"Mein Herz schlägt für die Landwirtschaft": Rosa Karcher im Porträt

(Bild 1/2) Vor kurzem hat die Zwetschgenernte begonnen, die viel Arbeit, Rosa Karcher aber auch viel Spaß macht. ©Regina de Rossi
In unserer Serie „Ortenauer Originale“ porträtieren wir Menschen mit dem gewissen Etwas. Heute (54): Rosa Karcher aus Oberachern ist Landwirtin aus Leidenschaft und seit 2009 Präsidentin des Landfrauenverbands Südbaden. Zu ihrer Berufung hat sie spät gefunden.
Wenn Rosa Karcher in diesen Tagen aufwacht, spitzt sie ihre Ohren: „Regnet es oder regnet es nicht?“ Eine Frage, die viele Landwirte derzeit umtreibt. Legt die nasse Witterung auf der einen Seite die Getreidefelder um und lässt die Frucht verwässern, wird die Obsternte nicht nur durch die fehlende Sonne stark in Mitleidenschaft gezogen. Schwierig, wenn man von der Landwirtschaft lebt, und doch scheint das ein Berufszweig zu sein, der einer Berufung gleichkommt.
„Na ja“, sagt Karcher, „die Berufung ließ bei mir etwas auf sich warten. Heute aber stehe ich voll und ganz hinter der Landwirtschaft.“ So sehr, dass sie seit 2009 das Amt der Präsidentin des Landfrauenverbandes Südbaden innehat. Eine Aufgabe, die sie mit nicht weniger Freude erfüllt als das Pflücken reifer Früchte, deren Verarbeitung und vielem mehr.
In Lautenbach bei Oberkirch ist Rosa Karcher aufgewachsen. Ein Nachkömmling von sechs Geschwistern und somit überall dabei, wo etwas los war. Und etwas los, das war im landwirtschaftlichen Anwesen ihrer Eltern und Großeltern immer. „Wir hatten Kühe, Schweine, Hasen und Hühner. Dazu jede Menge Obstbäume und auch Reben!“ Dass dies alles sehr viel Arbeit bedeutet, ließ Karcher erst einen anderen Beruf einschlagen. Sie wurde Hauswirtschaftsmeisterin, eine Tätigkeit, die viel Verantwortung bedeutet und ein gutes Organisationstalent voraussetzt. „Ich bekam eine Stelle im Krankenhaus in Kehl und war dort unter anderem für den Einkauf des medizinischen Sachbedarfs verantwortlich.“
Viele Sorgen durch den Regen
Beim Tanzen lernte die junge Lautenbacherin ihren heutigen Mann, Adolf Karcher, kennen. Auch er kommt aus der Landwirtschaft. In Achern hatten seine Eltern einen großen Obsthof, Reben und früher auch etwas Vieh. Adolf Karcher übernahm den Hof und konzentrierte sich auf den Obstanbau. Aktuell ist Kirschenernte und – bevor sich die Sonne endlich wieder eingestellt hat – verursachte der Regen viele Sorgen: „Die Kirschen gehen durch den Regen kaputt, die Öchslezahl steigt nur mäßig und der Ertrag ist entsprechend gering.“
Rosa Karcher teilt diese Sorgen. Denn mit dem ersten Kind stand für sie die Entscheidung an, in die heimische Landwirtschaft einzusteigen. „Ich hab’s gewagt und nie bereut!“ Heute wohnt sie noch immer mit ihrem Mann in einem Bauernhaus in Oberachern, das komplett mit wildem Wein bewachsen ist, einen Kachelofen in der „guten Stube“ stehen hat und dessen Decken um einiges niedriger sind, als es der heutigen Norm entspricht. Es scheint, als sei die Welt hier ein bisschen stehengeblieben. Doch der Schein trügt. Die taffe Landwirtin ist heute Mutter dreier erwachsener Kinder, Oma eines Enkelkindes, vor allem aber politisch aktiv, nicht nur bei den Landfrauen.
Seit Verbandsgründung aktiv
„Beim Landfrauenverband bin ich seit der Gründung des Ortsvereins Oberachern 1986. Mit dem Ziel, speziell etwas für die Frau innerhalb der Landwirtschaft und dem Ländlichen Raum zu tun, ihre Stellung zu stärken und sie zu unterstützen.“ Dass die Landfrauen nicht nur bei Dorffesten Kuchen backen und regionale Leckereien anbieten, sondern gerne Zeit in Weiterbildung investieren, das hat sich mittlerweile herumgesprochen.
