu stellen“, erklärt sie.
Die Verhandlung war öffentlich, ihre Opferanwältin hatte jedoch beantragt, dass ihre Aussage unter Ausschluss der Öffentlichkeit in einem separaten Raum per Kamera-übertragung stattfinden durfte. Somit musste sie dem Täter nicht erneut begegnen. Dabei wurde Petra N. von der Psychosozialen Prozessbegleiterin Dagmar Stumpe-Blasel von „Aufschrei“ begleitet. Der Verteidigungsanwalt habe sie sehr in die Mangel genommen, so Petra N. „Ich weiß nicht, wie ich das ohne die Unterstützung und Anwesenheit von Dagmar Stumpe-Blasel geschafft hätte.“
Letztendlich wurde der Täter freigesprochen. Begründet habe es der Richter damit, dass es unklar sei, ob der Täter verstanden hatte, dass sie es nicht wollte. „Hier hatte er die Herkunft, Erziehung und Traditionen des Täters mit einfließen lassen sowie eine Sprachbarriere.“
Reicht ein „Nein“?
Nach deutschem Recht hätte der Täter sich nicht des „Ja“ von ihr vergewissern müssen. Denn in Deutschland gelte lediglich „ein Nein ist ein Nein“ und ob dieses „Nein“ eindeutig sei, bleibe oftmals fraglich. „Dass ich mehrmals in unterschiedlichsten Variationen „nein, ich will nicht, hör auf, tu das nicht“ gesagt hatte und mich körperlich gewehrt habe, hat wohl nicht ausgereicht. Meine körperliche Gegenwehr hätte der Täter scheinbar auch als Spiel interpretieren können“, berichtet sie.
„Objektiv sei zwar eine Straftat begangen worden, subjektiv konnte der verhandelnde Richter dem Täter aber keinen Vorsatz nachweisen“, so Petra N. Er habe ihm lediglich gesagt, dass er sich schämen muss.
„Mir darf jeder Dahergelaufene antun, was er will und man klopft ihm auf die Finger und sagt nur schäm dich. Ich fühlte mich wie eine Witzfigur.