Hans Weide: Wie ein Polizist Freund von AKW-Protestlern wurde
In unserer Serie „Ortenauer Originale“ porträtieren wir Menschen mit dem gewissen Etwas. Heute (53): Hans Weide ist in Ottenheim nicht nur für sein riesiges Engagement bekannt, er hat auch maßgeblich mitgeholfen, 1975 die „Schlacht von Whyl“ zu verhindern.
Hans Weide war und ist Naturliebhaber und Atomkraftgegner. Dabei war der Ottenheimer als Zugführer der Bereitschaftspolizei in den 80ern eigentlich dafür da, die Proteste gegen das in Whyl geplante Kernkraftwerk im Zaum zu halten. Für unsere Serie „Ortenauer Originale“ erinnert sich der heute 84-Jährige.
Hans Weide wuchs während des Zweiten Weltkriegs vaterlos in seinem Geburtsort Kassel auf. In Münster und Wuppertal ließ er sich zum Polizisten ausbilden. „Die harte militärische Ausbildung und die Disziplin haben mich positiv geprägt“, erinnert er sich.
Nach Streifendienst in Köln und Wuppertal wechselte Hans Weide aus privaten Gründen 1961 in den Polizeidienst der Stadt Freiburg. Als 1964 für die neu gegründete Bereitschaftspolizei Anwärter für den gehobenen Dienst gesucht wurden, bewarb sich Weide sofort, was ihm die Dienstausweisnummer 1 der vierten Abteilung der Bereitschaftspolizei Lahr einbrachte. Dort war er bis zu seiner Pensionierung 1998 unter anderem als Lehrer, Ausbildungsleiter, Zug- und stellvertretender Hundertschaftsführer tätig.
Der „Hergeloffene“ im Rat
Mit seiner vierköpfigen Familie zog er 1965 nach Ottenheim, wo er sich im Vereinsleben so sehr engagierte, dass er 1971 als Neubürger für die Freien Wähler in den Gemeinderat gewählt wurde. Das war eine kleine Sensation, was eine ältere Ottenheimerin so quittierte: „Jetzt hen se doch sellen Hergeloffenen in de Gemeinderat gewählt.“
Anschluss fand Weide schnell, wurde Vorstandsmitglied und Handball-Trainer beim TuS Ottenheim. Weide gründete 1967 die DLRG Schwanau, war Gründungsmitglied im Obst- und Gartenbauverein sowie im Historischen Förderverein. Daneben leitete er ein Jahrzehnt lang die Außenstelle Schwanau der VHS Lahr, bot selbst Kurse an. Weide war Pilzsachverständiger, nahm auch jahrelang Sportabzeichen ab, selbst hat er rekordverdächtige 63 davon abgelegt. Jahrelang schrieb er auch für Tageszeitungen. 1972 zog er mit seiner mittlerweile sechsköpfigen Familie in ein Eigenheim in Ottenheim. Bevor er sich 2004 aus der Politik zurückzog, war er 33 Jahre Gemeinderat von Schwanau, Ortschaftsrat von Ottenheim und 15 Jahre Ortsvorsteher. Bei seiner letzten Kandidatur war Weide doppelter Stimmenkönig.
Zu seinem ehrenamtlichen Engagement gehörte auch das Amt des stellvertretenden Vorsitzenden der Bürgerinitiative Lahr gegen das in Wyhl geplante Atomkraftwerk. Der naturverbundene Polizist identifizierte sich sofort mit den Menschen am Kaiserstuhl, die sich „vehement und mit vielen kreativen Aktionen“ gegen das AKW zur Wehr setzten. Die Landesregierung unter Ministerpräsidenten Hans Filbinger und das Badenwerk hatten es geplant. Nach Beginn der Baumaßnahmen am 18. Februar 1975 besetzten einige Hundert Kaiserstühler die Baumaschinen. Zwei Tage später wurde mit dem bis dato größten Polizeieinsatz des Landes der Bauplatz mit Wasserwerfern wieder geräumt. Doch die Protestler kamen zurück.
Hans Weide erinnert sich: „Auf meinem Auto klebte das Logo ’Atomkraftwerk, nein danke’. Ich habe auch an Demos der Kaiserstühler teilgenommen. Das war meinem Dienstherrn bekannt, so dass ich mehrmals verwarnt wurde.“
Angst gehabt vor Eskalation
Vor der zweiten geplanten Räumung wurde er als Führer der Kräfte der gesamten Bereitschaftspolizei beauftragt. „Dies habe ich aus Gewissensgründen abgelehnt, wohl wissend, dass dies Folgen für mich haben würde.“ Er geht heute davon aus, dass er auf eine Gewissensprobe gestellt werden sollte. Er befürchtete, dass eine zweite Räumung gegen nun zu allem entschlossenen Kaiserstühler nicht ohne viele Verletzte auf beiden Seiten ausgehen würde. Daher war es mit seiner Befehlsverweigerung nicht getan.