Die modernen Landfrauen bewirken viel
Die modernen Landfrauen bewirken viel und haben bereits einiges erreicht. „Ich habe mich damals zur Botschafterin für Agrarprodukte ausbilden lassen, viele Seminare besucht und war erst Vorsitzende im Landfrauenbezirk Achern, und seit zwölf Jahren Präsidentin des Landfrauenverbands Südbaden. Wir verstehen uns als Sprachrohr der Frauen und Familien in ländlichen Regionen. Wir mischen mit, nehmen Einfluss auf politische Entscheidungen und stärken die Rechte der Frauen. Nicht nur auf dem Land“, so Karcher. Sie ergänzt: „Dabei werden die wirtschafts-, sozial- und gesellschaftspolitischen Interessen der Frauen und Familien im ländlichen Raum vertreten. Der Landfrauenverband Südbaden mit seinen 18 000 Mitgliedern wird von ehrenamtlichen Führungskräften geleitet, ist parteipolitisch neutral und konfessionell ungebunden – bundesweit hat der Verband rund 450 000 Mitglieder.“
Auf dem Hof ist sie die Springerin
„Mein Herz schlägt für die Landwirtschaft und die Landfrauen“, sagt Karcher. Ihr Leben als Bäuerin spielt sich zwischen dem eigenen Haushalt, der Familie, den Obstbäumen und den Fahrten nach Freiburg, Stuttgart und zu anderen Versammlungen und Seminaren ab. Ein buntes Leben mit der Liebe zu regionalem Anbau, den sie tatkräftig unterstützt. „Auf dem Hof bin ich die Springerin, ich packe an, wo es gerade klemmt“, berichtet die Obstbäuerin. „Die Fahrzeuge kann ich fast alle bedienen, aber ich halte mich zurück, sonst muss ich das auch noch machen“, schmunzelt sie. Wichtig sei, dass Obst mit seinem Reifegrad im Blick zu haben, denn es wird über den Obstgroßgroßmarkt Mittelbaden in Oberkirch verkauft. „Und hier wird nur einwandfreie Ware angenommen, die zertifiziert ist.“
Thema Pflanzenschutz
Wünschen würde sich Rosa Karcher, dass sich auch importierte Produkte einer solch strengen Kontrolle unterwerfen müssen. Denn bisher dürfen importierte Erzeugnisse diese Standards unterlaufen und in Deutschland dennoch legal verkauft werden. Hier ergibt sich automatisch die Frage nach dem Pflanzenschutz, ein Thema, das die Bevölkerung spaltet, und eine Diskussion befeuert, die Karcher für überzogen hält. „Wir haben heute sehr strenge Regeln, was den Pflanzenschutz betrifft, und einen hohen Standard. Letztendlich geht es um die Ausgewogenheit und darum, dass das Pflanzengut gesund bleiben soll und die Ernte gesichert wird.“
Schwieriger sieht sie dagegen die zunehmende Bebauung von fruchtbaren Ackerböden, doch auch hier bringt sie sich ein. Etwa in den Gemeinderatsitzungen. Denn Karcher gehört seit acht Jahren dem Acherner Stadtrat an: „Sich politisch beteiligen, mitreden, das ist etwas, das wir auch den Landfrauen mit auf den Weg geben. Und als Stadträtin kann ich mitgestalten und auf unser direktes Lebensumfeld einwirken.“
Anderer Blickwinkel als Männer
Mitreden, weil Männer und Frauen unterschiedliche Blickwinkel haben, das ist für die engagierte Bürgerin wichtig. Eine politische Meinung haben, diese vertreten und dabei auf das eigene Herz hören – das ist ihre Art, sich in die Gesellschaft einzubringen. Der Landwirtschaft wird sich Karcher weiter verbunden fühlen und regionalen Produkten den Stellenwert einräumen, der ihnen gebührt.
Und damit macht sie sich auf dem Weg. Mit Korb und Leiter. Die Zwetschgen müssen geerntet werden. Bald werden sie in unzählige kleine Körbchen gefüllt ihre Reise antreten und vom Oberacherner Zwetschenbaum auf dem ein oder anderen leckeren Zwetschgenkuchen landen.
Rosa Karcher
Rosa Karcher wurde 1962 als letztes von sechs Kindern in der Gemeinde Lautenbach bei Oberkirch geboren. Nach der Schulzeit absolvierte sie eine Ausbildung zur Hauswirtschaftsleiterin und arbeitete einige Jahre im Kreiskrankenhaus Kehl. Karcher ist verheiratet, lebt in Oberachern, hat drei erwachsene Kinder und ein Enkelkind. Seit 1992 ist sie bei den Landfrauen im Bezirksvorstand Achern in der Verbandsarbeit tätig. Im Juni 2015 hat sie mit der „Goldenen Biene“ die höchste Auszeichnung des Deutschen Landfrauenverbands erhalten und wurde zudem im September 2015 mit der Staatsmedaille in Gold des Landes Baden-Württemberg geehrt. Seit 2014 ist sie Stadträtin in Achern.