Gleitschirm-Tandemflug: Crossmedia-Redakteurin hebt ab
Fast schwerelos: über Bäume, Straßen und Häuser hinwegfliegen: Wie sich ein Tandemflug anfühlt und weshalb die Gleitschirmflieger ihre Startplätze in Oppenau nur einer Katastrophe zu verdanken haben. Crossmedia-Redakteurin Antonia Höft der Mittelbadischen Presse ist für zehn Minuten abgehoben.
Meine Wanderstiefel bohren sich in den Boden. Ein erdig, tanniger Geruch strömt durch meine Nasenlöcher – was auch sonst, ich stehe schließlich mitten im Wald. Um genau zu sein, auf dem Oppenauer Ost-Startplatz für Gleitschirmflieger – dem Schäfersfeld. In wenigen Minuten werden meine Füße ins Nichts treten. Der zehn Meter breite Schirm liegt schon ausgebreitet hinter mir am Hang. Die bunten Leinen schön sortiert – »Sie müssen entwirrt sein«, mahnt Elias Föttinger, mein Flugpartner bei meinem ersten Tandemgleitschirmflug.
»Also ich mach’ das heute zum ersten Mal«, scherzt er, während er mir einen Helm aufsetzt und mich auffordert, in einen rucksackähnlichen Sack, das sogenannte Gurtzeug, zu steigen. Der 38-Jährige hat die Leidenschaft fürs Fliegen mitten in seiner Pubertät entdeckt, 1993, mit 14 Jahren und schwärmt: »Die schönsten Momente für mich sind die Flüge, bei denen man bis nach Sonnenuntergang im sanften Abendwind fliegen kann«, erzählt er.
Mein Flugkumpane strahlt Sicherheit aus – und das nicht, weil er seit 24 Jahren fliegt und ihm nie etwas zugestoßen ist. Ob es an seiner Größe, seiner Selbstsicherheit oder doch seinem ehrlichen Lächeln liegt? Ich weiß es nicht.
Den Boden für eine Weile verlieren
»Bist du bereit?«, fragt Föttinger. Das muss ich wohl, und irgendwie will ich ja auch wissen, wie es sich anfühlt, den Boden unter sich für eine Weile zu verlieren und den Wind am Körper spüren. »Klar!«, sage ich, als ob ich seit Jahren nichts anderes mache. »Ich zähle gleich von drei auf null runter. Und dann läufst du los – verstanden?«, sagt er. Wie jetzt, denke ich, einfach den Hang runter? Statt viele Worte, heißt die Devise: einfach machen.
Die aktuellen Wetterinformationen seien wichtig. Erst am Tag selbst entscheide sich immer, ob ein Flug möglich ist. Blauer Himmel, kein Regen und ein leichter Wind – das reicht aus. Dann heißt es: Aufziehen – nochmal Kontrollieren – Korrigieren – Beschleunigen – Abheben. Genau diese Unkompliziertheit mag Föttinger, der eine Flugschule in Rottweil betreibt und an fast jedem flugtauglichen Tag in Oppenau oder in der Umgebung ist.
Er zeigt auf den Windsack: Wenn er im richtigen Winkel weht, müssen wir loslaufen. In meinem Kopf machen sich dann doch folgende Gedanken breit: Was, wenn wir in einen Baum oder doch gleich auf die Straße stürzen? Ich denke an meine Angst in Flugzeugen. Irgendwo habe ich mal gelesen, dass laut den statistischen Daten der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung man in Deutschland mindestens 67 Jahre lang ununterbrochen fliegen müsste, um ein sicherer Kandidat für einen Flugabsturz mit Todesfolge zu werden. Also werde ich heute vermutlich nicht sterben.
Ich mache mich mental bereit für den Abhang, doch dann stöhnt Föttinger: »Der Wind lässt uns im Stich.« Er senkt die Arme mit den Leinen des Gleitschirms. Gerade war ich noch bereit.
Der Schirm öffnet sich
Dann merke ich, dass meine Knie meine Anspannung offenbaren. Sie zittern und meine Beine wippen hin und her, als ob ich auf See wäre. Dann hebt er die Arme wieder. »Ein neuer Versuch«, tönt es hinter mir. »Los!« Ich jogge, und versuche immer schneller zu werden. Ich spüre einen Widerstand – der Schirm hat sich geöffnet. Ein Kältezug zischt an meiner Nase vorbei und es scheint so, als ob mein Herzschlag mit jedem Schritt, der sich dem Abhang nähert, lauter wird. Ich vergesse alles um mich herum und plötzlich laufe ich in der Luft. »Rutsch in den Sitz hinein«, sagt der 38-jährige Fluglehrer. Und dann nichts.
