Ortenau
»Ich möchte in Ruhe sterben«
Thomas Reizel
12. Januar 2008
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Der Philosoph und hoch ausgezeichnete Professor Robert Spaemann spricht sich kritisch gegenüber Organspenden aus. Für ihn gilt der Grundsatz, dass kein Leben gegeben werden darf, um ein anderes zu retten. Hirntote Menschen, Voraussetzung für eine Organentnahme, sollten in Ruhe sterben dürfen und nicht »nach Bedarf«.
Für Robert Spaemann gibt es zum Thema Hirntod viele ungeklärte Fragen. Ist er tatsächlich der Tod eines Menschen oder führt er nur dazu, weil erst nach dem Hirntod andere Organe absterben? Und wie wird der Tod eines Menschen von Umstehenden und Angehörigen wahrgenommen? »Das kann die Wissenschaft nicht entscheiden«, erklärt der Philosoph. Deshalb gelte für ihn der eiserne Grundsatz, dass kein Menschenleben gegeben werden dürfe, um ein anderes zu retten.
Die derzeit gültige Definition des Hirntods als Tod eines Menschen hält Robert Spaemann für sehr problematisch: »Wenn irreversible Hirnschäden gleichbedeutend mit dem Verlust der menschlichen Persönlichkeit sein sollen, dann hätten zum Beispiel auch schwer demente Menschen kein Recht mehr auf das Leben. Wir dürfen das Recht auf Leben nicht von Qualitätskriterien abhängig machen, über die Gesunde entscheiden.«
Anders ist es mit der heute herrschenden These, der vollständige Ausfall aller Hirnfunktionen sei gleichbedeutend mit dem physischen Tod eines Menschen. »Wenn das stimmen würde, wäre gegen die Entnahme lebensnotwendiger Organe eines Hirntoten nichts einzuwenden. Aber eben diese These wird heute von kompetenter Seite bestritten, so von dem amerikanischen Neurologen Allen Shewmon.«
Shewmon sei einst Verfechter der Hirntod-Definition gewesen, habe seine Meinung aber unter dem Eindruck von Studien und Forschungen geändert. Er habe einen hirntoten Jungen als Patienten gehabt, der künstlich am Leben gehalten wurde. »Er ist gewachsen, hat die ganze Pubertät durchgemacht. Jetzt soll mir jemand erklären, dass das eine Leiche ist«, argumentiert Spaemann.
Shewmon habe festgestellt, dass das Gehirn zwar eine Zentralfunktion habe, aber nicht in dem Maße, wie man es heute allgemein annimmt: »Ein Körper stabilisiert sich und hält sich am Leben, auch ohne das Gehirn als Zentralorgan.« So lebe auch ein menschlicher Embryo anfangs ohne Gehirn. Ist früher ein Mensch gestorben, hätten das die Angehörigen erkannt. Trotzdem musste ein Arzt den endgültigen Tod eines Menschen feststellen. Das sei eine Vorsichtsregel gewesen. Paradox sei die heutige Situation der Ärzte, wenn es um Organspenden geht. Die Angehörigen sehen, dass der Patient eine rosige Gesichtsfarbe hat und atmet, also lebt. Dann kommen Ärzte und sagen, nein, nein, in Wirklichkeit ist er tot.
Dann müsse alles sehr schnell gehen, weil die Organe gebraucht werden. Und wenn dies erst in zwei Tagen notwendig ist, entscheiden andere Ärzte, dass der Für-Tot-Erklärte noch zwei Tage am Leben gehalten werden müsse. »Der Umgang mit Sterbenden verändert sich. Über Leben und Tod entscheiden pragmatische Gründe, und das halte ich für sehr bedenklich«, betont Robert Spaemann.
An Organspenden hänge aber viel mehr als nur Leben zu retten, zum Beispiel Geld. Bei einem Verbot würde es einen Aufschrei von Instituten und Pharmaindustrie geben und argumentiert, dass dann viele Menschen sterben müssten, die eigentlich zu retten gewesen wären. So hätten auch die KZ-Ärzte argumentiert. »Sie machten mit zum Tode verurteilten Menschen Erfrierungsversuche, um Soldaten im Winter vor Erfrierungen zu schützen«, betont Spaemann. Damit wolle er nicht sagen, dass Transplantations-Ärzte mit KZ-Ärzten vergleichbar sind, doch ergänzt er: »Aber ihre Argumente sind dieselben.«
Für Robert Spaemann steht freilich fest, dass bei einem hirntoten Menschen ohne künstliche Verlängerung des Lebens auch alle anderen Organe absterben werden. »Ich möchte in diesem Fall auch nicht an Maschinen hängen, sondern die Möglichkeit haben, dass man mich in Ruhe sterben lässt«, sagt er. Dennoch bezeichnet Robert Spaemann die Einstellung, »wenn ich hirntot bin und mit meinen Organen andere Menschenleben retten kann«, als
respektabel.
Für Spaemann persönlich gilt jedoch der Grundsatz: »Man darf Menschen nicht ohne ihren ausdrücklichen Wunsch töten, um andere zu retten. Aber dieser Wunsch müsste in voller Kenntnis der Tatsache geäußert sein, dass der Hirntod nicht der Tod des Menschen ist.«
Zur Person
Robert Spaemann, geboren am 5. Mai 1927 in Berlin, studierte Philosophie, Romanistik und Theologie in Münster, München und Fribourg, habilitierte sich 1962 für Philosophie und Pädagogik in Münster und lehrte von 1962 bis 1992 Philosophie an der TH Stuttgart und den Universitäten Heidelberg und München, wo er 1992 emeritiert wurde. Er hatte Gastprofessuren und erhielt einige Ehrendoktorwürden. Er ist Träger des Karl-Jaspers-Preises 2001 der Stadt und der Universität Heidelberg. Spaemann lebt in Stuttgart und viel publiziert.
Zusätzliche Informationen: Transplantationsgesetz – TPG (Gesetz über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen und Geweben)