Blinder 17-Jähriger sucht Hilfe im Schulalltag

©dpa/Philipp von Ditfurth
Seit seiner Geburt ist der heute 17-jährige Leonhard Joseph blind und auch körperlich eingeschränkt. Für das laufende Schuljahr sucht der aufgeweckte und ehrgeizige junge Mann dringend eine Assistenzkraft, die ihn im Schulalltag unterstützt.
Auf den ersten Blick sieht das Kinderzimmer von Leonhard Joseph wie das eines ganz gewöhnlichen 17-Jährigen aus. In der Ecke steht ein Playmobil-Piratenschiff aus Kindheitstagen, vor einem Fenster steht ein großer, weißer Schreibtisch mit Laptop, eine Kuckucksuhr und Bilder hängen an der Wand des großen Zimmers in dem renovierten Fachwerkhaus in Önsbach. Doch es gibt zwei Dinge, die Leonhard von anderen Jugendlichen in seinem Alter unterscheiden. Leonhard ist seit seiner Geburt blind, auf dem rechten Auge hat er eine minimale Sehfähigkeit von 0,02 Prozent. Daneben hat er einen Klumpfuß, seine Bauchspeicheldrüse ist entzündet (Pankreatitis), weshalb er unter seinem blauen Hemd ein Korsett trägt. Außerdem hat er eine Skoliose, durch die seine Wirbelsäule deformiert ist. Wegen der Herzkrankheit AV-Block 3 benötigt er einen Herzschrittmacher.
Schreibt man über Krankheiten, verwenden Autoren gerne das Wort „leiden“. Doch das Wort „leiden“ passt nicht zu dem Eindruck, den der junge Mann hinterlässt – zugleich der zweite Punkt, in dem sich Leonhard von anderen seines Alters abhebt. Denn anders als die meisten Heranwachsenden, muss Leonhard früher seine Zukunft planen. Der Umstand, dass er nach der Schule eben nicht wie seine Klassenkameraden als Bäcker oder Schreiner arbeiten kann, scheint ihm sehr bewusst. Er wirkt aufgeweckt und vor allem ehrgeizig. Das beweist auch sein Zeugnis. Vor den Sommerferien hat er die Realschule in Achern mit dem Notenschnitt 1,2 beendet, womit er zu den besten Schülern seines Jahrgangs gehört.
Foto: Joachim Joseph
Schon jetzt denkt Leonhard über ein Informatikstudium nach, auch wenn das Abi erst in drei Jahren ansteht. Vielleicht sogar in Frankreich, denn die Sprache gehört zu seinen Lieblingsfächern. Die Idee, Informatik zu studieren, ist nicht erst gestern entstanden, schon in der achten Klasse haben seine Eltern dafür Kontakt zu einem Professor der Technischen Universität in Dresden aufgenommen, die spezielle Programme für Studieninteressierte mit Sehbehinderung anbietet.
Sehende Begleitung
Vergangene Woche hat für alle Kinder das neue Schuljahr begonnen, für Leonhard am Gymnasium in der Heimschule Lender in Sasbach. Mit einem Gottesdienst ging der erste Schultag los. Doch während seine Mitschüler die Liederbücher aufklappten und mitsangen, hörte er einfach zu. Danach ging es in den Unterricht. Wege wie von der Kirche ins Klassenzimmer sind auch der Grund, warum Leonhard im Schulalltag auf eine Assistenzkraft angewiesen ist. Eine Stelle, für die sich im laufenden Schuljahr noch niemand gemeldet hat.
Normalerweise wendet sich die Familie dafür an die Arbeiterwohlfahrt in Offenburg (Awo). Doch für das laufende Schuljahr seien einfach keine Bewerbungen eingegangen. Die Assistenzkraft ist meist ein Erwachsener, der nach der Schule ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) oder einen Bundesfreiwilligendienst (Bufdi) absolviert, „könnte aber auch ein arbeitssuchender Lehrer sein“, sagt Leonhards Vater Joachim. Konkret geht es darum, Leonhard von Unterrichtsbeginn bis Ende im Schulalltag in Sasbach zu begleiten, Arbeitsblätter zu digitalisieren, Unterrichtsinhalte verbal zu vermitteln und Leonhard auch mal auf die Toilette zu begleiten. „Außerdem wäre es super, wenn meine Assistenz selbst Abitur hat. Denn nur, wenn sie die Unterrichtsinhalte selbst versteht und kennt, kann sie sie auch vermitteln“, ergänzt Leonhard – Sie erinnern sich an den eingangs erwähnten Ehrgeiz des jungen Mannes.
Momentan überbrückt die Familie die fehlende Assistenz noch mit dem FSJler aus dem vergangenen Schuljahr und einer Sonderschullehrerin. Doch weil die ehemalige Assistenz bald selbst fürs Studium in eine andere Stadt zieht und auch die Sonderschullehrerin nicht immer da sein kann, sucht die Familie dringend nach Hilfe. „Auch eine Festanstellung über drei Jahre bis zum Abi wäre denkbar“, sagt Leonhards Vater.
Auch für seine Eltern bedeutet der Schulalltag ihres Sohnes einen großen Aufwand. Seine Mutter Mai fährt ihn täglich zur Schule und holt ihn anschließend wieder ab. Weil Leonhard seine Umgebung hauptsächlich über den Hörsinn wahrnimmt, ist eine ruhige Umgebung wichtig – ein Haus nahe einer stark befahrenen Straße wäre undenkbar. Sein Vater Joachim hat 2003 deshalb das alte Fachwerkhaus in Önsbach erworben und renoviert. Zum Haus gehört auch ein rund 1000 Quadratmeter großer Garten, wo Leonhard nach der Schule Zeit in der Natur verbringen kann. Nach dem Unterricht spielt Leonhard aber auch gerne mal eine Runde Schach. Inzwischen gegen den Computer, „denn ich habe schon lange keine Chance mehr gegen ihn“, sagt sein Vater und lacht.
Knapp zwei Stunden unterhält sich Leonhard mit dem Autor dieses Textes beschwingt, unbekümmert und alles andere als schüchtern über sein Leben, seine Einschränkungen und Stärken. Was auf andere befremdlich wirken kann, ist für ihn Alltag, seine Lebensrealität. Am Ende des Gesprächs bittet sein Vater darum, ein Foto dieses Autors machen zu dürfen. Daraufhin reicht Joachim Joseph das Smartphone an seinen Sohn, der es sich dicht vors Gesicht hält, stark heranzoomt und das Foto stetig verschiebt, um zu sehen, mit wem er sich rund zwei Stunden unterhalten hat.
Für das laufende Schuljahr sucht Leonhard einen FSJler, Bufdi oder einen arbeitssuchenden Lehrer, der ihn als Assistenzkraft circa 38 Stunden die Woche im Schulalltag in Sasbach begleitet. Mailen Sie uns an ortenau@reiff.de