Über den Tannengipfeln herrscht Stille. Weder sehe, noch höre ich einen Vogel. Nur das Flattern des Gleitschirms lässt mich ab und zu nach oben blicken. »Gleitschirmflieger, die im Schwarzwald fliegen, schätzen vor allem das viele Grün hier«, erzählt er mir auf 450 Meter Höhe. Mein Herz pocht nach ein paar Minuten in der Luft langsamer und es überkommt mich ein Gefühl, das mit Jacks Ausruf im Film Titanic »Ich bin der König der Welt« gleichzusetzen ist – die Schirmherrin, also ich, muss nichts machen, nur genießen. Ich krame also mein Smartphone aus der Tasche.
Das muss ich doch festhalten – für mich, Freunde, Bekannte – die Instagramwelt. Föttinger lacht. Auch andere Tandempassagieren haben das bereits getan. Durch das kleine Display sehe ich bunte Punkte und einen grünen Tannenteppich. Der Ausdruck »so klein wie Spielzeug« bewahrheitet sich. Die Sägewerke könnte ich glatt zwischen Daumen und Zeigefinger zerdrücken.
Vier Startplätze
Plötzlich sagt Föttinger, das da etwas nicht stimme und blickt auf den Schirm nach oben. War es das jetzt? Hat sich die Statistik der Flugunfalluntersuchung geirrt? Ich tue es ihm gleich – der Schirm ist verdreht. Föttinger wirkt ruhig. Zu ruhig. Und schon erkenne ich ein Grinsen auf seinem Gesicht. »Spaß«, sagt er und mein angespanntes Gesicht hat ein paar Lachfalten zu bekommen. Ich konzentriere mich wieder auf die atemberaubende Landschaft.
Die Gleitschirmflieger haben einer Katastrophe ihre vier Startplätze in Oppenau zu verdanken. »Nachdem der Sturm Lohtar durch die Ortenau gefegt war, wurden einige Gebiete abgeholzt«, erzählt er. Diese Chance ergriffen die Gleitschirmflieger und schufen vier Startplätze: Sandkopf (Süd-Startplatz), Roßbühl (West-Startplatz), Schäfersfeld (Ost-Startplatz) und Ibacher Holzplatz (Nord-Startplatz).
So einen ruhigen Flug wie meiner hat leider nicht jeder. In der Gegend sind bereits schon Gleitschirmflieger tödlich verunglückt, dieses Jahr gab es drei Verletzte. »Wenn man das Wetter respektiert, würde ich das Gleitschirmfliegen nicht als gefährlich einschätzen. Die größte Gefahr ist Selbstüberschätzung«, weiß Föttinger. Umso mehr ärgere er sich über das Vorurteil, dass »Gleitschirmflieger verrückte, risikobereite Draufgänger sind«. Er betont: »Gleitschirmpiloten sind besonders sensibel für Gefahren.« Zudem habe sich die Ausrüstung in den vergangenen Jahren weiterentwickelt. »Die Geräte sind deutlich leistungsfähiger und sicherer geworden.«
Ein Abbild der Generation?
Nach etwa zehn Minuten zeigt er auf eine Wiese. »Dort werden wir landen. Du musst dann langsam im Sitz vorrutschen.« Ich versuche mit meinem Smartphone noch ein paar Fotos der grünen Landebahn zu machen. Ein Fehler, wie sich später rausstellt. Die Fläche bekommt langsam mehr Struktur und ich kann plötzlich Blumen von Sträuchern unterscheiden. Dann ein Ruck und mein Schuh berührt wieder den Rasen. Schade, denke ich, an die Schwerelosigkeit hatte ich mich gerade gewöhnt. Dann überkommt mich ein leichter Schwindel. »Wohl zu lange in das Smartphone geblickt«, sagt Föttinger und lacht.
Zehn Minuten fast schwerelos, davon sieben Minuten mit dem Handy hantiert. Ein Abbild meiner Generation? Scham überkommt mich. Mal etwas nicht zu teilen, zu zeigen, sondern nur zu erzählen, das wäre es. Vielleicht beim nächsten Mal, denke ich, während ich die Bilder auf meinem Smartphone betrachte.
Nächsten Donnerstag lesen Sie, inwiefern Sabine Reich aus Hofweier aufgrund ihrer Körpergröße zu ihrer Berufung fand.
INFO: Ein Tandemflug kostet bei der Flugschule-Rottweil 99 Euro.Die Flugschule bietet außer der motorlosen Fliegerei auch die Ausbildung zum Motorschirmpiloten an, mit dem Motorschirm kann man dann Bergunabhängig im Flachland starten.