Schwarzwald im Wandel
Kuckucksuhr, Tannen, Schwarzwälder Kirschtorte und das Schwarzwaldmädel sind überall die ersten Assoziationen, wenn es um den Schwarzwald geht. Um Traditionen nicht verstauben zu lassen, erfindet sich der Schwarzwald gerade neu. Nicht alle sind mit diesem Imagewandel einverstanden.
In puncto Kirschwasser darf es bei der Schwarzwälder Kirschtorte gerne ein bisschen mehr sein«, sagt Konditorin Giulia Boschert, während sie in der Backstube der Confiserie Gmeiner die Biskuit-Böden mit Schnaps tränkt. An diesem Arbeitsschritt hat sich seit der Entstehung der »Königin der Torten« nichts verändert. Als Nächstes greift Boschert zu Eiern, Zucker und Schokolade. Sie peppt die Torte, die traditionell nur aus Schoko-Biskuit, Sauerkirschen und Schlagsahne besteht, mit einer Ganache, einer Masse aus Sahne und Schokolade, auf. »Bei uns wird die Torte nicht mehr so zubereitet wie zu Großvaters Zeiten. Unsere Kunden wollen eine moderne Variante des Klassikers«, so Boschert. Der Schwarzwald im Wandel.
Die Konditorei verwöhnt ihre Kunden seit mehr als 100 Jahren mit süßen Leckereien. Nicht nur in der Ortenau, sondern auch in Japan, wo die Schwarzwälder Kirschtorte reißenden Absatz findet. Weiterentwicklung schätzt Konditor Gmeiner, deshalb hat er das Rezept vor einigen Jahren modernisiert. Er ist nicht der Einzige, der traditionelle Symbole aus der Region neu interpretiert.
Auch in der Kunst wird aus traditionell modern: Der Offenburger Künstler Stefan Strumbel verwandelt die weltberühmte Kuckucksuhr in einen hippen Kultgegenstand. Selbst Karl Lagerfeld äußert sich gegenüber dem »Spiegel« begeistert: »Ein neuer Ausdruck von deutscher Kultur, das ist sehr stimulierend.« Das Holz lackiert Strumbel in Neonfarben. Gemütlichkeit wird Rebellion. Mit seinen Uhren bricht er mit der 250-jährigen Tradition und macht sie zu einem neuen Symbol für Heimat. Statt Vögelchen, Tannenbäumen und Bauernjungen verwendet Strumbel Handgranaten, Knochen, erlegte Tiere oder Waffen. Verziert mit Parolen wie »What the fuck is Heimat« sagt er dem Image der Kuckucksuhr den Kampf an und kreiert ein Street-Art-Image.
Zurück in der Konditorei: Giulia Boschert lässt die Sauerkirschen abtropfen und bringt Kirschsaft, Zucker, Zitronensaft und Zimt zum Kochen. Das haben die Schwarzwälder Bäuerinnen schon im 19. Jahrhundert so gemacht. Sie haben ihren Gästen zu besonderen Anlässen ein Dessert aus eingelegten Kirschen und geschlagenem Rahm serviert. »Diese Mischung schmeckt sowohl Einheimischen als auch Urlaubern heute noch. Sie bestehen darauf, bei uns ein Stück Schwarzwald zu essen. Deshalb würden wir sie nie aus dem Sortiment nehmen«, erklärt die Konditorin, während sie die Flüssigkeit unter ständigem Rühren aufkochen lässt. In der Confiserie geht nur noch die Schwarzwälder Kirschtorte mit Ganache über die Ladentheke, außerdem bietet die Confiserie eine leichte Variante der Torte im Dessertglas an.
Im Spirituosen-Regal gibt es ebenfalls Neuigkeiten: Neben dem berühmten Kirschwasser findet man dort einen weiteren jungen Exportschlager. »Monkey 47« ist ein Dry Gin, der von der Brennerei »Black Forest Distillers« in Loßburg hergestellt wird. Im Gegensatz zur britischen Traditionsvariante wird der Schwarzwälder Gin mit regionalen Kräutern verfeinert. Wolfgang Weiler vom Schwarzwälder Tourismus Verband ist begeistert: »Die neuen Spirituosen verdrängen die traditionellen ›Wässerli‹ aus der Region nicht, sie ergänzen sie.«
Der Fotograf Sebastian Wehrle aus Freiamt interpretiert das Markenzeichen des Schwarzwalds ebenfalls neu. Zusammen mit der Visagistin Ramona Strudel hat er das berühmte Schwarzwaldmädel neu inszeniert. »Wir wollten die Trachten anders in Szene setzen«, sagt Wehrle. Er kreiert eher düstere Fotos, die »das Mädel« in einem völlig anderen Licht, aber doch vertraut erscheinen lassen. Die Models tragen Tattoos, Piercings und traditionelle Kopfbedeckungen wie den Bollenhut oder eine Art überdimensionale Schleife, die man Hornkappe nennt. Beim Bollenhut-Motiv kombinieren sie den Hut mit der Simonswälder Tracht. Es kommt zusammen, was eigentlich nicht zusammen darf. Der Stilbruch ist erfolgreich.
Davon ist in der Ortenau nicht jeder angetan: Gabriele Aberle aus Gutach ist eine der letzten Bollenhutmacherinnen der Ortenau. Sie will an der Trachten-Tradition festhalten. Der Hut, der mit 14 roten Bollen verziert ist, darf nur von ledigen Frauen getragen werden. Ab dem Hochzeitstag sind die Bollen schwarz. Für Aberle ist der Bollenhut, der in den drei Orten Gutach, Kirnbach und Reichenbach seinen Ursprung hat, ein Stück Kulturgut. Die Hutmacherin betont: »Es ist ein Stück Heimat für die Gemeinde und die Bevölkerung. Der Hut soll genau so weiter bestehen bleiben.«
Mike Lauble, 30 Jahre jünger als Aberle und Chef der Trachtenkapelle Gutach, kann sich nicht vorstellen, dass es jemals grüne, blaue oder pinke Bollenhüte geben wird, auch wenn das bereits einige Unternehmen zu Marketingzwecken nutzen. »Wir haben schon oft versucht, den Bollenhut schützen zu lassen, leider ist es nicht möglich, weil der Ursprung nicht genau bekannt ist.« Strumbels Kuckucksuhren und Wehrles Schwarzwaldmädels ordnen Lauble und Aberle dem Bereich der künstlerischen Freiheit zu. Trotzdem wünschen sie sich, dass Tradition und Originalität der Tracht erhalten bleiben.
Genau diese Trachten-Tradition gilt als Vorlage für die Kirschtorte. Einer Sage nach ist sie von den Farben in der Tracht der Schwarzwaldmädel inspiriert worden. »Das Kleid ist so schwarz wie die Schokoladenraspel, die Bluse so weiß wie die Sahne und die Kirschen erinnern an die roten Bollen auf dem Bollenhut«, erklärt die Konditorin, während sie die Torte zusammensetzt. Bei der Dekoration des Klassikers macht sie keine Experimente: Die Torte schaut aus wie zu Großvaters Zeiten. Es werden Schokoladenspäne, Kirschen und kleine Schwarzwälder Tannenbäume aus Schokolade verwendet. Auch wenn Traditionen neue Wege gehen: Man müsse ja schließlich nicht alles an dem alten Traditionsrezept verändern, sagt sie mit einem Augenzwinkern.