Leser helfen: Wie Paul Kuhn sein Leben meistert
Die mittlerweile 29. Weihnachtsaktion „Leser helfen“ der Mittelbadischen Presse steht kurz vor der 30.000-Euro-Grenze auf dem Spendenzähler. Das Geld – und hoffentlich noch viel mehr – kommt in diesem Jahr gleich zwei Elternvereinen zugute, die sich um das Wohl behinderter Menschen in der Ortenau kümmern: dem Förderkreis der Helme-Heine-Schule in Offenburg und dem Verein Leben mit Behinderung Ortenau, der ein ambulantes Wohnprojekt in Renchen bauen will. Heinz und Anne Kuhn aus Lahr hoffen, dass ihr 38-jähriger Sohn Paul in dieses neue Wohnhaus einziehen darf. Hier ist seine Geschichte.
Aufmerksam lauscht er
Paul Kuhn lauscht aufmerksam dem Gespräch. Immer wieder lacht er auf und nickt oder wird ernst. Und dann sind da auch immer Dinge, die er in seinen Talker eintippt, ein Gerät, welches die Wörter in eine Stimme umwandelt. Sein Vater Heinz Kuhn weiß oft sofort, was sein Sohn meint und berichtet davon, weil Paul selbst nicht sprechen kann.
Eine Zerebralparese aufgrund einer Frühgeburt, verbunden mit Bewegungsstörungen und Spastiken (Muskelsteife) sowie dem fehlenden Mundschluss, weshalb er auch nicht artikulieren kann, lassen Paul Kuhn im Rollstuhl sitzen.
„Ich bin 38 Jahre alt. Ich komme aus Lahr“, stellt er sich über den Talker selbst vor. Das Eintippen fällt ihm wegen seiner Behinderung schwer. „Paul kann weder lesen noch schreiben“, erklärt seine Mutter Anne Kuhn.
Über die auf den Tasten angebrachten Bilder weiß er, wie er Kommunizieren kann. „Oft sind das Tastenkombinationen, da blicke ich selbst nicht mehr durch“, gibt die Mutter zu. Doch Paul kann sich diese merken. „Er vergisst nichts“, bestätigt Heinz Kuhn. „Und wenn er etwas im Kopf hat, will er sich mitteilen. Wenn wir es nicht sofort verstehen, gibt er Tipps, bis wir es rausgefunden haben.“
Sein Sohn muss rund um die Uhr versorgt werden. Wickeln und entsprechende Lagerung gehören dazu. Körperliche Anstrengungen, die den Eltern im Alter von Mitte 70 immer schwerer fallen. „Das muss alles geplant sein“, erklärt Anne Kuhn.
Nach dem Besuch des Schulkindergartens für körperbehinderte Kinder und der benachbarten Grundschule für Körperbehinderte, der heutigen Helme-Heine-Schule in Offenburg, ging Paul Kuhn auf die Esther-Weber-Schule in Emmendingen-Wasser bevor er über die Fördergruppe Lahr seit 2010 im Sankt Josefshaus in Herten bei Rheinfelden lebt.
Bruder Janosch ist tot
„Ich komme aus Lahr“, sagt Paul Kuhn immer wieder. „Das kam früher nie von ihm. Ein Zeichen, dass er wieder in unsere Gegend möchte.“ Mit ein Grund sei sein Bruder Janosch, der im vergangen Jahr im Alter von 35 Jahren verstarb. „Er möchte nahe seinem Grab sein und ihn dort immer wieder besuchen“, berichten die Eltern. Mit Janosch lebte er gemeinsam im Wohnheim in Herten. „Janosch war noch etwas schwerer behindert als Paul“, beschreibt Anne Kuhn.
Auch wenn das Leben der Familie nach Paul und Janosch ausgerichtet war, so war es doch ein „ganz normaler“ Alltag für alle. Die sechs Geschwister wuchsen miteinander auf. Inzwischen hat sich die Familie um drei Enkelkinder vergrößert.
„Das, was Mütter von behinderten Kindern leisten, wird weder von der Politik noch von der Gesellschaft anerkannt“, findet Anne Kuhn. Sie und ihr Mann machten sich immer für Menschen mit Behinderung stark. Anne Kuhn ist neben ihrem großen ehrenamtlichen Engagement im Bereich der Behindertenhilfe auch Hebamme und hat sich auf Mütter mit behinderten Kindern sowie behinderte Mütter spezialisiert. Ihr Ehemann war Sonderschullehrer und unter anderem Vorsitzender vom „Verein für Körper- und Mehrfachbehinderte Lahr“, in dem er mehr als 20 Jahre ehrenamtlich tätig war, und der seit September 2022 mit dem Elternverein Leben mit Behinderung Ortenau verschmolzen ist.
„Es steckt so viel dahinter, ein behindertes Kind zu haben. Wir würden uns wünschen, dass die Politik mehr Augenmerkt darauf legt, wenn Mütter ihr Kind pflegen und betreuen, und diese somit mehr in den Fokus rücken“, unterstreicht Anne Kuhn.
Nun hoffen Anne und Heinz Kuhn, dass Paul im neuen Wohnprojekt des Vereins Leben mit Behinderung einziehen kann. „Das wäre ein wichtiger und viel verändernder Schritt für Paul“, betonen die Eltern. Er wäre dann näher bei seiner Familie. Das wäre zudem eine Beruhigung für die Eltern. „Paul muss gut versorgt sein, auch langfristig“, spielen die beiden auf ihr Alter an. „Gell, Paule“, sagt die Mutter und lächelt ihrem Sohn zu, der daraufhin nickt. „Er hört genau zu, und es ist richtig, was er sagt und wie er reagiert“, ergänzt Heinz Kuhn.
Paul fängt an zu lachen: „Am 15. März ist mein Geburtstag“, sagt sein Talker und Paul möchte, dass sein Vater darüber erzählt, dass er sich immer aussuchen darf, wohin sein Geburtstagsausflug gehen soll. Straßenbahnfahren und etwas mit Tieren steht dann meistens auf dem Programm. „Es ist nicht immer alles tragisch, bei uns wird auch viel gelacht“, sagen die Eltern, und Paul nickt zufrieden.