Rollstuhlfahrerin erklärt, wie wichtig Inklusion ist
Mit "Leser helfen" unterstützt die Mittelbadische Presse neben dem Förderkreis der Helme Heine Schule auch das neue Wohnprojekt des Vereins Leben mit Behinderung Ortenau. Wie wichtig selbstbestimmtes Wohnen, ein selbstbestimmtes Leben überhaupt sind, darüber berichtet Ruth Fleig aus Lahr.
Das Willkommen in ihrer Wohnung ist herzlich. Am Esstisch im gemütlichen Wohnzimmer sitzen Birgitt Reinfarth, die beim Verein Leben mit Behinderung Ortenau für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist, sowie die beiden Vorstände Joachim Haas und Wolfgang Dürr mit Ruth Fleig bei Kuchen und Getränken. Schon seit Jahren sind sie immer wieder im Gespräch mit der jungen Frau, die sich für die Rechte von Menschen mit Behinderung und Inklusion stark macht und konstruktive Kritik äußert.
Hilfe beim Einkaufen
Ruth Fleig hat eine "Spina Bifida", eine embryonale Verschlussstörung im Bereich der Wirbelsäule, auch "offener Rücken" genannt, und ist auf den Rollstuhl angewiesen. Trotz ihres Handicaps lebt die 25-Jährige seit knapp drei Jahren allein und kommt in ihrem eigenen Zuhause gut zurecht, auch wenn sie Hilfe beim Einkaufen oder in der Pflege benötigt. Hierbei erhält sie Unterstützung von ihrer Familie und einer befreundeten Krankenschwester. "Das ist alles nicht selbstverständlich", sagt sie.
Als ihre Schwester aus dem Elternhaus in Lahr-Sulz auszog fragte diese, wie es bei ihr selbst aussehe. "Über eine eigene Wohnung hatte ich mir bis dahin nie Gedanken gemacht", berichtet Ruth Fleig. Der Vermieter ihrer Wohnung in dem Lahrer Mehrfamilienhaus sei total offen gewesen. Im Gegensatz zu einem anderen, welcher sie nicht einmal kennenlernen wollte, als er erfuhr, dass sie eine Behinderung hat. "Da fängt Inklusion an. Bereit zu sein, sich auf den anderen Menschen und seine Bedürfnisse einzulassen, und schauen, ob es passt, sei es bei der Wohnungsvermietung, einer Arbeitsplatzvergabe oder anderes."
"Für seine Behinderung kann niemand etwas", betont sie. Es ist wahnsinnig schwierig Inklusion zu leben und zu erleben. "Das muss jede Person für sich lernen. Man will als Mensch wahrgenommen werden und nicht als Behinderter, als Kranker, als Ausländer oder anderes. Davon sind wir noch weit entfernt und das ist sehr traurig", findet Ruth Fleig. Eine Lösung hat sie nicht parat. "Das muss von den Menschen aus kommen. Es bringt nichts, wenn ich mich auf einen Platz stelle und sage, dass ich Inklusion will." Die Fachpraktikerin für Bürokommunikation arbeitet bei ihrem Vater, einer Lahrer Firma, die Software an Arztpraxen verkauft. Dort ist sie für das Büro zuständig. "Es ist schwierig einen Arbeitsplatz zu finden, wenn man im Rollstuhl sitzt", bedauert sie.
In der Grundschule war sie die einzige, die im Rollstuhl saß. Die Kinder wussten nicht recht, wie sie mit ihr umgehen sollen, deshalb fragte sie die Lehrerin, ob sie über ihre Behinderung sprechen darf und tat das dann auch. "Manche haben es verstanden, manche nicht." Alle Abläufe brauchen viel Zeit, das erfordere Verständnis und Geduld. Dass Menschen mit Behinderung auch ein Stück entgegen kommen und auf die Menschen ohne Behinderung zugehen, sei entscheidend. Doch die Berührungsängste seien auf beiden Seiten oft sehr groß. "Wir haben die gleichen Interessen. Wir machen alle gerne Party", spielt sie auf die Inkusionsparty "Schwer in Ordnung" in der Offenburger Diskothek Freiraum an. Diese findet inzwischen zwei Mal pro Jahr statt. "Ein Erfolg", wie Wolfgang Dürr bestätigt.
Inklusion bedeute auch, Freunde zu haben, die sich auf einen Menschen mit Behinderung einlassen. Ihre Freundin besuche sie gerne, weil es anders herum für Ruth Fleig umständlicher wäre. "Warum kann ich nicht einfach so in eine Disco gehen, ohne, dass es eine Inklusionsveranstaltung ist, oder gerade mal so in den Urlaub fahren?" – zu viele Hürden müssten dabei bewältigt und Barrieren überwunden werden. Wie fehlende Informationen in unvollständigen Apps, etwa dazu wo es barrierefreie Toiletten gibt, nennt sie ein Beispiel.
Individuelle Förderung
Pauschalisieren lässt sich Inklusion jedoch nicht. "Es kommt auch auf den einzelnen Menschen mit Behinderung an". Und gerade da setzt der Verein Leben mit Behinderung an und schaut, was jeder einzelne von ihnen ganz individuell braucht, um ein selbstbestimmtes Leben führen zu können.
"Wenn ich das Wort Inklusion höre, denke ich sofort an Menschen mit Behinderung. Die Gesellschaft besteht aber nicht nur aus Menschen mit oder ohne Behinderung. Da ist so viel mehr", betont sie. Leider bleibt der 25-Jährigen keine weitere Zeit mehr, das auszuführen, da sie sich gleich auf den Weg zur Sitzung des Behindertenbeirates im Lahrer Rathaus machen muss.