Benefizaktion der Mittelbadischen Presse

Sexuelle Übergriffe: Nur 3 Prozent aller Täter sind Fremde

Christiane Agüera Oliver
Lesezeit 4 Minuten
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08. November 2023
„Sexuelle Übergriffe passieren nie aus Versehen, sie sind immer beabsichtigt", weiß die studierte Sozialpädagogin, Sexualpädagogin und Sexualberaterin Carolin Heuwerth vom "Aufschrei"-Fachteam. 

„Sexuelle Übergriffe passieren nie aus Versehen, sie sind immer beabsichtigt", weiß die studierte Sozialpädagogin, Sexualpädagogin und Sexualberaterin Carolin Heuwerth vom "Aufschrei"-Fachteam.  ©Christoph Breithaupt

Die Aktion "Leser helfen" unserer Zeitung sammelt Spenden zugunsten des Vereins "Aufschrei": Überall wo sich Menschen begegnen kann es sexuelle Gewalt geben. Meistens passieren sexuelle Übergriffe in der eigenen Familie oder im nahen Umfeld.

Jeder, alle Geschlechter durch alle sozialen Schichten und Nationalitäten, können von sexueller Gewalt betroffen sein. "Und zwar überall, wo sich Menschen begegnen: Zuhause und in Einrichtungen, am Tag und in der Nacht, vor anderen und alleine", sagt Carolin Heuwerth. Laut Statistik sei der Wald nachts der sicherste Ort. Die studierte Sozialpädagogin, Sexualpädagogin und Sexualberaterin gehört zum Fachteam von "Aufschrei!". Der Ortenauer Verein gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Erwachsenen will durch die Aktion "Leser helfen" seine Beratung intensivieren und die Prävention ausbauen. Auf diese Weise soll zuvorderst den zahlreichen von Missbrauch Betroffenen in der Ortenau geholfen werden. Vor allem sind das Kinder, die oft ein Leben lang belastet sind.

Sexuelle Gewalt könne analog oder digital, psychisch und körperlich erfolgen. Es gibt Faktoren, die stärken und schützen, und Faktoren, die jedoch einzelne Kinder, Menschen und Gruppen vulnerabler machen. "Besonders verletzlich sind beispielsweise Kinder, Jugendliche und Menschen, die keine sexuelle Bildung genießen konnten, bei denen es ein Tabu ist, über Sex und Gefühle zu sprechen", beschreibt die Sexualpädagogin. Diese Menschen hatten möglicherweise nicht ausreichend Chancen, in Kontakt mit dem eigenen Körper und somit den eigenen Grenzen zu kommen Zudem sei ihr Selbstwertgefühl nicht ausreichend gestärkt worden.

Machtgefälle durch Alter, sozialen Status, Geschlecht, Sprachfähigkeit, kognitiver Entwicklung oder emotionaler Verletzbarkeit können weitere Faktoren sein. "Besonders häufig betroffen sind Menschen mit Behinderung, weil sie noch viel weniger lernen, dass sie eine eigene Sexualität haben, über die sie selbst bestimmen und sprechen können, um so eigene Wünsche und eigene Grenzen kennenzulernen. Sexualität und Selbstbestimmung werden besonders dieser Gruppe oft gänzlich abgesprochen, ebenso wie älteren Menschen", erklärt Heuwerth.

Diese Verletzlichkeiten würden potenzielle Täter für sich nutzen, denn bei sexueller Gewalt ginge es in den meisten Fällen nicht um die Befriedigung sexueller Bedürfnisse, sondern um Macht und die eigene Aufwertung. "Sexualität ist dabei Mittel zum Zweck. Und ein besonders "wirksames" Mittel für Täter und Täterinnen, da es ein intimer Bereich ist, häufig tabuisiert, und wir dort extrem verletzlich sein können." Etwa jedes siebte Kind war laut einem "Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs" (UBSKM) im Jahr 2022 von sexuellem Missbrauch betroffen. Menschen mit Behinderung um ein Vielfaches häufiger, "etwa jeder dritte bis vierte", so Carolin Heuwerth.

Der "fremde Täter" sei dabei ein "Mythos". "Nur drei Prozent aller Täter sind Fremde (laut UBSKM, 2019), 70 Prozent sind Menschen aus dem nahen Umfeld, dem das Kind vertraut und zu dem eine Art Abhängigkeit besteht", berichtet Heuwerth. 90 Prozent aller Täter seien Männer. "Es können alle Geschlechter betroffen und auch potenzielle Täter sein", betont die Sozialpädagogin. Eine Person von zehn Betroffenen wird durch eine erwachsene Frau missbraucht (UBSKM 2022). Die Dunkelziffer bei Frauen als Täter sei dabei höher, auch, weil Übergriffe durch Frauen ein größeres Tabu in der Gesellschaft darstelle, weil ihnen ein anderer, körperlich näherer Umgang mit Kindern erlaubt sei.

Ein weiterer Mythos: ein Täter ist psychisch krank oder pädophil. "Bei den wenigsten ist eine psychische Erkrankung diagnostiziert, der geringste Teil, unter fünf Prozent der verurteilten Sexualstraftäter, weist eine pädophile Neigung auf." Sie spricht auch von der falschen Vermutung, dass alle Täter „notgeil oder sexsüchtig sind und ihre Bedürfnisse irgendwo zufällig befriedigen wollen."

Dabei gibt es unterschiedliche Formen von sexualisierter Gewalt. Aus Grenzverletzungen könne man lernen, diese könnten aus Versehen oder Unwissen passieren. "Das Küsschen auf die Wange zur Begrüßung kann für manche Menschen zu nahe und unangenehm sein", nennt sie ein Beispiel. Jeder entscheide für sich, wann er eine Handlung, eine Geste, einen Spruch als Grenzverletzung wahrnimmt. Grenzverletzungen würden immer der subjektiven Wahrnehmung unterliegen und passieren im Alltag. "Wichtig ist: Was passiert nach der Grenzverletzung, bleibt es eine oder wird es zu einem sexuellen Übergriff?" Dem gegenüber stünden sexuelle Übergriffe und auch die strafrechtlich relevanten Formen.

Eine Straftat

„Sexuelle Übergriffe passieren nie aus Versehen, sind immer beabsichtigt und finden sowohl mit als auch ohne Körperkontakt statt. Sie können vor den Augen der betroffenen Person ohne Körperkontakt stattfinden, wie das Zwingen zum Anschauen von Pornos oder das Beobachten des Täters bei der Selbstbefriedigung. Sexuelle Übergriffe können verbal sein, beispielsweise durch ungewollte Sprüche, können mit Körperkontakt sein, durch ungewollte Berührungen am gesamten Körper und im Intimbereich, bis hin zur Vergewaltigung.

„Sexuelle Handlungen von Erwachsenen an und vor Kindern werden strafrechtlich immer als sexueller Missbrauch eingestuft, da Kinder diesen Handlungen nicht willentlich zustimmen können", so Carolin Heuwerth. "Beim Cybergrooming ist selbst der Versuch strafbar".

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