Weide kontaktierte den Pfarrer in Whyls Nachbarort Weisweiler. In Ottenheim kam es zum Gespräch, der Pfarrer verständigte danach den Landesbischof, der zu Filbinger ein gutes Verhältnis hatte. Er muss ihn bekniet haben, denn Filbinger erklärte sich bereit, die für den nächsten Tag angeordnete Räumung zu verschieben. Das war sicherlich ein kleines Wunder, sagt Weide, denn Filbinger war damals der Auffassung, dass ohne das AKW in Wyhl bald die Lichter in Baden-Württemberg ausgehen würden. Laut Weide hatte Filbinger die Kaiserstühler und deren Mentalität vollkommen unterschätzt, er sah in ihnen vor allem linksradikale Chaoten.
Heute ist bekannt, dass die Verschiebung des drohenden Einsatzes – er fand nie mehr statt – letztendlich dazu beigetragen hat, dass das Projekt nach jahrelangen, zähen Verhandlungen und Gerichtsentscheidungen schließlich eingestellt worden ist.
Mit seinem Einsatz hatte Hans Weide mit vielen anderen dazu beigetragen, dass damals kein Blut vergossen wurde. Im Dokumentationszentrum in Wyhl ist die hohe Gewaltbereitschaft der damaligen Protestler hinterlegt. Von Bewaffnung und Überflutung des Geländes war die Rede. Die Schlacht um Wyhl war vermieden worden.
Verrat kam spät ans Licht
Und Hans Weide? „Wir müssen Sie hier mal aus der Schusslinie nehmen“, bekam er von seinen Vorgesetzten zu hören, als er tags darauf mit weichen Knien wieder zum Dienst erschien. Er wurde einige Monate nach Stuttgart abgeordnet, um in RAF-Zeiten den Ministerpräsidenten zu bewachen. Damit war Weide, sagt er heute, glimpflich davongekommen. Der Geheimnisverrat, der dann durch die Medien ging, kam erst 26 Jahre später ans Licht, als der Weisweiler Pfarrer über die damaligen Geschehnisse referierte.
Man muss dankbar sein“, sagt Weide heute, „wenn einem das Leben einmal die Chance bietet, etwas mehr tun zu können.“ Die Menschen am Kaiserstuhl hätten mit ihrem Protest Geschichte geschrieben, die heute weltweit an Universitäten als Vorlage für Diplomarbeiten diene, sagt Weide: „Ich bin stets ein überzeugter Polizist gewesen, und nicht stolz auf mein Verhalten in dieser Angelegenheit. Ich bin aber glücklich über den Ausgang.“ Wäre die Protestbewegung ausschließlich von radikalen Ideologen getragen gewesen und nicht von einem Querschnitt der Gesellschaft, „hätte ich mich an diesem Protest nicht beteiligt“, sagt der 84-Jährige. Viele dankbare Kaiserstühler Freunde habe er gewonnen.
Die Ereignisse in Whyl sind in vielen Dokumentationen verarbeitet worden. Hans Weide weiß, dass die Auseinandersetzungen zwischen Befürwortern und Gegnern des Projekts Familien entzweit hätten. Dies hat der Ottenheimer in dem Roman „Rote Sonne dunkle Nacht“ verarbeitet. In dessen Entstehung beriet ihn Tom Jakob aus Ichenheim, in dessen damaligen Verlag auch die Erstausgabe erschien. Der Friesenheimer Theatermacher und Leiter der „Theaterbühne im Keller“ in Lahr, Christopher Kern, hat dieses Buch zum sehr erfolgreichen Theaterstück umgeschrieben.
Hans Weide wurde in Weisweil stellvertretend mit dem »Zukunftspreis des Fördervereins Zukunftsenergien Solarregio Kaiserstuhl« ausgezeichnet. Damit wurde sein Einsatz gegen das AKW Wyhl gewürdigt, aber auch Buch und Theaterstück als Hommage an die unaufhörlich für ihre Heimat kämpfenden Kaiserstühler.
Ein Dossier zu dieser Serie finden Sie unter:
www.bo.de/iloveortenau
Hans Weide
Hans Weide wurde am 8. Dezember 1937 in Kassel-Niederzwehren geboren und ist mit Bärbel Weide verheiratet. Das Paar hat vier Söhne, davon drei, die den Beruf des Vaters ergriffen haben. Einer ist inzwischen Bürgermeister von Friesenheim. Hans Weide wohnt in Schwanau-Ottenheim und hat 13 Enkel und fünf Urenekel.